Allein seit 2019: Mehr als 100 Häftlinge in NRW auf der Flucht

Bielefeld. In den vergangenen Jahren sind in Nordrhein-Westfalen mehrere hundert Straftäter aus den Justizvollzugsanstalten (JVA) geflohen. Von ihnen gelten noch immer mehr als 100 als flüchtig. Das berichtet ein Sprecher des NRW-Justizministeriums dieser Redaktion. Die allermeisten Häftlinge mussten für ihre Flucht aber keine Sicherheitsvorkehrungen überwinden. Allein in den Jahren zwischen 2019 und 2021 sind 394 Häftlinge aus dem sogenannten offenen Vollzug entwichen – sie sind also beispielsweise nach ihrer regulären Zeit tagsüber in Freiheit nicht in die JVA zurückgekehrt. Zahlen für das vergangene Jahr unterlägen aktuell einer Validitätsprüfung und stünden noch nicht abschließend fest, so der Sprecher. "Signifikante Abweichungen werden allerdings nicht erwartet." Heißt: Auch im vergangenen Jahr wird die Zahl der geflüchteten Häftlinge etwa im dreistelligen Bereich liegen. Während im offenen Vollzug nur wenige Vorkehrungen gegen sogenannte "Entweichungen" getroffen werden und viele Häftlinge tagsüber einer Arbeit nachgehen, ist das im geschlossenen Vollzug anders. Dennoch haben es seit 2019 auch in diesem Bereich sieben Häftlinge geschafft, zu fliehen. Je ein Häftling aus der JVA Bochum und der JVA Bielefeld-Brackwede entkamen direkt aus dem Gefängnis. Im Bielefelder Fall nutzte ein Mann, der kurz zuvor zur Untersuchungshaft eingeliefert wurde, im Sommer 2021 Baumaßnahmen, um über die Mauern zu entkommen. Während er allerdings kurz nach seiner Flucht gefasst wurde, ist der Straftäter aus Bochum weiter flüchtig. 45 Häftlinge fehlen in OWL Hinzu kommen fünf Verurteilte, die im Rahmen von sogenannten Ausführungen außerhalb der geschlossenen Anstalt entkamen. Hier gelang die Flucht Häftlingen der Justizvollzugsanstalten Werl, Düsseldorf, Essen, Bielefeld-Brackwede und Detmold. Die Person aus Detmold ist noch immer flüchtig. Die Person aus der JVA Bielefeld-Brackwede war kurzzeitig während eines Gerichtstermins entwischt, wurde aber wenig später wieder gefasst. Neben den zwei Straftätern aus dem geschlossenen Vollzug gelten insgesamt 101 Verurteilte aus dem offenen Vollzug seit 2020 als flüchtig (Stand: 19. Januar). Davon 37 aus der JVA Bielefeld-Senne, der größten Anstalt ihrer Art in Europa, sowie acht aus der JVA Hövelhof. Ein Sprecher berichtet: Zahlen dazu, wie viele Inhaftierte über diesen Zeitraum hinaus in NRW generell als flüchtig gelten, liegen aktuell nicht vor. Eine entsprechende Auswertung sei nur unter enormem Aufwand möglich. Rocker-Flucht sorgt für Aufsehen Erich Rettinghaus, NRW-Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, berichtet: "Der Grund dafür, wenn Menschen aus dem offenen Vollzug verschwinden, sind extrem vielfältig. Häufig sind es persönliche Anliegen, manchmal auch Lappalien." Diese können häufig schnell wieder gefasst werden. Schwieriger seien die Fälle von Geflüchteten, die ihr Verschwinden vorab lange geplant haben. "Manche setzen sich ins Ausland ab, teils in Länder, die nicht ausliefern. Dort sind sie sicher." Mitunter haben die geflohenen Straftäter zudem Kontakte in kriminelle Milieus, die die Flucht unterstützen, so Rettinghaus weiter. Zuletzt sorgte ein Fall in Euskirchen für Aufsehen. Ein führender Rocker der Bandidos aus Köln, der wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz in Haft saß, floh Mitte Januar aus dem offenen Vollzug der dortigen JVA. Er war zuvor seit November 2021 im geschlossenen Vollzug in Remscheid und Rheinbach (Rhein-Sieg-Kreis) untergebracht. Im Juni sollte er entlassen werden, daher wurde er nach Euskirchen verlegt. Der Rocker war laut Berichten nach einer Schießerei auf offener Straße mit einem Rocker-Rivalen der Hells Angels verurteilt worden. Das Bandidos-Mitglied ist noch immer flüchtig.

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