Wie Physiker und Chirurgen aus OWL die Medizin revolutionieren wollen

Bielefeld. Covid-19 kann nicht nur schwere Schäden in der Lunge von Betroffenen verursachen, sondern im gesamten Körper. Die Erforschung der Krankheit zeigt, dass Covid-19 eine systemische Erkrankung ist, die sich auf alle Organe auswirken kann. So auch massiv auf die Leber, wie ein Forscherteam aus OWL, Hamburg, Hannover und Boston zeigt. Mit ihrer Studie verbessern die Wissenschaftler jedoch nicht nur die Therapie von Covid-Patienten, sie wollen mithilfe einer ungewöhnlichen Kooperation zwischen Chirurgen und Physikern die Behandlung von Krebskranken und anderen Patienten revolutionieren. Bereits seit 2019 kooperieren die Fakultät für Physik der Universität Bielefeld und das Universitätsklinikum OWL, bestehend aus dem Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB), dem Klinikum Lippe und dem Klinikum Bielefeld. &bdquo;Mit der Gründung der neuen medizinischen Fakultät in Bielefeld herrscht Aufbruchstimmung, die wir nutzen möchten, um medizinische Probleme mithilfe der Naturwissenschaften zu beantworten“, erklärt Jan Schulte am Esch, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am EvKB. &bdquo;Die Verbindungen zwischen der Physik und der Medizin sind historisch eng, wie die Entwicklungen von Technologien wie Computertomographen zeigen. Doch es ist noch viel mehr möglich“, sagt Thomas Huser, Professor für Physik an der Universität Bielefeld.Wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit sein kann, zeigen Biophysiker Huser und Leberspezialist Schulte am Esch mit Kollegen aus den Bereichen Intensivmedizin, Rechtsmedizin, Pathologie und Zellbiologie in einer Studie über die Folgen von Covid-19 für die Leber. 2020 und 2021 untersucht das Forscherteam dafür die bis dahin weltweit größte Serie an Lebergewebeproben verstorbener Covid-Patienten und findet heraus, dass die Erkrankung die Leber durch Mikrothrombosen schädigt. &bdquo;Das sind Gerinnsel in den kleinsten Gefäßen“, erklärt Schulte am Esch. Covid-Opfer im Krankenhaus weisen seltener Leberschäden auf Entdeckt werden die Mikrothrombosen vor allem bei Covid-Opfern, die Zuhause oder im Heim starben, nicht jedoch bei Menschen, die zuvor im Krankenhaus behandelt wurden. &bdquo;Das liegt höchstwahrscheinlich daran, weil im Krankenhaus typischerweise vorsorglich blutverdünnende Medikamente gegeben werden, um Thrombosen zu vermeiden“, sagt Schulte am Esch. &bdquo;Das war ein wichtiger Hinweis für die Behandlung von Covid-Patienten.“Wichtig sind die Ergebnisse der Studie nach Angaben des Chirurgen auch für die Behandlung von Long-Covid-Patienten, denn die Untersuchung offenbart nicht nur die Leberschädigung durch Covid-19, sondern auch den Versuch der Selbstheilung des Organs. &bdquo;Die Leber hat eine beeindruckende Regenerationskraft und verschiedene Möglichkeiten dafür. Unter anderem können Stammzellen vom Knochenmark zur Unterstützung der Reparatur in die Leber einwandern, doch dieser Prozess dauert lange. Das kann einer der Gründe für Long-Covid sein“, so Schulte am Esch. Weitere Studien laufen, um herauszufinden, wie Covid-19 die Leber schädigt Um herauszufinden, wie Covid-19 die Leber schädigt und ob Geschlecht und Alter dabei eine Rolle spielen, forscht das Team weiter. &bdquo;Bei jüngeren Patienten bis zum 65. Lebensjahr finden sich deutlichere Immunreaktionen in der Leber als bei älteren Patienten. Dem gehen wir nach.“Möglich ist Forschung dieser Art nach Angaben des Mediziners jedoch nur, weil Physiker erstmals die chemische Zusammensetzung und Gewebestrukturen der Leber bis auf die Molekülebene sichtbar machen. &bdquo;So sieht man beispielsweise auf einen Blick, ob es sich bei der Lebergewebeprobe um gesundes Gewebe handelt oder um einen Tumor“, erklärt Huser. Der Biophysiker und sein Team haben dafür Mikroskope entwickelt, die mit Laserstrahlung und Computern das sichtbar machen, was normale Mikroskope nicht mehr darstellen können."So präzise Bilder habe ich mir nicht mal im Traum vorstellen können" Grundlage dieser Entwicklungen ist laut Huser die sogenannte Raman-Spektroskopie, eine berührungslose Analysemethode zur Materialcharakterisierung, die an der Universität Bielefeld weiterentwickelt wird. Für den Chirurgen Schulte am Esch entstehen dadurch Visualisierungen, die er nie für möglich gehalten hätte. &bdquo;So präzise und hochauflösende Bilder habe ich mir nicht mal im Traum vorstellen können. Das bietet sehr großes Potenzial für die Patientenversorgung.“Davon ist auch Huser fest überzeugt, denn seine Technik könnte so weiterentwickelt werden, dass sie auch direkt am Patienten angewendet werden kann. &bdquo;Aktuell untersuchen wir Gewebeproben, doch möglich ist die Entwicklung eines Geräts, das man wie ein Ultraschallgerät nutzt“, erklärt Huser. &bdquo;Allerdings wird die Sonde dann nicht auf die Haut, sondern bei einer Operation direkt auf ein inneres Organ gehalten. Auf dem Bildschirm wird dann beispielsweise für die Leber angezeigt, wie weit der Chirurg schneiden muss, um den gesamten Tumor zu entfernen, ohne dabei zu viel des gesunden Gewebes wegzunehmen.“Eine Vorstellung, die Huser und Schulte am Esch gleichermaßen begeistert. &bdquo;Für einen Physiker ist die Arbeit sehr befriedigend, wenn sie Anwendung findet, insbesondere zur Verbesserung der Patientenversorgung“, erklärt Huser. Und Mediziner Schulte am Esch ergänzt: &bdquo;Wir werden damit nicht nur die Patientenversorgung verbessern, sondern auch immer mehr über die Leber und andere Organe lernen und damit letztlich Krankheiten wie Covid-19 immer besser verstehen.“

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