Bielefelder verliert nach Kratzer am Finger Hände und Unterschenkel

Bielefeld. Ein kleiner Kratzer kostet Georg Winterling fast sein Leben. Ein Jahr ist es her, dass sich der Bielefelder am Finger verletzt und danach so schwer erkrankt, dass Ärzte wochenlang um sein Leben kämpfen und ihm Hände und Unterschenkel amputieren müssen. Inzwischen lebt der 41-Jährige wieder zu Hause mit seiner Frau und ihren beiden Söhnen. Doch der Kampf um sein Leben geht weiter, um sein Leben vor der Verletzung, denn Georg Winterling will so viel wie möglich von seinem alten Leben zurück. Wieder für seine Familie sorgen, mit seinen Söhnen Fußball spielen, arbeiten, mit Skiern auf einem Berg stehen und im Sommer durch den Wald schlendern. Und wer mit Georg Winterling spricht, der weiß, dass er das schaffen wird. Der Unfall: Ein Kratzer mit Folgen Es ist eine unglaubliche Geschichte, wenn Winterling von seinem neuen Leben berichtet. Das beginnt am 6. Dezember 2022, als sich die gesamte Familie mit Grippesymptomen zu Hause auskuriert. &bdquo;Uns hatte es alle richtig erwischt“, sagt der 41-Jährige. Damit die Söhne Platz im großen Bett im Schlafzimmer haben, holt Winterling für sich eine Luftmatratze aus dem Keller. &bdquo;Dabei habe ich mich an der Matratze geschnitten, aber nur so leicht, dass der Kratzer nicht mal geblutet hat.“ Winterling ärgert sich trotzdem, weil zu erkennen ist, dass sich eine Wochen zuvor eingefangene Maus an der Matratze zu schaffen gemacht hatte. Über Nacht entzündet sich der Kratzer so stark, dass Winterling zur Abklärung seinen Hausarzt aufsucht. &bdquo;Als Jäger weiß ich, dass Kontakt zu Mäusen und ihren Hinterlassenschaften gefährlich sein kann.“ Winterling bittet um einen Bluttest. &bdquo;Doch mein Arzt lehnte das ab und riet mir, mich mit der Familie von der Grippe zu erholen und bei Bedarf Paracetamol einzunehmen.“ Über die nächste Nacht verschlechtert sich sein Zustand weiter. &bdquo;Ich hatte so starke Schmerzen im Arm, dass ich ihn kaum noch bewegen konnte.“ Hinzu kommen Husten und Atemnot, weshalb er die Notfalldienst-Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe im Klinikum Mitte in Bielefeld aufsucht. Auch dort bittet er um einen Bluttest. &bdquo;Doch auch in dieser Praxis sah der Arzt dafür keine Notwendigkeit. Bis auf ein EKG zur Überprüfung meines Herzens wurde nichts gemacht.“ Winterling wird erneut mit dem Rat nach Hause geschickt, die Grippe zu Hause mit Paracetamol auszukurieren. Einen weiteren Tag später verschlechtert sich Winterlings Zustand jedoch so stark, dass seine Frau einen Krankenwagen alarmiert. &bdquo;Ich hatte so starke Atemnot, dass ich Panik bekam.“ Er wird ins evangelische Klinikum Bethel eingeliefert und ins künstliche Koma gelegt. &bdquo;Ich konnte zuvor noch meiner Frau und meinem Arbeitgeber Bescheid sagen, danach weiß ich nichts mehr.“ Das Koma: Eine Aneinanderreihung von Albträumen Bereits am nächsten Tag sind sich die Ärzte sicher, dass Winterling nicht überleben wird. &bdquo;Die Ärzte kontaktierten meine Frau, damit sie sich von mir verabschieden kann.“ Er leidet zu diesem Zeitpunkt an einer Lungenentzündung und einer Blutvergiftung, ausgelöst durch eine Streptokokken-Infektion. &bdquo;Die Bakterien können von Mäusen übertragen werden und durch die kleine Verletzung sind sie in meinen Körper gelangt.“ Zum Erstaunen der Ärzte überlebt Winterling die Nacht. In der Klinik kann er jedoch nicht bleiben. &bdquo;Es war schnell klar, dass ich einen Intensivplatz mit Zugang zu einer ECMO benötige.“ ECMO steht für extrakorporale Membranoxygenierung. Das Verfahren kann die Herz- und Lungenfunktion von Schwerkranken übernehmen. &bdquo;Die Ärzte haben mehrere Kliniken angefragt. Das erste Team, das mit dem Helikopter aus Münster eingeflogen wurde, lehnte einen Transport aufgrund meines schlechten Zustands jedoch ab.“ In Göttingen findet das Team jedoch einen Arzt, der ihn als Patienten übernimmt. &bdquo;Diesem Mann habe ich mein Leben zu verdanken.“ Insgesamt liegt Winterling 16 Tage im Koma. Eine Zeit, die er als eine Aneinanderreihung von Albträumen erlebt. &bdquo;Der einzige Lichtblick war meine Frau, die mir am Bett Lieder von unserer Hochzeit vorgespielt und immer wieder gesagt hat, dass alles gut wird.“ In der Aufwachphase erlebt Winterling zudem einen Arzt als Rettungsanker. &bdquo;Ich wusste, dass da jemand ist, der mir hilft, weil in meinem Körper doch noch Leben steckt.