Jugendforensiker erklärt Fall Luise (12): Warum töten Kinder? Es gibt mehrere Risikofaktoren

Bielefeld. Die zwölfjährige Luise soll von zwei Mädchen (12 und 13 Jahre) erstochen worden sein – ein Fall, der bundesweit für Entsetzen sorgt. Doch was macht Kinder eigentlich zu Gewalttätern? Experten sehen hier verschiedene Faktoren, die solche Taten begünstigen. "Die Umstände weisen auf eine affektive Situation hin, womöglich auf viel Hass", sagt Falk Burchard, leitender Arzt der Jugendforensik am Klinikum Marsberg, zum Fall Luise. Sie soll mit mehreren Stichen, zugefügt mit einem normalen Küchenmesser, getötet worden sein. "Dass so etwas unter Kindern passiert, ist ein absoluter Einzelfall." Dennoch gebe es durchaus Gründe, derentwegen manche Kinder oder Jugendliche eher dazu neigen, solche Taten zu begehen als andere. "Häufig kann man bei solchen Taten schon fast von einem Unfall sprechen: Es sind Situationen, die den Kindern entgleist sind", sagt Burchard. "Kinder sind sich dann ihrem Handeln und den Folgen nicht wirklich bewusst." Gegenseitiges Anstacheln in der Gruppe Generell unterscheidet Burchard zwischen situativen und individuellen Faktoren. "Situative Faktoren sind zum Beispiel Gruppendelikte, bei denen Kinder sich in die Situation reinsteigern, sich sogar gegenseitig anstacheln und so Affekte entstehen", erklärt der Mediziner. "Dabei können die Kinder häufig nicht einschätzen, wie berechtigt ihre Meinung und ihr Handeln ist." >>> Luise (12) erstochen – Eltern der verdächtigen Mädchen haben Freudenberg verlassen Hinzu kommen individuelle Faktoren. "Man gerät zum Beispiel leichter in eine aggressive Haltung, wenn man entsprechende Vorbilder hat. Sei es im privaten oder im medialen Umfeld", sagt Burchard. "Etwa, wenn Kinder Gewalt am eigenen Leib oder sich Gewalttäter als Vorbilder nehmen." Beispielsweise könne das ein gewalttätiger Vater oder auch eine gewalttätige oder impulsive Mutter sein. "Deren gewalttätige Handlung hat leider nicht wirklich Konsequenzen. Und eben das wird dem Kind vermittelt." Manche Minderjährige tragen Waffen bei sich Bei Gewalttätern im Kindesalter sei zudem oft zu beobachten, dass es ihnen an Empathie fehle. "Das kann an einer nicht kindgerechten Versorgung durch Bezugspersonen liegen. Etwa, wenn wenig auf das Kind geachtet wurde", sagt Burchard. "Es gibt aber auch psychische Störungen, die das hervorrufen." Es gebe allerdings noch einen weiteren Risikofaktor, den Burchard beobachtet. "Viele Jugendliche, teils sogar Kinder – vor allem männliche – tragen mittlerweile immer öfter Waffen, wie zum Beispiel ein Messer, bei sich." Dadurch, so der Experte, fühlten sich die Minderjährigen stark oder sicher. Doch das sei ein Trugschluss. Denn im Falle einer Bedrohung sorge das mögliche Ziehen eines Messers für weitaus mehr Gefahren. "Es können dabei Situationen entstehen, die die Minderjährigen nicht mehr überblicken können – und plötzlich wird das Messer sogar eingesetzt." Genaues Motiv bleibt noch offen Die Hintergründe und das Motiv der mutmaßlichen Täterinnen sind derweil noch völlig unklar. Die Ermittler wollen noch immer nicht näher darauf eingehen. Klar ist nur: Die beiden Mädchen haben gestanden, Luise am 11. März in einem Waldstück an der Grenze von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erstochen zu haben. Ihre Leiche wurde im Rahmen einer groß angelegten Suche wenig später gefunden. Nach der Tat kam es auch zu einer Diskussion um die Strafmündigkeit der beiden Mädchen. Beide sind unter 14 Jahren alt und können daher strafrechtlich nicht belangt werden. Sie wurden allerdings bereits aus ihren Familien geholt und an einem anderen Ort untergebracht, heißt es vom zuständigen Jugendamt. Gegen die beiden Mädchen richtete sich in den Tagen nach der Tat eine Welle an Hass in sozialen Medien. Ermittler sperren Accounts Das hat dafür gesorgt, dass die Seiten der beiden tatverdächtigen Mädchen in sozialen Netzwerken gesperrt wurden. "Uns bekannte Social-Media-Kanäle wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft geschlossen", sagte ein Sprecher der Polizei Siegen-Wittgenstein am Freitag. Der Polizeisprecher verwies auf die Persönlichkeitsrechte der beiden Mädchen. In sozialen Netzwerken hatte es auf den Profilen teils anonymer Nutzer zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die Tatverdächtigen gegeben. Laut Polizei wird laufend geprüft, ob strafrechtlich Relevantes gepostet wird.

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