NRW-Ministerin Scharrenbach: "Ideologie muss raus aus der Politik"

Frau Scharrenbach, es gibt viele Krisen und Herausforderungen im Land. Worauf kommt es jetzt besonders an? Ina Scharrenbach: Wir brauchen in Deutschland wieder klare Prioritäten. Wir müssen uns konzentrieren auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Innovationskraft. Man kann nur das verteilen, was man vorher erwirtschaftet hat. Wenn Innovation hier nicht mehr stattfindet, wirkt sich das über Jahrzehnte nachteilig auf unser Land aus. Wir brauchen eine klare Fokussierung auf die Steigerung des Bruttoinlandproduktes. Teilen Sie jüngste Aussagen, wonach Deutschland und seine Wirtschaft auf dem Weg zum &bdquo;kranken Mann Europas“ sind? Die Wirtschaft unterliegt Zyklen. Ein Auf und Ab ist normal, nur viele Bürger haben das noch nicht mitgemacht. Hinzu kommt, dass der Fachkräftemangel verdeckt, dass Unternehmen schließen, dass sie den Standort Deutschland verlassen und wir zu wenige Gründungen haben. Die Fachkräfte bekommen direkt eine Anschlussbeschäftigung. Die Entwicklung in der Wirtschaft zeigt sich derzeit noch nicht in der Arbeitslosenquote. Die Wirtschaft muss wieder wichtiger werden. Ist sie das denn nicht? Nein, Deutschland hat schlicht Speck angesetzt, in allen Bereichen. Wir müssen aufpassen, dass dieses Jahrzehnt nicht das Jahrzehnt des Rückschritts wird. Das Land muss jetzt auf die Fitnessbank. Es braucht Freiheiten für die Akteure. Unser Grundproblem ist, dass die Bundespolitik den Unternehmen und Menschen vorschreiben will, was sie tun dürfen, anstatt zu sagen: Macht mal – und dann sehen wir, was passiert. Diese Politik läuft konträr zum Unternehmergeist. In den USA läuft das völlig anders, mit Erfolg. Es ist kein Zufall, dass der deutsche Impfstoffhersteller Biontech inzwischen in die USA umgesiedelt ist. Hat denn die CDU-geführte Politik des &bdquo;Macht mal“ nicht zum heutigen Stillstand geführt, den die Ampel-Koalition jetzt versucht, aufzubrechen? Entscheidungen müssen auch immer in den zeitlichen Kontext eingeordnet werden. Aber die damalige Politik hat doch auch schon vor Jahren Klimaschutz betrieben. Die Art und Weise ist nur eine andere. Die jetzige Bundesregierung überfordert das Land und mit ihnen die Kommunen und Menschen. Wir sind kaum in der Lage, Schritt zu halten, so schnell werden aktuell Gesetze geschrieben. Die Politik muss ruhiger und überlegter werden und wieder mehr abwägen, dann bekommt sie auch Sicherheit in den Debatten zurück. Gerade in unsicheren Zeiten braucht es eine Politik, die Sicherheit vermittelt. Beklagen Sie denn nicht seit Jahren zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren? Schnellere Verfahren dürfen doch nicht auf Kosten gründlicher Abwägung entstehen. Das ist aber vor allem mit Ideologie begründet. Die Ideologie ist das erste, was aus der Bundespolitik wieder raus muss. Die Unternehmen merken: Das, was aus Deutschland und der Europäischen Union kommt, ist ideologisiert – damit kommen die Menschen hier nicht zurecht. Wir brauchen wieder mehr Sicherheit, vor allem bei der Energie. Ihre Kritik richtet sich indirekt vor allem an die Grünen. Mit denen regieren Sie aber in NRW seit einem Jahr gemeinsam . . . Die Haltung bei uns ist aber eine andere als im Bund. Wir atmen in NRW ein anderes politisches Verständnis und gehen anders mit der Wirtschaft um. Bei uns gibt es sehr freiheitlich gestaltete Vorgaben. Wir machen Politik, die den Menschen vertraut. Die Ampel betreibt hingegen Mikromanagement und Ordnungsrecht bis in den Heizungskeller hinein. Kleinteiliger geht es nicht mehr. So kann man die Republik nicht regieren, weil die Menschen auf dem Weg verloren werden. Welche Folgen erwarten Sie? Diese Politik der Angst trägt mit zum Höhenflug extremistischer Parteien bei, weil sie die Leute nicht mitnimmt, sondern weil man ihnen stets erzählt, dass der Untergang droht. Davon sprachen Sie doch gerade selber . . . Wenn wir so weitermachen wie zuletzt und unsere Unternehmen vergraulen, dann werden wir abgehängt. Wir als CDU vertrauen aber den Menschen und bieten ihnen Möglichkeiten, kreativ zu werden, um selber Lösungen zu finden. Das ist der Unterschied. Außerdem reden wir das bislang Erreichte beim Klimaschutz nicht nur schlecht, sondern weisen auch auf Chancen und Erfolge hin. Braucht es angesichts der Stärke der AfD einen neuen Grundkonsens der demokratischen Parteien? Ja, den braucht es. Wir dürfen uns den Sprachraum nicht wegnehmen lassen von Extremisten, sondern müssen die Sprach- und Diskussionsräume der Demokratie selber besetzen. Was heißt das? Ich bin sicher, dass die SPD niemals mit Extremisten zusammenarbeiten würde. Ich würde nie so weit gehen und ihnen ein Extremisten-Problem unterstellen. Genau das wirft die SPD uns als CDU aber vor – zum Beispiel, indem SPD-Chefin Esken im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke von CDU-Versäumnissen beim Kampf gegen Rechtsextremismus spricht – und sagt, er hätte verhindert werden können. Das ist eine Sauerei, so etwas gehört sich nicht. Das ist zum einen falsch und zum anderen vergiften solche Aussagen den demokratischen Raum. Noch eine Frage zu Ihrer Funktion als NRW-Bauministerin. Wie blicken Sie auf den Bau- und Immobilienmarkt? Gibt es dort Anlass für Gelassenheit? Nein. In Düsseldorf ist der Preiseinbruch bei Immobilien so hoch wie seit 1980 nicht mehr. Das zeigen neuste Zahlen. Der Immobilienmarkt hat lange funktioniert, das ist jetzt nicht mehr der Fall. Das ausbleibende Wachstum in diesem Bereich dürfte sich bis in das Jahr 2025 erstrecken. Es herrscht derzeit zu viel Investitionsunsicherheit. NRW stabilisiert mit allen Kräften, wie etwa mit der verbesserten öffentlichen Wohnraumförderung und einer neuen Landesbauordnung. Aber der Bund muss endlich mitziehen.

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