Diskriminierung Rassismus in der Medizin: Wenn Vorurteile lebensgefährlich sind

Bielefeld. Der medizinische Prototyp war lange Zeit der weiße Mann im mittleren Alter. Doch langsam verschiebt sich der Fokus in Forschung, Prävention und Behandlung von Krankheiten. Disziplinen wie Pädiatrie und Geriatrie sind inzwischen fest etabliert, was zu einer Verbesserung der Versorgung von Kindern und Senioren geführt hat. Auch die Gendermedizin gewinnt an Bedeutung, um die Versorgung beider Geschlechter zu verbessern. All diese Disziplinen haben sich den Unterschieden zwischen Menschen geöffnet, sie verbindet das Ziel einer personalisierten Medizin. Dabei können auch ethnische Unterschiede von großer Bedeutung sein, die bislang jedoch nur selten Beachtung finden. Die Bielefelder Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski sensibilisiert für einen emanzipierten Umgang miteinander und gegen Rassismus in der Medizin und gibt Tipps für Mitarbeiter. &bdquo;Es besteht ein Zusammenhang zwischen phänotypischen Differenzen und Diskriminierung. Nehmen wir unser Gegenüber als anders und fremd wahr, verbinden wir das häufig mit Gefahren oder befremdlichen Gefühlen“, erklärt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Damit einher geht auch die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften, und dadurch entstehen Vorurteile.“ Der Wunsch, sein Gegenüber einzuordnen und in eine Schublade zu stecken, sei jedoch menschlich. &bdquo;Das machen wir auch mit uns selbst, wenn wir uns bestimmte Eigenschaften zuschreiben, unseren eigenen Facettenreichtum aber nicht eingestehen. Das machen wir, weil es einfacher ist, in Schubladen zu denken.“Die daraus entstehenden Stereotype treffen nach Angaben der Psychiaterin jedoch auf viele Menschen nicht zu. &bdquo;Die Gesellschaft ist so bunt geworden. Die Berücksichtigung dieser Diversität ist Aufgabe aller Mitarbeiter im Gesundheitswesen“, fordert Golsabahi-Broclawski. Denn Diskriminierung im Gesundheitswesen kann lebensgefährliche Folgen haben.Bestimmten Bevölkerungsgruppen werden bestimmte Krankheiten zugeschrieben Viele Krankheiten sind nach Angaben der Psychiaterin an Symptomen wie Hautausschlägen, Blutergüssen, blauen Lippen oder Blässe zu erkennen. &bdquo;Wenn ich als Ärztin aber nie gelernt habe, wie sich diese Symptome bei unterschiedlichen Hauttypen zeigen und wie ich sie erkenne, kann ich meine Patienten auch nicht bestmöglich versorgen“, erklärt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Probleme können auch bei Blutabnahmen auftreten, wenn sich Pflegekräfte oder Ärzte nur auf die Farbe der Venen konzentrieren, die auf dunklerer Haut nicht so gut zu erkennen sind.“ Zu einer Unterversorgung von Patienten kommt es nach Angaben der Bielefelderin auch durch die Zuschreibung oder das fehlende in Betracht ziehen von Krankheiten für bestimmte Bevölkerungsgruppen. &bdquo;Gut beobachten lässt sich das in Krisenzeiten“, sagt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Mit Flüchtlingen aus der Ukraine werden Infektionskrankheiten weniger in Verbindung gebracht als mit den arabischen Flüchtlingen, die 2015 nach Deutschland kamen. Dabei sind Infektionskrankheiten in der Ukraine ein wachsendes Problem, so wie in jedem Kriegsgebiet.“Vorurteile über das Schmerzempfinden abhängig von der Hautfarbe Andere Vorurteile betreffen das Schmerzempfinden von Menschen. So zeigen Studien, dass sich im Gesundheitswesen das Vorurteil hält, dass dunkelhäutige Menschen mehr Schmerzen ertragen als andere und deshalb häufig nicht ausreichend versorgt werden. Menschen mit arabischen oder süd- und osteuropäischen Wurzeln sehen sich hingegen mit dem Vorurteil konfrontiert, dass sie Schmerzen stärker wahrnehmen als andere und deshalb übertrieben äußern. Im deutschen Gesundheitswesen haben sich für dieses Vorurteil sogar die abwertenden Begriffe &bdquo;Morbus Mediterraneus“, &bdquo;Morbus Bosporus“, &bdquo;Morbus Balkan“ oder &bdquo;Mamma-mia-Syndrom“ etabliert. Auch in diesem Zusammenhang kommt es zu Unterversorgungen, Missverständnissen und Kränkungen. Problematisch ist laut Golsabahi-Broclawski zudem die mangelnde Aufmerksamkeit für kulturspezifische und ethnische Aspekte. &bdquo;Jeder Mensch hat einen eigenen Umgang mit Krankheiten. Manche reden offen über Schmerzen und andere Probleme, andere aus Scham nicht.“ Unterschiede können auch den Umgang mit Ängsten, Trauer und Krisen, aber auch Ernährung, Lebensweise oder Sexualität betreffen. &bdquo;All das ist für eine Anamnese jedoch wichtig, wenn ich einen Patienten bestmöglich versorgen möchte.“&bdquo;Jeder sollte sich mit den Fragen nach Rassismus befassen" Um die personalisierte Medizin voranzubringen, fordert die Bielefelderin Schulungen für Mitarbeiter im Gesundheitswesen. &bdquo;Die meisten Fachkräfte sind zwar empathisch, tolerant und den Patienten zugewandt, trotzdem kann es zu Rassismus kommen, weil vielen ihre Vorurteile und rassistischen Bilder aufgrund von Unwissenheit gar nicht bewusst sind“, sagt Golsabahi-Broclawski.Das Wissen um die vielen Formen der Diskriminierung sei jedoch unerlässlich, um die subtilen Töne von Rassismus erkennen und bekämpfen zu können. &bdquo;Deshalb sollte sich jeder auch selbst mit den Fragen nach Rassismus befassen und das eigene Verhalten durchleuchten.“

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