Sehr seltene Krankheit in Beverungen: Dario Deppe und sein Leben mit Morbus Waldmann

Beverungen. Hinter seinem rechten Ohr, dort, wo sonst der Schatten des Lächelns ruht, klebt bei ihm weißes großes Pflaster. Ein stummes Fenster, hinter dem der Schmerz wohnt. Aber seit einiger Zeit spricht Dario Deppe über die Qualen, die ihm seine Krankheit bereitet. So möchte er auf die extrem seltene Krankheit Morbus Waldmann aufmerksam machen. Das könnte anderen helfen, die möglicherweise auch betroffen sind - aber davon gar nichts wissen. Kurz nach der Geburt wurden bei dem heute 24-Jährigen auf der Kinderintensivstation in Höxter Lymphödeme an Wange, Hals und Nacken festgestellt. &bdquo;Woher es kam, wusste keiner“, sagt der junge Mann. Fachleute hatten den Eltern Krankengymnastik fürs Kind empfohlen, blickt er zurück. Nach zwei Wochen wurde er ohne Befund entlassen. Es bleib für ihn nicht bei diesem einen Aufenthalt in Kliniken. Der Weg bis zur Diagnose, die Klarheit brachte, er war lang. Dario Deppe trägt ein beigefarbenes T-Shirt, darüber eine dunkelblaue Sweatjacke. Seine Fingerrücken zieren Tätowierungen - auf einer ist etwa ein Stern zu sehen, auf einer anderen prangt ein Totenkopf. Sein Gesicht oberhalb des Mundes schimmert rötlich, wie der Panzer eines Krebses, der zu lang in der Sonne war. Auch das ist eine Folge der Krankheit. Lesen Sie auch: Wie eine Frau aus Steinheim gegen Long Covid kämpft Nur 500 Menschen sind an Morbus Waldmann erkrankt - weltweit Problematisch ist Morbus Waldmann auch, weil es längst nicht abschließend erforscht ist. 500 Menschen leiden darunter - weltweit, so vorsichtige Schätzungen. Fachleute sind rar gesät. Doch, wie bei jeder Krankheit, braucht es diese Fachleute, um moderne Therapien anzuwenden. Mit seinem zweiten Lebensjahr kam die Krankheit zurück ins Leben des Bad Karlshafeners. &bdquo;Über Nacht“, wie Deppe betont. Lymphödeme an Beinen und im Gesicht verursachten Beschwerden. Ein Kinderarzt stelle bei ihm primären Eiweißverlust fest: Er wurde sofort ins Klinikum Kassel überwiesen. Dort stellen die Ärzte ein Ödem im Herzbeutel fest. Nach einer Woche wurde er wieder entlassen - ohne Befund. &bdquo;Mir wurde empfohlen, mich eiweißreich zu ernähren“, blickt er zurück. Das sind die Symptome, die sich bei dem Bad Karlshafener zeigten Deppe spricht zurückhaltend, in moderater Lautstärke über das, was die Krankheit mit ihm macht - als redete er über den letzten Urlaub am Meer. Doch dieses Meer glitzert nicht in der Sonne. Es kommt in großen Wellen wie ein Tsunami über das Land. &bdquo;Ich litt immer wieder unter Durchfall, musste erbrechen, hatte zeitweise leichte Lymphödeme im Gesicht und den Beinen“, sagt er. Ein Lymphödem ist eine chronische Schwellung. Sie entsteht, wenn sich Lymphflüssigkeit im Gewebe staut, weil ihr Abfluss blockiert ist. Auch lesenswert: Chronisch kranker Bad Driburger will Abi machen - und muss dafür vor Gericht So lang und steinig war der Weg bis zur Diagnose Es folgten immer wieder Arztbesuche, stationäre Klinikaufenthalte - alle blieben ohne klare Diagnose. Erst im Jahr 2008 änderte sich das. Heute führt er ein Leben, so normal wie möglich: Er arbeitet in Beverungen in einem Einzelhandelsgeschäft, muss sehr stark auf seine Ernährung achten, muss in der Apotheke teure Produkte kaufen. Doch immer wieder bricht die Krankheit wie eine Flut über ihn herein. Dann kann er nicht arbeiten gehen, sondern muss ins Krankenhaus. Seit 2008 gibt es zumindest eine Hoffnung. Und ein wenig Klarheit. &bdquo;Ich ging ins Uni-Klinikum Göttingen auf Initiative meiner Eltern. Das war mein Glück!