Der Krieg in der Ukraine schlägt auf Europas Psyche

Münster. Der größte Landkrieg in Europa seit 1945 hat katastrophale Folgen für die Menschen in der Ukraine, er hat eine globale Ernährungskrise ausgelöst und gewaltige politische wie wirtschaftliche Konsequenzen nach sich gezogen. Zugleich beeinträchtigt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die mentale Gesundheit von Menschen in Europa. Das geht aus einer Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung der Psychologen Julian Scharbert und Mitja Back von der Universität Münster hervor. Zu ihren Ergebnissen gelangten sie eher zufällig, denn ursprünglich war eine ganz andere Untersuchung geplant. Begonnen habe sein Team Ende 2021 mit der Ausgangsfrage, wie Menschen in Europa die Corona-Pandemie bewältigen, erzählt Scharbert. Weil der Forschungszeitraum weit in das Jahr 2022 hineinragt, &bdquo;ergab sich für uns die einmalige Gelegenheit, die täglichen Stimmungsverläufe in den Wochen des Kriegsausbruchs zu analysieren“. Eigentlich sei es nicht möglich, derart historisch prägende Ereignisse in einem präzisen Zeitfenster international zu ergründen. Die Befragten haben auf einer Internetplattform mehrfach täglich Angaben zu ihrem Wohlbefinden gemacht. Zur Auswahl standen Adjektive wie glücklich, ängstlich, wütend oder traurig. Daraus ergab sich ein Tagesgefühl. Über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg hatten 1.300 Testpersonen aus 17 europäischen Staaten &bdquo;im Vergleich zum Rest der Welt ein signifikant niedrigeres Wohlbefinden“, so eines der Kernergebnisse. Wobei mit Rest der Welt &bdquo;eher westlich geprägte Länder“ wie die USA, Brasilien und Australien gemeint sind, präzisiert Scharbert. Vor allem der Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 habe sich in hohem Maße negativ auf die Psyche der Europäer ausgewirkt – &bdquo;härter noch als die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 und der Corona-Lockdown 2020“. Die Abstumpfung nach dem Angriff Die 50 Forscherinnen und Forscher haben das auch auf Twitter gemessen (heute X). &bdquo;An Tagen mit besonders starker Präsenz des Krieges in dem sozialen Medium war eine durchschnittlich schlechtere mentale Verfassung zu beobachten“, erklären sie. Auf Twitter griff das Team aus pragmatischen Gründen zurück, weil das Netzwerk der Wissenschaft zu jener Zeit kostenlos Material zur Verfügung stellte. Ob Scharbert dieses Vertrauen auch der Plattform X von Elon Musk entgegenbringen würde? Da müsse er länger überlegen. Lesen Sie auch den Kommentar: Krieg in der Ukraine: Europas Ignoranz Der Fokus auf die mentale Gesundheit soll der Debatte um die humanitären, politischen und ökonomischen Folgen des Krieges eine zusätzliche Dimension hinzufügen. Der &bdquo;kollektive Abfall des Wohlbefindens“ hänge selbstverständlich mit der persönlichen Stabilität eines Menschen zusammen, erklären die Psychologen aus Münster. &bdquo;Menschen mit einer anfälligeren, wenig stabilen Persönlichkeit haben sich im Unterschied zu gefestigteren Personen im Schnitt auch einen Monat nach Kriegsbeginn noch nicht erholt.“ Umgekehrt ließe sich sagen: Der Abstumpfungseffekt tritt bei einigen früher ein, bei anderen später. In Fachkreisen spricht man auch von &bdquo;hedonistischer Anpassung“. Wie man die Belastungen bewältigt Die meisten Befragten haben sich nach ungefähr zwei Monaten einigermaßen vom ersten Kriegsschock erholt. &bdquo;Man kennt es möglicherweise aus eigener Erfahrung“, kommentiert Scharbert: &bdquo;Zunächst hat sich jeder die Frage gestellt, wie es weitergeht, ob die Gewalt auf dem ganzen Kontinent eskaliert. Dann tauscht man sich aus, holt sich emotionale Unterstützung von Familie und Freunden.“ Von den 1.300 Testpersonen kommen 200 aus Deutschland. Insgesamt sind die Befragten &bdquo;eher jung und eher weiblich“, sagt Scharbert. Die Studie sei &bdquo;nicht perfekt repräsentativ“. Die Ergebnisse zeigten indes, dass &bdquo;politische und gesellschaftliche Akteure in Krisenzeiten auch die mentale Gesundheit in den Fokus nehmen sollten – besonders von Menschen, die ohnehin anfälliger für Belastungen sind“. Menschen in der Ukraine und Russland seien psychisch &bdquo;vermutlich ungleich stärker belastet“. Zu diesen Ländern liegen jedoch keine Daten vor.

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