Sonderkonferenz am Montag

Tödlicher Angriff: Schuldzuweisungen in der Debatte über Aschaffenburg

Bei der Attacke am Mittwoch sind zwei Menschen ums Leben gekommen, darunter ein Zweijähriger. Wieso der mutmaßliche Täter nicht längst abgeschoben wurde, wird weiter diskutiert.

Menschen stellen als Zeichen ihrer Anteilnahme im Park Schöntal Kerzen auf. | © Arne Dedert/dpa

24.01.2025 | 25.01.2025, 16:28

Aschaffenburg (dpa). Nach dem zweifachen Mord durch einen 28-jährigen Afghanen im bayerischen Aschaffenburg soll am kommenden Montag eine Sonder-Innenministerkonferenz stattfinden. Das erfuhr das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) aus Sicherheitskreisen. Demnach hat der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), der aktuell den IMK-Vorsitz inne hat, die Innenministerinnen und -minister der Länder und des Bundes eingeladen. Bei der Konferenz soll es auch um den Umgang mit psychisch kranken Straftätern gehen.

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, warnte vor Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken: „Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten“, sagte sie dem RND. Wenn Psychiater und Therapeuten Hinweise darauf erhielten, dass ein Patient eine Gefahr für sich oder andere darstelle, könnten sie aber auch heute schon tätig werden.

Fragen und Antworten: Warum war der Verdächtige von Aschaffenburg noch frei?

Der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner hält nach den Attentaten der vergangenen Monate – zuletzt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt – auch für möglich, dass es zu Nachahmungseffekten kommt. „Je häufiger man von solchen Taten liest, umso eher kopieren das andere“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Aber die Probleme nicht zu diskutieren, wäre auch völlig falsch. Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es nicht.“

Ermittler geben sich zugeknöpft

Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg und die Kriminalpolizeiinspektion Aschaffenburg wollen an Tag zwei nach der Tat keine Einzelheiten zum Ermittlungsstand veröffentlichen. „Unter anderem, weil selbstverständlich eine mögliche Beeinflussung der Erinnerung von Zeugen ausgeschlossen bleiben muss“, begründete Oberstaatsanwalt Marco Schmitt diese Entscheidung.

So bleibt unter anderem offen, ob die Leichen der Todesopfer - ein zweijähriger Junge mit marokkanischer Herkunft und ein 41 Jahre alter Deutscher - bereits obduziert wurden und an welchen Verletzungen sie starben.

Auch Details zum möglichen Tatablauf gibt es nicht. Öffentlich bekannt ist daher nicht, ob die Ermittler davon ausgehen, dass der verdächtige Afghane gezielt die Kinder einer Kita-Gruppe mit einem Küchenmesser angriff. Dabei wurden ein zweijähriges, syrisches Mädchen und ein 72 Jahre alter Deutscher schwer verletzt. Zudem brach sich eine Erzieherin in dem Tumult einen Arm.

Erzieherin nach Messerangriff nicht mehr in Klinik

Ein Teddybär liegt neben Blumenkränzen und Kerzen auf dem Boden und erinnert an den tödlichen Messerangriff. - © Daniel Vogl/dpa
Ein Teddybär liegt neben Blumenkränzen und Kerzen auf dem Boden und erinnert an den tödlichen Messerangriff. | © Daniel Vogl/dpa

Rund 3.000 Menschen hatten sich am Donnerstagabend nach der Schreckenstat zu einem stillen Gedenken in dem Park versammelt, in dem ein zweijähriger Junge und ein 41 Jahre alter Mann am Mittwoch erstochen worden waren.

Die bei der Messerattacke schwer verletzte Erzieherin hat das Krankenhaus mittlerweile verlassen. Das zweijährige Mädchen aus Syrien und ein 72 Jahre alter Deutscher, die von dem Angreifer schwer verletzt wurden, befinden sich nach wie vor in einer Klinik. „Das Kind wird nicht vor Montag entlassen“, sagte ein Polizeisprecher.

