"Stalag 326": Studenten streiten mit CDU-Politiker über richtiges Gedenken

Bielefeld. Ergibt es Sinn, den Stalinismus mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen? Eigentlich ist die Frage geregelt. Der Historiker Bernd Faulenbach hat Ende der 1990er Jahre eine Formel hervorgebracht, wonach "die NS-Verbrechen durch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus nicht relativiert werden" und umgekehrt "die stalinistischen Verbrechen durch den Hinweis auf die NS-Verbrechen nicht bagatellisiert werden dürfen". Trotzdem wird in Deutschland emotional über Gedenkstätten mit Diktaturgeschichte gestritten. Das Kriegsgefangenenlager Stalag 326 in Schloß Holte-Stukenbrock wandelte sich nach 1945 vom Internierungslager für NS-Leute zu einem Sozialwerk für Vertriebene aus dem Osten. Der lokal angesiedelte und international tätige Christdemokrat Elmar Brok will nun alle Zeitschienen gewürdigt wissen. Studentinnen und Studenten der Uni Bielefeld haben Brok zum Gespräch eingeladen. Sie erkundigen sich mit der Historikerin Christina Morina nach seinem Engagement – am Ende bleiben Fragen. In Stalag 326 waren von 1941 bis 1945 mehr als 300.000 Menschen registriert, vor allem sowjetische, aber auch polnische, französische, serbische, italienische und belgische Gefangene. Zehntausende sind gestorben, wegen der Zwangsarbeit und den Qualen des Lagers. Gemessen an der Gesamtzahl der Gefangenen war Stalag Senne laut dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) "das vermutlich größte im Deutschen Reich". Joachim Gauck sprach von einem "Erinnerungsschatten" Brok engagiert sich seit seiner Jugend für den Friedhof. Über die NS-Vergangenheit sei in seiner Heimat nicht geschwiegen worden. "Was die Nazis dort getan haben, ist unerträglich." Einige aber, so Broks heutiger Eindruck, "wollen die Gräuel des Stalinismus ausblenden". Dabei ergebe sich aus dem Ort die grundsätzliche Mahnung: "Folge keinem Diktator, es wird schlecht für dich enden." Nicht jede Zeitschiene solle an der Stätte des Gedenkens gleichen Raum erhalten. "Sie sind nicht gleichwertig, aber es gehört die gesamte Geschichte hinein – auch die Konsequenzen des Krieges." Wer das Lager als sowjetischer Soldat überlebt hat, wurde nach Sibirien geschickt. Stalin hat Kriegsgefangene als Deserteure gesehen. Anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes 2015 sprach der damalige Bundespräsident Joachim Gauck von einem "Erinnerungsschatten", aus dem die sowjetischen Kriegsgefangenen hervorgeholt werden sollten. Auch gegenüber Gauck habe er mit den drei Zeitschienen argumentiert, sagt der CDU-Politiker. "Ich stellte fest, dass wir ähnlich ticken." Der schottische Historiker Bill Niven reagiert mit klaren Worte Eine Studentin fragt nach der Aufarbeitung der Täterschaft. Brok reagiert empfindlich: "Meine Partei ist als Antwort auf den Nationalsozialismus gegründet worden. In meiner Jungen Union war die Ablehnung des Nationalsozialismus immer klar." Ein Student fragt nach seinem Verhältnis zu dem Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock", der als kommunistisch unterwandert galt. Es gebe "keine Liebesbeziehung im ständigen Austausch", entgegnet Brok. Nachfrage: Der Arbeitskreis habe sich doch aus Pfarrern gebildet? Brok, nun flapsig, sagt, er definiere sein christliches Menschenbild nicht aus dem Handeln von "fehlgeleiteten protestantischen Pastoren." Was mit der "gesamten Geschichte" konkret gemeint sei, fragt Morina. Wie sollte man die Phasen gewichten? "Die Gewichtung muss ja sichtbar sein." Zugleich müsse man zuspitzen. Auch darauf gibt Brok aus ihrer Sicht keine richtige Antwort. Eine "geteilte Wahrheit", sagt er nur, führe "zu falschen Schlussfolgerungen". Nach Meinung des schottischen Historikers Bill Niven sollte "das ursprüngliche Lager unbedingt den Schwerpunkt der Gedenkstätte bilden". Die anderen beiden Zeitebenen gehörten "nachgeordnet", sagt Niven dieser Redaktion. "Das Schicksal der geflüchteten Menschen nach dem Jahr 1945 sollte man nicht mit jenem der Kriegsgefangenen der Nazis vergleichen." Viele Gefangene seien "elendig verreckt – im Grunde handelt es sich um einen Genozid".

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