“ Dort gab es einen jungen Assistenzarzt, der in einer Vorlesung während des Studiums von der seltenen Erkrankung gehört hatte. &bdquo;Ich war der erste Patient in der Klinik mit Morbus Waldmann. Damals gab es weltweit nur 100 bekannte Fälle“, sagt Deppe. Viele Betroffene leiden an Untergewicht, weil der Darm nicht alles verwerten kann Die Seltenheit der Waldmann-Krankheit erschwert nicht nur die Diagnose, sondern auch die Behandlung. Wissenschaftlich heißt sie auch Primäre Intestinale Lymphangiektasie und gilt als angeborene Erkrankung. Sie betrifft nicht nur den Darm, gilt aber dennoch als Darmerkrankung, da sie die Verdauung sehr stark beeinträchtigt. &bdquo;Ich bin 1,78 groß und wiege 67 Kilo - mit Wassereinlagerungen“, sagt der 24-Jährige. Viele Betroffene haben chronisches Untergewicht, weil der Körper nicht alle Nährstoffe verarbeiten kann. &bdquo;Es ging los“: Seit der Diagnose im Jahr 2008 änderte sich für den jungen Mann alles. Damit er nicht zu rasch Gewicht verliert, wurde seine Ernährung komplett umgestellt. Außerdem wurde ihm Lymphdrainage verordnet, er musste speziell angepasste Kompressionsstrümpfe anziehen. 2010 folgte dann ein Reha-Aufenthalt in einer Spezialklinik im Schwarzwald. Passend zum Thema: Seltene Krankheit: Ein Leben mit dem Cushing-Syndrom Die Krankenkassen zahlen für die Behandlung der Krankheit nicht Dort wurde die Ernährung noch einmal angepasst. Seitdem spielen MCT-Fette in seinen Alltag eine große Rolle. Das sind besondere Fette, die aus mittelkettigen Fettsäuren bestehen und ihm die Verwertung von Nährstoffen erleichtern. Doch diese Fette gibt es nur in Apotheken - und sie sind teuer. &bdquo;Das ist eine große finanzielle Belastung“, sagt er. Der Literpreis liegt bei 45 Euro. &bdquo;Aber die Kosten muss ich selbst übernehmen.“ Krankenkassen erkennen die Notwendigkeit für diese und weitere Medikamente nicht an. Selbst die Kosten für die Auswertung der Laborwerte müsse er selbst bezahlen. Demnächst muss er wieder ins Klinikum Kassel, wegen der Entzündung am Ohr. Wieder bricht die Flut der Krankheit über ihn herein. Fünf bis sechs Jahre seines Lebens, habe er, hochgerechnet bei Ärzten und in Krankenhäusern verbracht. Doch an dem kleinen Bisschen Normalität, das ihm bleibt, hält er fest. &bdquo;Meinen Beruf aufzugeben ist für mich keine Option“, sagt er. Und da ist ein Nachdruck in seiner Stimme, wie das gleichmäßige Anrollen der Brandung am Strand. Aus diesem Grund geht Dario Deppe an die Öffentlichkeit Ein großes Ziel hat er. Deshalb wendet er sich auch an die Öffentlichkeit: Er will sich mit Menschen, die ebenfalls an Morbus Waldmann leiden, austauschen: &bdquo;Ich möchte endlich eine Selbsthilfegruppe gründen“, sagt er. Die könne sich dafür einsetzen, dass Hilfsmittel und Medikamente von den Krankenkassen endlich bezahlt werden. Seine Stimme bleibt leise und unaufgeregt, als er über seine persönlichen Wünsche spricht. &bdquo;Vielleicht wird es besser, vielleicht nicht, ich möchte wenigstens auf dem Stand bleiben.“ Auch interessant: Vier Millionen Deutsche leiden unter Seltenen Krankheiten

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