Bielefeld/Oldenburg. Der ehemalige Chef der Bielefelder Rocker-Gruppe Hells Angels Nomads Turkey Abdullah Rezan Cakici ist seit exakt sechs Jahren verschwunden. Die Behörden gehen von einem Verbrechen aus. Doch um sein Verschwinden in Oldenburg ranken sich weitaus mehr Gerüchte. Jetzt starten die Ermittler einen neuen Anlauf.
Rezan Cakicis letzte Stunden sind gut dokumentiert. Gegen halb acht am Abend des 3. Juli 2017 zahlt der damals 29-Jährige an einem Bankautomaten in der Oldenburger Innenstadt Geld auf sein Konto ein, eine Kamera filmt ihn dabei. Etwa eine halbe Stunde später loggt sich sein Handy in das WLAN einer Shisha-Bar unweit des Oldenburger Bahnhofs ein. Wenig später verlässt er die Bar wieder durch den Hintereingang. Seitdem fehlt von dem ehemaligen Rocker jede Spur.
Der schockierende Fall ist nun Thema in der neuen Episode von "OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen".
Rezan, der ursprünglich aus dem niedersächsischen Westerstede stammt, ist groß. Über 1,90 Meter. Auf Fotos im Internet sieht man, dass er zudem durchtrainiert ist. Sein ganzer Körper ist tätowiert, auf seinem rechten Oberarm prangt das Gesicht des kubanischen Revolutionärs Ernesto Che Guevara. Andere Fotos zeigen ihn mit tätowierten Schriftzügen und Symbolen des Rocker-Clubs Hells Angels.
Rocker um Rezan Cakici sorgten für Aufsehen

Zeitweise war Cakici Chef der Hells Angels Nomads Turkey in Bielefeld, einem Zusammenschluss türkischstämmiger Rocker. Gerüchten zufolge sollen sie im Bielefelder Bahnhofsviertel, einem beliebten Ausgehviertel, Schutzgeld erpresst haben. Einmal lösten sie hier einen riesigen Polizeieinsatz aus, als sie in einer Diskothek auftauchten. Offenbar wollten sie feiern. Das war Ende 2013. Auf Fotos des Abends lässt sich unter den eingekesselten Rockern auch Rezan erahnen. Die Polizei in Bielefeld will sich auf Anfrage nicht zu der Rocker-Gruppe um Rezan Cakici äußern.
Rezan Cakici hat es schon vor seinem Verschwinden zu einer gewissen Prominenz geschafft. Grund dafür war seine Zeit bei den Hells Angels. Denn mit denen schien er im schlechten auseinandergegangen zu sein - er soll rausgeworfen worden sein. "Out in bad standing", heißt das in der Szene. Die Ursache dafür liegt in Rezans Religion. Denn er ist stolzer Kurde. Das passte anderen Rockern im Club scheinbar nicht. Zumindest deutet Rezan das in einem Video an, das er damals veröffentlichte und in dem er den Rocker-Club massiv angriff - und worüber verschiedene Medien spätestens nach seinem Verschwinden berichteten. Als "Rezan aus Bielefeld" stellt er sich darin zu Beginn vor.
Ermittler gehen fest von einem Verbrechen aus
Ist Rezan Cakicis Verschwinden eine verspätete Rocker-Rache gewesen? "Dafür liegen zumindest keine konkreten Anhaltspunkte vor", sagt Jens Zander von der Kripo aus Oldenburg, der mittlerweile die Ermittlungen übernommen hat. Generell spiele Cakicis Zeit bei den Bielefelder Rockern nur eine kleine Rolle. "Schwerpunkt ist für uns, Rezan Cakici zu finden. Daraus würden dann sicherlich auch Rückschlüsse auf ein mögliches Tatmotiv herzuleiten sein", betont Zander generell.

Zudem entschuldigte sich Rezan später für das Video, die Wogen sollen geglättet worden sein. Dass es sich bei seinem Verschwinden aber um ein Verbrechen handelt, steht für die Ermittler dagegen mit großer Sicherheit fest, ergänzt der ermittelnde Oldenburger Oberstaatsanwalt Thomas Sander.
Dabei ranken sich seit dem 3. Juli 2017 verschiedene Gerüchte um Cakicis plötzliches Verschwinden. Zum Beispiel, dass er im Ausland untergetaucht sein könnte. Oder sogar, dass er sich in einem Zeugenschutzprogramm befindet. Oder dass die kurdische Untergrundorganisation PKK eine Rolle spielen könnte. Von all diesen Gerüchten habe man Kenntnis, sagt Ermittler Sander. Dafür liegen aber zumindest keine konkreten Anhaltspunkte vor.
Viele Gerüchte um sein Verschwinden
Andere Gerüchte besagen, sein Verschwinden könnte etwa mit unterschlagenem Drogengeld zusammenhängen, das er seinem Cousin - seines Zeichens Mitglied bei den Hells Angels im Raum Bremen - abgenommen haben soll. Wirklich beweisen lässt sich das für die Ermittler offenbar nicht. Rezans Cousin stand zumindest im Fokus der Ermittler, setzte sich in die Türkei ab - kehrte später aber zurück. Denn verdichtet haben sich die Hinweise offenbar nicht.
Was die Polizei aber weiß: Am Abend von Rezan Cakicis Verschwinden warteten Freunde von seinem Cousin in einem Auto nahe der Shisha-Bar. Die Spuren verlieren sich aber.
Verwandter erschossen, Sprengsatz unter Auto
Das Verschwinden Rezans sorgte innerhalb der Familie für Streit. Auch hier wurde sein Cousin offenbar verdächtigt. Wenige Woche nach seinem Verschwinden suchten Rezan Cakicis Vater und dessen Bruder die Firma des Cousins in Oldenburg auf. Der war aber schon im Ausland. Sie trafen auf einen Mitarbeiter. Die Hintergründe des Gesprächs sind nicht genau geklärt. Es ging wohl erst um Rezan, später soll es auch um Geld gegangen sein. Dann wird ein Messer gezogen - und Schüsse fallen. Der Bruder von Rezans Vater stirbt, der Mitarbeiter hatte ihn erschossen. Aus Notwehr, urteilte ein Gericht.
Vorbei ist der brisante Fall noch immer nicht. Denn wenige Monate später explodierte ein Sprengsatz unter dem Auto von Rezans Vater. Kein Mordanschlag, aber eine Drohung. Hintergründe sind den Ermittlern nicht bekannt.
Fall Rezan Cakici ist ein Cold Case
Rezan bleibt derweil weiter verschwunden. Die Hintergründe sind unklar. Wie konnte der muskelbepackte Ex-Rocker an einem frühen Sommerabend, mitten in der Oldenburger Innenstadt, so plötzlich verschwinden? Ermittler haben ihre Vermutungen - brauchen aber neue Hinweise. Dafür starten sie einen erneuten Aufruf. Sie suchen Zeugen. Auch diejenigen, die anonym bleiben wollen. Laut Oberstaatsanwalt Sander sollen sie sich dafür nun über Hinweisportale an die Behörden wenden können - auch anonym. Ist der passende Hinweis sechs Jahre später dabei? Bis dahin bleibt der Fall Rezan Cakici ein Cold Case - ein ungelöster Mordfall. Wahrscheinlich.
Mögliche Zeugen können der Polizei in einem neu eingerichteten Hinweisportal Fotos oder Videos zuschicken. "Auch vermeintlich irrelevante Schnappschüsse von Abdullah Rezan Cakici können dabei hilfreich sein", betonen die Ermittler. Hier geht es zu dem Portal der Polizei.