Der 28 Jahre alte Afghane, der dafür verantwortlich sein soll, wurde per Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Ihm wird zweifacher Mord, zweifacher versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

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Gewalttäter bekannt und zweimal in Psychiatrie eingewiesen

Polizeibeamte begleiten den mutmasslichen Täter (2.v.l.) nach dem tödlichen Angriff in einem Park im Amtsgericht Aschaffenburg zur Vorführung beim Haftrichter. - © Daniel Löb/dpa
Polizeibeamte begleiten den mutmasslichen Täter (2.v.l.) nach dem tödlichen Angriff in einem Park im Amtsgericht Aschaffenburg zur Vorführung beim Haftrichter. | © Daniel Löb/dpa

Der mutmaßliche Gewalttäter war der Polizei und der Justiz schon seit längerem bekannt – unter anderem wegen Gewaltvorwürfen und psychischer Auffälligkeiten. So soll er in einer Polizeistation randaliert und dabei drei Polizisten verletzt haben. Seit Dezember vergangenen Jahres stand er unter Betreuung, schon vorher soll er zweimal polizeilich in eine Psychiatrie eingewiesen worden seien.

Eines der laufenden Ermittlungsverfahren gegen ihn war nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen, weil die Behörde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt habe. Dieser Auftrag sei aber zunächst ausgesetzt worden, weil die Zentrale Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, der Beschuldigte wolle freiwillig ausreisen.

Zuvor hatte er nach Angaben von Bayerns Innenminister Herrmann wegen fehlender Kommunikation zwischen Behörden und einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben werden können.

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Schuldzuweisungen in der Debatte über Aschaffenburg

Mitten im Bundestagswahlkampf gehen nach der Attacke die gegenseitigen Schuldzuweisungen weiter. Wie schon Bundeskanzler Olaf Scholz sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) im ZDF-„heute journal“ von Versäumnissen auch in Bayern. „Für die Abschiebungen sind die Länder vor Ort zuständig. Wir stellen fest, dass wir zu wenig Abschiebehaftplätze haben und ja, wir haben hier Vollzugsdefizite.“

Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten stehen in der Nähe eines Tatortes. - © Ralf Hettler/dpa
Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten stehen in der Nähe eines Tatortes. | © Ralf Hettler/dpa

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Der Täter war ausreisepflichtig und hätte nicht mehr im Land sein dürfen. Deutlich wird erneut: Wir haben es in erster Linie mit einem Vollzugsproblem zu tun, keinem gesetzgeberischen.“ Scholz forderte in der „Bild“ einen „Mentalitätswandel in allen Behörden“, die inzwischen verschärften Gesetze auch umzusetzen.

Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) wies Vorwürfe in den ARD-„Tagesthemen“ zurück. Zu der Frage, ob Abschiebungen besser in die Zuständigkeit des Bundes übergehen sollten, sagte er: „Wenn der Bund sagen würde (...), er will das alles übernehmen, hätte ich nichts dagegen – aber das ist keine Forderung, die wir an den Bund richten.“

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Reul für Debatte über Kompetenzen der Sicherheitsbehörden

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) forderte eine Debatte über Datenschutz und Sicherheitskompetenzen der Behörden. „Wir haben in der Vergangenheit viel zu oft darüber geredet, was alles nicht geht. Wir müssen aber darüber reden, was geht und wie weit wir gehen können“, sagte Reul im WDR2 Morgenmagazin.

Man komme um das Thema nicht mehr drumherum: „Da muss die Politik und am Ende die Gesellschaft mal entscheiden, wie weit wir gehen dürfen“, forderte der Innenminister. „Es gibt da nicht nur entweder „Datenschutz ja“ oder „Datenschutz nein“.“ Wenn man mehr Abschiebungen wolle, müsse man auch die Voraussetzungen dafür schaffen.

Faeser und Söder bei Trauerfeier in Aschaffenburg

Faeser plant zusammen mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an der für diesen Sonntag in Aschaffenburg geplanten Trauerfeier teilzunehmen. Aus Sicherheitsgründen würden dafür unter anderem Straßen gesperrt, sagte eine Sprecherin der Stadt. Zum Gottesdienst in der Stiftskirche sind nur geladene Gäste zugelassen. Ob auch Angehörige der Opfer teilnehmen werden, war zunächst unklar.

Söder ordnete für Sonntag eine landesweite Trauerbeflaggung an. „Die Gewalttat von Aschaffenburg ist unfassbar und schockierend. Bayern zeigt Solidarität. Wir trauern mit den Angehörigen und beten für die Opfer und die Verletzten“, teilte er mit.