Pilotprojekt gestartet

Autos ausgesperrt: Wie Schulstraßen in NRW gegen Elterntaxis helfen sollen

Immer häufiger sorgen Elterntaxis vor Schulen für gefährliche Situationen. Mit Elternhaltestellen oder Appellen wird versucht, eine Lösung zu finden. Ein Pilotprojekt in Essen geht nun einen Schritt weiter und macht für Autos vor zwei Schulen zeitweise dicht.

In der Nähe der Schule hat die Stadt Essen eine Elternhaltestelle eingerichtet, hier dürfen Eltern mit ihren PKW anhalten, um die Kinder aussteigen zu lassen. Ein Polizist kontrolliert täglich die Einhaltung der Regeln. | © Christoph Reichwein/dpa

14.09.2023 | 14.09.2023, 12:30

Essen (dpa). Autoschlangen vor der Schule, zugeparkte Gehwege, und gefährliches Verkehrschaos statt sicherem Schulweg - was vielerorts im Land zum Problem geworden ist, gehört vor zwei Schulen in Essen seit kurzem vorerst der Vergangenheit an. Im Kampf gegen sogenannte Elterntaxis schafft hier ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt zurzeit Abhilfe: Zu den Hol- und Bringzeiten morgens und nachmittags wird der Autoverkehr vor einem Gymnasium und einer Grundschule kurzerhand ausgesperrt.

Von drei Elternhaltestellen aus müssen so die Kinder die letzten Meter zu Fuß zurücklegen. Inspiriert ist die Maßnahme von den sogenannten Schulstraßen in Österreich, die dort seit 2022 in der Straßenverkehrsordnung verankert sind und immer mehr Zuspruch finden. In Deutschland ist das Instrument bislang nicht in der Straßenverkehrsordnung vorgesehen - in Essen ließ es sich daher zunächst nur als befristetes Pilotprojekt einführen.

Viele Schulen im Land klagen seit Jahren über das Verkehrschaos, das durch Eltern entsteht, die ihre Kinder mit dem Auto vor das Schultor fahren. Der ADAC hat in einer Umfrage im Frühjahr ermittelt, dass Eltern zwar mehrheitlich wissen, dass dadurch gefährliche Verkehrssituationen entstehen können. Viele bringen ihre Kinder aber trotzdem mit dem Auto. Das liege nach Angaben der Eltern überwiegend an Anschlussterminen, schlechtem Wetter, weil es auf dem Weg liege oder schneller gehe. Mangelnde Verkehrssicherheit spielt laut ADAC-Umfrage seltener eine Rolle.

Newsletter
Wirtschaft
Wöchentlich die neuesten Wirtschaftsthemen und Entwicklungen aus OWL.

Immer mehr Autos unterwegs

Mobilitätsforscher David Huber von der Universität Duisburg-Essen, der das Projekt der gesperrten Schulstraße begleitet und evaluiert, sieht im Wesentlichen zwei Ursachen für die Zunahme von Elterntaxis: „Der Autoverkehr nimmt einfach immer weiter zu“, sagt er. In einer Stadt wie Essen werden mehr als 50 Prozent der Wege motorisiert zurückgelegt. Jedes Jahr parke in jeder Essener Straße im Durchschnitt ein Auto mehr. Da sei es nicht verwunderlich, dass auch für den Schulweg auf das Auto gesetzt werde.

Hinzukomme ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis: „Eltern bringen ihre Kinder lieber mit dem Auto, weil sie den Schulweg für unsicher halten.“ Zu Recht? „Jein“, sagt Huber. „Der Großteil der Wege ist sicher“ - zumindest so lange durch Elterntaxis vor Schulen kein Chaos entsteht: „Es ist ein Teufelskreis.“ Lieferten immer mehr Eltern ihre Kinder direkt vor der Schule ab, weil sie subjektiv den Schulweg als unsicher empfinden, werde daraus „schnell eine objektiv gefährliche Situation“, sagt Huber.

In den 1970er Jahren gingen laut deutscher Verkehrswacht noch 90 Prozent der Grundschüler zu Fuß, heute seien es deutlich weniger. Doch Appelle, Kinder zur Schule laufen oder Rad fahren zu lassen, verhallen bei manchen dennoch. Auf Freiwilligkeit setzende Hol- und Bringzonen im erweiterten Umfeld der Schule, die den Verkehr entzerren sollen, wurden inzwischen an zahlreichen Schulen eingerichtet. Verkehrspolizisten sind gerade jetzt zu Schuljahresanfang im Einsatz, um Eltern zu sensibilisieren.

Projekt in Essen erntet Zuspruch

Huber ist überzeugt, dass sich das Problem mit Freiwilligkeit nicht überall lösen lässt. „Aus der Verkehrspsychologie wissen wir, dass es sehr schwer ist, Gewohnheiten zu ändern. Alternativen werden nur genutzt, wenn man muss oder der Anreiz stark genug ist.“ Und die Vorteile müssten für alle greifbar werden.

In Essen scheint ein Anfang gemacht: „Wir sehen mehr Daumen-Hoch und Klatschen, statt Kopfschütteln“, sagt Julia Koch. Die Mutter, die mit ihren Mitstreiterinnen lange für die Umsetzung der Schulstraße gekämpft hat, hat an diesem Morgen an der Zufahrt zur 170 Meter langen Bardelebenstraße wieder zwei Pylonen aufgestellt. „So schaffen wir mehr Raum für die Kinder, die zur Schule laufen“, sagt sie. 1.800 Schülerinnen und Schüler haben so einen sichereren Schulweg als vorher.

Wer hier dennoch hält, um Kinder aussteigen zu lassen, wird freundlich von ihr oder der begleitenden Polizei auf die drei in der Nähe eingerichteten Elternhaltestellen hingewiesen. Für manche sei es vielleicht schwierig, sich auf neue Abläufe einzustellen, bislang berichten aber auch Polizei und Ordnungsamt von weitgehend reibungslosen Abläufen.

Auch Huber glaubt an den Erfolg des Projekts. Erst kürzlich habe er eine schöne Szene in der Bardelebenstraße beobachtet: „Da stand ein Vater mit Kinderwagen mitten auf der Straße vor der Schule und breitete die Arme aus, damit seine Tochter hineinlaufen konnte. Das wäre hier vor zwei Wochen noch nicht möglich gewesen.“