Nur noch drei Tage Kita pro Woche: Eltern aus Bielefeld bangen um ihre Jobs

Bielefeld. Bislang gab es nicht eine einzige Woche, in der Charlotte durchgängig in ihrer Kita betreut wurde. Aufgenommen wurde die Dreijährige dort im August. Ihre Eltern Magdalena Ornatek und Friederike Böger-Ornatek sind mittlerweile wütend und verzweifelt – so wie alle Eltern der Kita &bdquo;Heeper Strolche“. Monatelang gab es nur zwei bis drei Betreuungstage pro Woche. Und noch immer kann das 45-Stunden-Angebot häufig nicht stattfinden. Seit dem Sommer standen für die 40 Kinder nur noch zwei Erzieherinnen, Leiterin Viola Schmieding, eine Alltagshelferin und ein &bdquo;Bufdi“, eine Hilfskraft im Bundesfreiwilligendienst, zur Verfügung. Monatelang gab es deshalb ein Notgruppen-System, bei dem alle Kinder abwechselnd nur noch zwei bis drei Tage die Woche kommen konnten. Erst vor kurzem gab es Verstärkung durch eine neue Fachkraft, seitdem können wieder alle Tage genutzt werden. &bdquo;Das geht aber nur, so lange keine Fachkraft erkrankt“, sagt Leiterin Schmieding. Und auch mit der neuen Besetzung kann das 45-Stunden-Angebot oft nicht aufrecht erhalten werden. Seit dem Sommer jonglieren die Eltern ihre Kinder und Jobs deshalb ohne verlässliche Betreuung. &bdquo;Viele gehen mittlerweile auf dem Zahnfleisch“, sagt Carina Gerling, Elternratsvorsitzende der Kita. &bdquo;Einige haben große Angst, gekündigt zu werden. Andere müssen immer wieder wichtige Aufträge absagen. Viele arbeiten bis spät in die Nacht, weil sie sich tagsüber um ihre Kinder kümmern, oder nehmen die Kinder mit. Das geht alles gar nicht.“ Familie aus Bielefeld zahlt für Kita und Tagesmutter Familie Ornatek hat sich auch lange so durchgewurschtelt. Mutter Magdalena kann viel von zu Hause aus arbeiten, Mutter Friederike hingegen nicht. &bdquo;Das führt dann zwangsläufig dazu, dass immer einer arbeitet und einer sich ums Kind kümmert. Freizeit oder gemeinsame Stunden gibt es nicht mehr“, sagt Magdalena Ornatek. Alle paar Wochen investierte einer der beiden ein Wochenende, um Minusstunden aufzuarbeiten. &bdquo;Das ging so aber nicht weiter.“ Und so geht Charlotte zusätzlich zur Kita auch wieder zur Tagesmutter, die sie vor der Kita betreut hat. &bdquo;Die zahlen wir jetzt aus eigener Tasche, zusätzlich zu den Kita-Beiträgen. Das läppert sich ordentlich“, sagt Friederike Böger-Ornatek. Eine Erstattung der Kita-Beiträge steht trotz des in vielen Einrichtungen eingeschränkten Angebots bei den Trägern weiterhin nicht zur Debatte. Bei der Stadt Bielefeld beispielsweise dienen die Elternbeiträge der Mitfinanzierung der (Betriebs-)Kosten der Kitas und seien nicht mit der Betreuungsleistung verbunden. Eine Erstattung oder rückwirkende Anpassung ist nicht angedacht. Erzieher und Eltern ziehen an einem Strang Tanja Neufeld und Kim Uhlig hören diesen Schilderungen teilnahmsvoll zu. Sie sind Erzieherinnen in der Kita &bdquo;Heeper Strolche“ und haben Verständnis für die Eltern. &bdquo;Das Schöne ist, dass wir wissen, dass die Eltern auch volles Verständnis für uns haben – und vor allem wissen, dass wir für die Situation gar nichts können“, sagt Neufeld. Der Elternrat hat zwischen beiden Parteien vermittelt, aufgeklärt und dafür gesorgt, dass alle an einem Strang ziehen. &bdquo;Das ist in vielen anderen Kitas nicht der Fall“, so Neufeld. Auch sie und ihre Kolleginnen sind müde und angestrengt. Seit Monaten arbeiten sie am Limit, organisieren, improvisieren, sorgen dafür, dass es trotz der angespannten Lage noch Angebote und nicht nur Betreuung für die Kinder gibt. &bdquo;Die leiden natürlich auch unter der Situation“, sagt Kim Uhlig. &bdquo;Man muss ganz klar sagen, dass das, was hier passiert, der Entwicklung der Kinder schadet.“ Kontinuität gibt es nicht. Auch keinen eigenen Rhythmus für die U-3-Jährigen. Die bräuchten eigentlich frühere Essenszeiten, um rechtzeitig Mittagsschlaf machen zu können. &bdquo;Das können wir gar nicht mehr leisten.“ Auch die Erzieherinnen selbst zahlen einen hohen Preis. &bdquo;Das Familienleben leidet sehr“, sagt Tanja Neufeld. &bdquo;Man nimmt den ganzen Stress und oft auch organisatorische Arbeit mit nach Hause und in die Nacht.“ Kita-Leiterin Viola Schmieding fühlt sich mittlerweile vollkommen zerrissen von ihrem Anspruch, allen Beteiligten gerecht werden zu wollen. &bdquo;Da sind die Kinder, die viel mehr Zeit und Zuwendung bräuchten. Da sind die Eltern, die auf das Betreuungsangebot angewiesen sind. Ich bin aber auch verantwortlich für den Gesundheitsschutz meiner Mitarbeiter, bin meinem Arbeitgeber unterstellt und muss die Finanzen im Blick haben. Diese Situation wird immer angespannter.“ Deutsches Rotes Kreuz Bielefeld sucht Fachkräfte für jede Einrichtung Beim Deutschen Roten Kreuz ist man sich der Ausnahmesituation sehr bewusst. &bdquo;Die ’Heeper Strolche’ sind natürlich ein extremes Beispiel“, sagt Geschäftsführer Marco Eltner. Herunterspielen will er die Lage nicht. &bdquo;Dieser Herbst und Winter werden auch in vielen anderen Einrichtungen zu Einschränkungen führen. Die Lage ist schwierig und sie wird auch schwierig bleiben, wenn die Politik nicht noch mehr für diese Betreuungskrise tut.“ In allen DRK-Kitas würden Fach- oder Ergänzungskräfte in Vollzeit oder Teilzeit gesucht. Zu den attraktivsten Arbeitgebern gehört der Träger aufgrund des niedrigeren Haustarifs nicht, die Belastungen für das Bestandspersonal führen nach eigener Aussage zudem häufiger zu längerfristigen Erkrankungen. Mit genau diesem Szenario müssen sich die Eltern und Mitarbeiterinnen der &bdquo;Heeper Strolche“ täglich auseinandersetzen. Bei ihnen allen führt die Situation vor allem zu einem: Angst vor dem Winter. Denn schon jetzt, ohne Infektwellen, ist die Lage so angespannt. &bdquo;Wie soll das denn erst werden, wenn die Wellen losgehen?“, fragt sich Magdalena Ornatek. Elternratsvorsitzende Carina Gerling schüttelt frustriert den Kopf. &bdquo;Dann wird es vermutlich erste Kündigungen von Eltern aus ihren Jobs geben.“

Meistgelesen