Hohe Kaiserschnittrate in NRW hat mehrere Gründe

Bielefeld/Herford. Jede dritte Geburt in NRW ist ein Kaiserschnitt, die Zahlen steigen seit Jahrzehnten langsam aber kontuinuierlich an. Damit liegt das bevölkerungsreichste Bundesland gleichauf mit dem bundesweiten Durchschnitt. Auch in OWL gibt es eine hohe Kaiserschnittrate. Doch warum entbinden heute weniger Frauen auf natürliche Weise? Die Gründe sind vielfältig. In den Kreißsälen der Mühlenkreiskliniken in Lübbecke, Bad Oeynhausen und im Uniklinikum Minden lag die Kaiserschnittrate im vergangenen Jahr bei zusammen 32 Prozent. Das galt auch für das Vorjahr. "Allerdings unterscheidet sich die Rate stark nach Standort", so Sprecher Christian Busse. Im Universitätsklinikum Minden sei die Rat mit 40 Prozent am höchsten. "Das liegt unter anderem daran, dass Risikogeburten in großen Perinatalzentren wie in Minden der höchsten Versorgungsstufe erfolgen." Daher sei die Kaiserschnittrate hier deutlich höher als am Krankenhaus Lübbecke und am Krankenhaus Bad Oeynhausen, wo die Kaiserschnittrate unter 20 Prozent liege. Gleiches gilt für das Klinikum Herford, das ebenfalls ein Perinatalzentrum hat und 35 Prozent Kaiserschnitte vorweist. Eine Ausnahme bildet das Perinatalzentrum der Frauen- und Kinderklinik St. Louise in Paderborn. Hier liegt die Kaiserschnittrate bei 26,4 Prozent. Im St. Josefs-Krankenhaus sind es 17,3 Prozent. Auch im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld entbindet jede dritte Frau per Kaiserschnitt. In den Augen von Constanze Banz-Jansen, Chefärztin in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, ist es allerdings wichtig, genau zu differenzieren. "Man muss zum Beispiel beachten, dass das Durchschnittsalter von Gebärenden in den vergangenen 30 Jahren permanent angestiegen ist. Anfang der 70er Jahre war eine Frau im Schnitt 24 Jahre alt bei ihrem ersten Kind. Heute sind wir bei 30, haben auch einen reellen Anteil von Frauen, die bereits 35 oder über 40 Jahre alt sind." Mit dem Alter stiegen auch die Risiken. "Viele dieser Frauen haben Übergewicht, das bringt Risiken mit sich wie Gestationsdiabetes. Und das führt wiederum zu schwereren Kindern." Ärztin aus Bielefeld verweist auf Anstieg der Mehrlings-Geburten Ein wichtiger Punkt in laut Banz-Jansen zudem das Thema Kinderwunschbehandlung. "Dadurch hat es in den vergangenen 20 Jahren einen kontinuierlichen Anstieg von Mehrlingsgeburten gegeben, die häufiger als Kaiserschnitt erfolgen." Laut Statistischem Bundesamt war 2019 jedes 27. Neugeborene ein Mehrlingskind. 1977 war es noch nur jedes 56. Kind. Doch auch andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle, wie die Studie GEscHIcK (Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal) der Uniklinik Bonn belegt. Sie zeigt, dass ein hebammengeleiteter Kreißsaal natürliche Geburtsverläufe mit weniger operativen Eingriffen und Schmerzmitteln fördert und sich die Geburtsdauer im Durchschnitt verkürzt. In den Augen von Barbara Blomeier, Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW, sind solche Bedingungen allerdings kaum noch gegeben. "Hebammen haben keine Zeit, sich in Ruhe um die Geburtsbegleitung einer Schwangeren zu kümmern. Dass der schöne Plan, die Kaiserschnittrate zu reduzieren, bisher nicht aufgegangen ist, verwundert nicht, wenn man sich die Situation in den Kliniken anschaut." Personalmangel sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei Hebammen seien an der Tagesordnung sowie jede Menge diskussionswürdiger Geburtseinleitungen, die sich über Tage hinzögen. "Und die enden dann mit einem Kaiserschnitt, weil die Mutter am Ende ihrer seelischen und körperlichen Kräfte ist." Diese schlimmen Erfahrungen führten dann dazu, dass Frauen sich beim nächsten Kind für einen geplanten Kaiserschnitt entschieden. "Und Frauen, die in der Schwangerschaft keinen Kontakt zu einer Hebamme hatten, befinden sich ohne Kenntnis von Alternativen auf einem medizinische vorgezeichneten Weg." Dieser sei auch geprägt von übersteigertem Sicherheitsdenken auf Seiten der Ärzte und Schwangeren. "Auf jeden Fall sind die Gründe für die immer noch hohe Kaiserschnittrate multifaktoriell. Und es wäre zu einfach, die Probleme nur auf Personalmangel oder Klinikschließungen zurückzuführen." Gynäkologe aus Bielefeld führt Problemgespräch mit fast jeder Erstgebärenden Dass es unter Schwangeren eine große Verunsicherung in Bezug auf die Geburt gibt, weiß auch Rolf Englisch, Gynäkologe in Bielefeld und Mitglied im Vorstand des Berufsverbands der Frauenärzte. "Kaiserschnitt oder spontane Geburt", dieses Gespräch führt er mit fast jeder Erstgebärenden. "Die haben Angst vor den Schmerzen einer natürlichen Entbindung, trauen sich das nicht zu. Und vielen geht es auch um Planbarkeit." Eine Empfehlung für den Kaiserschnitt erhalten sie bei Englisch nicht. "Wir versuchen immer, die Frauen zur Spontangeburt zu bewegen, weil es der natürliche Weg ist und ein durchgängiges Geburtserlebnis wichtig ist für Mutter und Kind." Ganz anders liefen die Gespräche mit Frauen, die das zweite Kind bekämen. "Vor allem jene, die einen Kaiserschnitt hatten, wollen in der Regel unbedingt eine Spontangeburt erleben." Auch im EvKB in Bielefeld werden die Frauen bei der Anmeldung in dieser Richtung beraten. Die meisten wünschten sich eine vaginale Entbindung, sagt Chefärztin Banz-Jansen. "Wenn es den Wunsch nach einem geplanten Kaiserschnitt gibt, dann oft aus medizinischen Gründen. "Wenn es bei einer vorherigen Geburt schwere Dammverletzungen gab, zum Beispiel, oder wenn das Kind sehr groß ist." Dass eine natürliche Geburt schlicht nicht in den Kalender passte, hat Banz-Jansen in all den Jahren erst zweimal erlebt. "Da war eine Dienstreise des Mannes im Weg. Und da haben wir dann auch nicht zugestimmt. Solche Lifestyle-Sectiones haben wir hier nicht."

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