“ Die Amputation: Sechs heftige Operationen Die Aufwachphase leiten die Ärzte am 24. Dezember ein und nur zwei Tage später ist Winterling schon wieder wach. &bdquo;Das Tempo hat alle überrascht und war das schönste Weihnachtsgeschenk für meine Familie und mich.“ Doch ihm geht es schlecht. &bdquo;Ich war so schwach, dass ich nicht mal mehr meinen Kopf drehen konnte. Außerdem musste ich mich über einige Tage orientieren, weil ich nicht wusste, welches Jahr wir haben. Ich hatte zudem große Ängste.“ Klar ist ihm jedoch bereits kurz nach dem Aufwachen, dass der den Kampf um sein Leben noch nicht gewonnen hat. &bdquo;Meine Hände und Unterschenkel waren schwarz, weil das Gewebe infolge der Blutvergiftung abgestorben war. Ich wusste, dass Amputationen nötig sein werden, um mein Leben zu retten.“ Für die Amputationen findet die Familie Spezialisten in Hannover, sodass er nach dem Jahreswechsel in die Medizinische Hochschule Hannover verlegt wird. Am 4. Januar, seinem 40. Geburtstag, steht die erste von sechs Operationen an – die Amputation beider Hände und Unterschenkel. &bdquo;Das waren sehr heftige Operationen und eine sehr schmerzhafte Genesungszeit.“ Drei Monate bleibt Winterling in Hannover, danach folgt eine sechsmonatige Reha in Bad Rothenfelde. &bdquo;Das war eine sehr harte Zeit, in der ich zwischendurch auch mal aufgeben wollte, weil das einfach zu viel für nur einen Menschen ist.“ Doch dank seiner Familie findet er die Motivation, immer weiter zu kämpfen. &bdquo;Ich habe meinen Vater sehr früh verloren und habe alles dafür gegeben, dass meinen Söhnen das nicht passiert.“ Die Rückkehr: Zu Hause geht der Kampf weiter Neun Monate und neun Tage nach dem verhängnisvollen Kratzer am Finger kehrt Winterling zu seiner Familie zurück. &bdquo;Ein unglaublich schönes Gefühl, weil ich endlich wieder Teil der Familie sein kann.“ Zu Hause geht der Kampf weiter. Jeden Tag trainiert er für mehr Selbstständigkeit, die er sich in den vergangenen Monaten bereits in beeindruckender Weise erkämpft hat. &bdquo;Unterstützung benötige ich aktuell nur noch am Morgen durch einen Pflegedienst, wenn meine Frau arbeiten geht und sich um unsere Söhne kümmert. Und mittags lasse ich mir ein Essen liefern, weil Kochen noch schwierig ist. Ansonsten lebe ich selbstständig.“ Fortbewegen kann sich Winterling in einem Elektrorollstuhl und auf Prothesen. &bdquo;Das Training ist physisch und psychisch unglaublich hart, aber die Fortschritte machen mir Hoffnung.“ Die Ziele: Mit Kraft und Mut ins neue Jahr Für die nächsten Monate hat sich Winterling viel vorgenommen. &bdquo;Ich möchte ohne Krücken auf Prothesen laufen und endlich mit dem Training mit den Handprothesen beginnen.“ Dafür fehlt jedoch noch die Genehmigung der Krankenkasse. &bdquo;Diesen unglaublichen Kampf mit den Kostenträgern übergebe ich jetzt einem Anwalt, weil ich die Zeit lieber zum Trainieren und mit meiner Familie nutzen möchte.“ Auch die Wut über die beiden Bielefelder Ärzte, die ihm einen Bluttest verweigern, versucht er auszublenden. &bdquo;Natürlich frage ich mich, warum ich nicht ernst genommen wurde, da ein Bluttest wahrscheinlich ausgereicht hätte, um den Ernst der Lage zu erkennen. Doch diese Wut sowie die Frage, warum es ausgerechnet mich getroffen hat, bringen mich nicht weiter.“ So beeindruckend wie diese Einstellung zum Leben sind auch die Kraft, der Wille und der Mut, mit der Winterling auf das neue Jahr blickt. &bdquo;Ich möchte so mobil und fit wie möglich werden, damit ich auch wieder arbeiten kann. Mein Arbeitgeber unterstützt mich dabei zum Glück sehr.“ Winterling ist Marketing-Teamleiter in dem Herforder Handelsunternehmen Dresselhaus. Daneben will sich Winterling der Aufklärung verschreiben und dokumentiert dafür seine Fortschritte auf seinem Intsgram-Kanal groeg83. &bdquo;Ich möchte zeigen, was trotz einer vierfachen Amputation möglich ist und was Menschen mit Einschränkungen bereit sind zu leisten.“ Engagieren möchte er sich für Verbesserungen der Inklusion, Aufklärung über Blutvergiftungen und dem leichteren Zugang zu Bluttests. &bdquo;Blutvergiftungen sind die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, doch auch Profis übersehen die Anzeichen oft.“ Und welche Folgen das haben kann, erlebt Georg Winterling jeden Tag.

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