Kliniken in Not: "Die medizinische Versorgung ist schwieriger geworden"

Herr Sudhoff, wie steht es um die medizinische Versorgung der Menschen in Bielefeld und OWL? Holger Sudhoff: Die medizinische Versorgung in der Region ist gewährleistet, aber schwieriger geworden. Das liegt vor allem an der Infektionswelle, die seit Wochen durch das Land rollt. Zum einen steigt die Zahl der Notfallpatienten, zum anderen die Zahl der Personalausfälle, weil sich sehr viele Menschen mit Influenza- oder Coronaviren infizieren. Diese ungewöhnlich hohe Zahl an Ausfällen und Patienten trifft auf Krankenhäuser, die aufgrund des Fachkräftemangels große Schwierigkeiten haben, ausreichend Pflegekräfte und Ärzte zu finden. Zudem herrscht ein enormer wirtschaftlicher Druck, 60 Prozent aller Krankenhäuser sind insolvenzgefährdet. Ist die medizinische Versorgung denn noch überall in OWL gewährleistet? Die Versorgung von lebensbedrohlichen Notfällen ist gesichert, doch die termingerechte Patientenversorgung ist stark beeinflusst. Immer wieder müssen Patienten verlegt und geplante Operationen und andere Behandlungen verschoben werden, damit die vielen Notfälle versorgt werden können. Das ist problematisch, denn wenn geplante Operationen bei Patienten vier Mal verschoben werden müssen, erhöht das ihren Leidensdruck und führt zu Verunsicherung. Zudem hat es einen erheblichen Mehraufwand in den Kliniken zur Folge. Ist das ein systemisches Problem? Ja, auf jeden Fall, und die aktuelle Lage verschärft diesen Missstand. Bund und Länder investieren zu wenig in die Krankenhäuser, und das Finanzierungssystem setzt falsche Anreize. Das hat in den vergangenen Jahren zwangsläufig zu einer zunehmenden Ökonomisierung des Krankenhauswesens geführt. Beobachten lässt sich das in allen Teilen des Landes, auch in OWL. Auf der einen Seite schließen Kinder- und Geburtskliniken, weil sie sich für die Krankenhäuser nicht mehr rechnen. Auf der anderen Seite entstehen Doppelstrukturen, weil sich bestimmte Fachabteilungen finanziell besonders lohnen. Das führt dazu, dass sich das Stadt-Land-Gefälle in der Versorgung weiter verschlechtert und vorhandene Strukturen an Effizienz verlieren. Was muss passieren, damit sich das ändert? Die Fehlanreize im Vergütungssystem müssen abgeschafft werden, indem das DRG-System angepasst wird. Wichtig ist hier, dass die Vorhaltekosten der Kliniken und der tatsächliche Aufwand am Krankenbett deutlich mehr Berücksichtigung finden. Die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach gehen in diese Richtung. Klar ist aber auch: Es muss mehr Geld investiert und nicht nur eine Umverteilung vorgenommen werden. Zudem muss die Klinikreform in NRW zügig umgesetzt werden, um Doppelstrukturen abzuschaffen. Wie kann das in Bielefeld umgesetzt werden? Wir brauchen trägerübergreifende Kooperationen zwischen den drei Krankenhäusern, die ja auch viele Menschen aus anderen Teilen von OWL und Niedersachsen versorgen. Möglich ist eine virtuelle Zusammenarbeit, aber auch das Vernetzen von Fachabteilungen. Dadurch können Vorhaltekosten gesenkt und Personal effizienter eingesetzt werden. Das wird nicht einfach, da es in Bielefeld drei Krankenhäuser von drei Trägern gibt, doch es geht nicht anders, weil der Druck zu groß ist. Ich bin optimistisch, dass das klappen wird, denn anders lässt sich die Patientenversorgung nicht sichern. Darüber hinaus sind auch Kooperationen zwischen dem Universitätsklinikum OWL und anderen Unikliniken wie Münster, Bochum oder Essen möglich. Erfolgreiche Beispiele gibt es bereits, wie das "Centrum für Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf", kurz: CIO ABCD, das gemeinsame Tumorzentrum der Unikliniken Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf. Die Umsetzung der Klinikreform in NRW läuft bereits. Wie bewerten Sie den Start? Der Start hat bereits viele Defizite offengelegt, wie die fehlende Infrastruktur für ambulante Operationen und Digitalisierung. Auch die Kommunikation zwischen den Krankenhäusern muss sich verbessern. Das Aufdecken von Problemen dieser Art ist aber wichtig, um sie lösen zu können. Zudem zeigen sie, wo der Handlungsbedarf besonders groß ist und wie wichtig es ist, dass sich die Krankenhauslandschaft verändert. Wir brauchen ähnlich wie in Dänemark eine Grund- und Notfallversorgung in der Fläche, Spezialversorgung jedoch nur in wenigen Kliniken. Sind denn Landräte, Bürgermeister und andere Politiker bereit für eine so weitreichende Reform? Das ist heikel, denn Politiker bewegen sich auf dünnem Eis, wenn Schließungen von Abteilungen oder gar Krankenhäusern nötig werden. Doch die Sicherung der Patientenversorgung ist wichtiger als die Wiederwahl eines Politikers, deshalb müssen Partikularinteressen hintangestellt werden. Das gilt natürlich auch für Klinikträger und die anderen Verantwortliche im Gesundheitssystem. Wir können das nur gemeinsam schaffen. Wie ist die Stimmung in den Krankenhäusern aktuell? Die Stimmung hat sich mit dem Beginn der Corona-Pandemie verschlechtert. Manche Mitarbeiter in Kliniken haben schon über einen Berufswechsel nachgedacht, weil die Belastung enorm gestiegen ist. Hinzu kommen aktuell die Auswirkungen der Inflation, des wirtschaftlichen Drucks auf die Kliniken und des Fachkräftemangels. Diese Umstände sind sehr frustrierend. Auch deshalb, weil sie der Politik lange bekannt sind, trotzdem jedoch nicht adäquat reagiert wird. Wo steht das Krankenhauswesen in zwei Jahren? Das Tal der Krise haben wir aktuell noch nicht durchschritten, deshalb benötigen die Kliniken kurzfristig finanzielle Unterstützung vom Staat. Langfristig muss die Politik die Systemreform angehen, damit wir in zwei Jahren schlankere Strukturen haben, um die Patientenversorgung zu sichern und zu verbessern. Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt, weil es für alle Menschen zugänglich ist. Das sollten wir uns bewahren, aber wir müssen besser mit den Ressourcen umgehen, indem wir zielgerichteter versorgen.

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