Bald Pflicht? Bielefelder entwickeln einen Fahrcheck für Senioren

Bielefeld. Um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, plant die Europäische Union eine Führerschein-Reform. Vorgesehen ist unter anderem, dass Senioren ab dem 70. Lebensjahr alle fünf Jahre ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen müssen. In einigen Ländern ist das bereits Praxis, in Deutschland bislang nicht. Dem Entwurf zufolge müssen künftig alle Mitgliedstaaten der EU Führerscheine von Bürgern, die 70 Jahre alt sind, auf maximal fünf Jahre befristen. Doch sind Senioren wirklich ein Risiko? Ein Team des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) um Psychologe Max Töpper untersucht bereits seit zehn Jahren die Fahrtauglichkeit im Alter und hat einen Fahrkompetenzcheck entwickelt, für den die Wissenschaftler Probanden suchen. Anlass waren nach Angaben Töppers Beobachtungen in der Gedächtnisambulanz des EvKB. Dort können sich Menschen untersuchen lassen, die den Verdacht haben, an Demenz erkrankt zu sein. &bdquo;Uns sind immer wieder Patienten aufgefallen, die bereits an einer fortgeschrittenen Demenz litten und deshalb zahlreiche Einschränkungen aufwiesen, jedoch selbstverständlich mit dem Auto zur Untersuchung kamen und danach auch wieder nach Hause fuhren“, erklärt Töpper. &bdquo;Das ist gefährlich, denn Demenz schränkt die Fahrtauglichkeit von Betroffenen ein.“ Klare gesetzlichen Vorgaben für Demenzkranke im Straßenverkehr existieren laut Töpper nicht. Für die Beurteilung der Fahrtauglichkeit gibt die Bundesanstalt für Straßenwesen zwar die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung heraus. Die umfassen Vorgaben für Betroffene mit verschiedenen Erkrankungen, Behinderungen und anderen Einschränkungen. &bdquo;Klar sind die Vorgaben für Krankheiten wie Epilepsie oder bei Einschränkungen des Sehvermögens, doch bei Demenz und anderen altersassoziierten Erkrankungen lassen sie einen großen Interpretationsspielraum zu.“ Valide Selbsteinschätzung bei Demenz häufig nicht mehr möglich Dabei gibt die Fahrerlaubnisverordnung vor, dass jeder Verkehrsteilnehmer selbst dafür verantwortlich ist, sich selbst und andere nicht zu gefährden. &bdquo;Das setzt jedoch eine valide Selbsteinschätzung voraus, die bei Demenzkranken häufig nicht möglich ist. Sie sind also gar nicht mehr dazu in der Lage, ihre Fahrtauglichkeit korrekt bewerten zu können“, erklärt Töpper, Leiter der Arbeitsgruppe &bdquo;Altern und kognitive Neurowissenschaften“ am EVKB. Doch auch ohne Demenz oder andere altersassoziierten Erkrankungen sinke im Alter die Fähigkeit zur korrekten Selbsteinschätzung. So zeigt eine Studie von Töpper und seinem Team, dass 25 Prozent der untersuchten Senioren ihre Fahrtauglichkeit überschätzen. &bdquo;Diese Überschätzer verursachen im Vergleich zu den 75 Prozent, die sich richtig einschätzen, mehr Unfälle und fahren insgesamt schlechter.“ Alter ist nach Angaben von Psychologe Daniel Schlüter ein Risikofaktor für die Fahrtauglichkeit. &bdquo;Das betrifft jeden Menschen, weil im Alter die kognitiven, motorischen und sensorischen Fähigkeiten nachlassen.“ Zudem steige das Risiko für Krankheiten, die die Fahrtauglichkeit beeinflussen, erheblich an. &bdquo;Manche Menschen bemerken diese Einflüsse beim Fahren bereits im Alter von 65 Jahren, andere erst mit 85 Jahren.“ Die aktuelle Studie im EvKB zeigt, dass etwa 20 Prozent der 150 untersuchten Patienten nicht mehr fahrtauglich waren. &bdquo;Die Dunkelziffer schätze ich jedoch deutlich höher ein, denn die Senioren, die wir untersuchen, kommen freiwillig.“ Psychologe spricht sich für verpflichtendes Fahrtests aus Töpper spricht sich deshalb für verpflichtende Fahrtests aus. Allerdings wären hier nach Angaben des Psychologen eine 50-minütige Beobachtungsfahrt mit einem Fahrlehrer und einem Gutachter sowie kognitive Tests und ein Beratungsgespräch notwendig. &bdquo;Dieses Procedere ist allerdings sehr teuer. Außerdem muss man diskutieren, ab welchem Alter diese Tests stattfinden, um einer Stigmatisierung entgegen zu wirken.“ Töpper spricht sich zudem dafür aus, verpflichtende Fahrtests von der jährlichen Kilometerleistung abhängig zu machen. &bdquo;Wer rastet, der rostet, gilt auch für Autofahrer. Menschen, die viel fahren, fahren in der Regel auch gut. Da viele Menschen jedoch mit dem Eintritt ins Rentenalter weniger fahren, steigt auch das Unfallrisiko.“ Eine Idee zur Überprüfung wäre nach Angaben des Psychologen ein verpflichtendes Fahrtenbuch. &bdquo;Dann könnten diejenigen, die ab einem bestimmten Alter weniger fahren, regelmäßig getestet werden oder zu zusätzlichen Trainingseinheiten verpflichtet werden.“ Freiwillige Tests reichen laut Töpper hingegen nicht aus. &bdquo;Die gibt es bereits und werden hauptsächlich von sehr gewissenhaften Menschen gebucht, die noch gut fahren.“ Zudem zeigen auch die Studien im EvKB, dass die meisten Senioren, denen nach freiwilligen Tests Fahrtraining empfohlen wird, dieser Empfehlung nicht folgen. Die Quote liege bei lediglich zehn Prozent. Und das, obwohl nach Angaben Schlüters auch Senioren ihre Fahrtauglichkeit verbessern können. Oft würden schon eine neue Brille, Physiotherapie zur Verbesserung der Beweglichkeit oder ein paar Fahrstunden mit einem Fahrlehrer helfen. Ärzte dürfen fahruntaugliche Patienten nur in Ausnahmefällen melden In Fällen, bei denen die Fahrerlaubnisbehörde zu dem Schluss kommt, dass eine Person nicht mehr zur Teilnahme am Straßenverkehr geeignet ist, kann sie dem Betroffenen den Führerschein entziehen. &bdquo;Das darf in Deutschland auch nur diese Behörde und auch Ärzte dürfen fahruntaugliche Patienten nur in absoluten Ausnahmefällen melden, in denen das Risiko einer Selbst- oder Fremdgefährdung besteht“, erklärt Töpper. Kommt es zum Entzug der Fahrerlaubnis, sollten Betroffene nach Angaben des Psychologen darauf vorbereitet werden. &bdquo;Studien aus den USA zeigen, dass der unfreiwillige Führerscheinentzug erheblichen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben kann, weil der Führerschein für Autonomie und Freiheit steht.“ Betroffene müssen laut Töpper deshalb dabei unterstützt werden, Mobilitätsalternativen für das Auto zu finden.

Meistgelesen