Paderborn. Warum tötet ein junger Mensch seinen besten Freund? Was treibt ihn dazu, dem Menschen, mit dem er seit seiner Kindheit durch dick und dünn gegangen ist, vor dem großen Tor einer einsamen Scheune bei Büren erst den Kopf einzuschlagen und dann die Kehle durchzuschneiden? Nils F. (alle Namen geändert) kann möglicherweise selbst nicht erklären, was ihn im Juni 2014 zu dieser Tat trieb. Obschon sich der Geseker, der zur Tatzeit 19 Jahre alt war, zwei Mal den Richtern des Paderborner Landgerichts stellen musste, bleibt sein Motiv letztlich im Dunklen.
Es ist eine laue Sommernacht, in der bei der Polizei ein Notruf eingeht. Nils F. meldet, dass er in der Nähe von Büren seinen Freund Marvin N. schwer verletzt gefunden habe. Er lotst die Rettungskräfte über Feldwege zu einer einsamen Scheune, doch für den 17-Jährigen kommt jede Hilfe zu spät. Sein Leichnam zeigt schwerste Verletzungen an Kopf und Hals, sodass sofort der Verdacht eines Gewaltverbrechens aufkommt und eine Mordkommission ihre Ermittlungen aufnimmt.
Der grausame Mord ist nun Thema in der neuen Episode von "OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen".
Scheunenmord Büren - Alle Fakten im Überblick
In einer Juninacht im Jahr 2014 meldet der 19-jährige Nils F. der Polizei, seinen Freund Marvin N. schwer verletzt bei einer einsamen Scheune bei Büren gefunden zu haben.
Als die Polizei eintrifft, ist der 17-jährige Marvin N. bereits tot. Die Verletzungen zeigen, dass ihm mehrmals mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen und die Kehle mit einem Messer durchgeschnitten wurde.
Da die Aussagen seines Freundes Nils F. nicht zu den festgestellten Tatsachen passen, fällt der Verdacht schnell auf den Freund des Opfers. Noch in der Nacht gesteht der 19-Jährige die Tat.
Ein Streit in Liebesdingen und eine Rangelei sind laut Nils F. dem tödlichen Angriff vorausgegangen. Als Tatmotiv bleibt diese Erklärung für alle Beteiligten eher unbefriedigend.
Nils F. wird zu einer Jugendstrafe wegen Totschlags zu sieben Jahre und neun Monate Haft verurteilt.
Die Beamten nehmen noch in derselben Nacht Nils F. als möglichen Täter ins Visier, zu wenig passt seine Aussage zu den Feststellungen, die sie vor Ort gemacht haben. Wenige Stunden später legt der 19-Jährige ein Geständnis ab.
Täter und Opfer hatten gemeinsame berufliche Pläne
Im Oktober 2014 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes gegen den Auszubildenden, im Dezember beginnt der Prozess vor der 5. Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Paderborn. Bis in den Januar hinein ringen die Richter nicht nur um ein gerechtes Urteil, sie wollen vor allem ergründen, warum Nils F. seinen Freund tötete, jenen Menschen, mit dem er gemeinsame berufliche Zukunftspläne geschmiedet hatte. Doch weder die Eltern des getöteten 17-Jährigen, denen Nils F. fast als ein Familienmitglied galt, noch die Freunde der jungen Männer können Hinweise darauf geben, was zwischen dem Angeklagten und seinem Opfer vorgefallen sein könnte.

Dass Nils F. erklärt, ihn habe es an diesem Sommerabend in Rage gebracht, dass Marvin N. auf der gemeinsamen Tour via Mobiltelefon mit Mädchen korrespondierte und ihm hingegen spöttisch Erfolglosigkeit in Liebesdingen vorhielt, mag niemand so recht als Motiv akzeptieren. Achteinhalb Jahre Gefängnis wegen versuchten Mordes und vollendeten Totschlags verhängen die Richter. Sie schließen zwar eine Affekttat aus und verweisen auf das Mordmerkmal "Heimtücke", weil Nils F. von hinten mit einer Eisenstange auf den Kopf seines Freundes einschlug.
Doch dass der 19-Jährige nach einem kurzen Besuch in einem Schnellimbiss zum Tatort zurückkehrte und sodann Marvin N., der noch letzte Lebenszeichen äußern konnte, die Kehle durchschnitt, werten sie nicht als vollendeten Mord, sondern als Totschlag. Damit habe der Angeklagte seine Tötungsabsicht vollendet, sind sie überzeugt.
Gesichtsverletzungen deuten auf Totschlag hin
Ein Urteil, das vor allem die Eltern des getöteten Jugendlichen nicht akzeptieren möchten. Sie legen erfolgreich Revision ein. Die Richter am Bundesgerichtshof halten es für möglich, dass die 5. Große Strafkammer mit ihrer Einschätzung falsch lag. Es müsse überprüft werden, ob die beiden Taten als ein Handlungskomplex und damit als "Heimtückemord" gewertet werden müssen.
Das geschieht im Juni 2016, fast genau zwei Jahre nachdem Marvin N. an der einsamen Scheune starb. Die Hoffnung der Eltern, ein strengeres Urteil zu erreichen, erfüllt sich nicht. Die Richter der 1. Großen Strafkammer mildern den Spruch ihrer Kollegen sogar noch ab. Ihnen fällt ein Detail auf, das in der ersten Instanz keine Beachtung gefunden hat: In dem Gesicht des 17-Jährigen hatten die Rechtsmediziner eine Verletzung festgestellt, die wohl von einem Faustschlag herrührte.
Jugendpsychiater: Den 19-jährigen Geseker nicht "bestialisieren"
Für das Gericht ein Hinweis, dass die Schilderung des Angeklagten, es habe vor der Tat nicht nur einen verbal ausgetragenen Streit, sondern auch eine Rangelei gegeben, stimmt. Man könne damit nicht mehr von einer Arglosigkeit des Opfers und einer Heimtücke der Tat sprechen, bilanzieren sie und verhängen wegen Totschlags eine Jugendstrafe in Höhe von sieben Jahren und neun Monaten.
Zuvor hat der Jugendpsychiater Tilman Elliger für Nils F. eine Lanze gebrochen. Zwar hat auch er dem jungen Mann keine befriedigende Erklärung für sein Handeln entlocken können, trotzdem steht für den Experten eins fest: Die Tat sei ein singuläres Ereignis im Leben des Nils F. und sage nichts über dessen Wesen aus. "Ich warne davor, den Angeklagten zu bestialisieren."