"Immer mehr Patienten mit einer Coronainfektion sind lange krank"

Bielefeld. Viele Menschen können die zum 20. März versprochenen weiteren Corona-Lockerungen kaum noch abwarten. Shopping ohne Maskenpflicht zum Beispiel - darauf freuen sich viele Konsumenten genauso wie Ladeninhaber. Krankenhäuser und Klinikärzte blicken den nächsten Lockerungsschritten jedoch mit großen Sorgen entgegen. Denn die Zahl der Infektionen steigt noch immer, und selbst wenn die Zahl der ganz schweren Krankheitsverläufe überschaubar bleibt, sind gerade für das Gesundheitssystem zusätzliche Belastungen absehbar. "Die meisten Leute sind der Corona-Maßnahmen überdrüssig", sagt Hans-Werner Kottkamp, Chefarzt der Zentralen Notaufnahmen des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) in Bielefeld. In der Öffentlichkeit sei der Druck für Lockerungen entsprechend hoch, weiß Kottkamp, der auch Mitglied des Bethel-Krisenstabs ist. Doch er ist skeptisch, eine komplette Lockerung hält er für verfrüht: "Wenn wir alles lockern, schieben wir das Problem noch weiter vor uns her". So erzwinge die steigende Zahl der positiv Getesteten in den Krankenhäusern erhebliche organisatorische Anstrengungen - denn die Infizierten müssten von den anderen Patienten in eigenen Zimmern oder ganzen Krankenhaus-Bereichen getrennt werden. "Dadurch werden Kapazitäten gebunden." "Verschiebung der Lockerungen um vier Wochen sinnvoll" Marco Kauling, Notarzt und Mitglied des Krisenstabes am Klinikum Herford, sieht einen Anstieg der stationär behandelten Patienten mit Corona-Infektion. "Beunruhigend ist, dass das Alter der Patienten wieder steigt - und sie wirken im Durchschnitt auch kränker als am Anfang der Omikron-Welle". Die zum 20. März geplanten Lockerungen kämen daher "zum falschen Zeitpunkt", so Kauling. Dabei macht er der Politik keine großen Vorwürfe: "Wir alle wollen zurück zur Normalität". Als die Lockerungen im Februar geplant wurden, hätten alle Experten auf ein rasches Abflachen der Omikron-Welle gehofft, doch die Entwicklung war nach den ersten Öffnungsschritten und wohl auch wegen neuer Subtypen der Omikron-Variante (BA.2) entgegengesetzt. Kauling spricht sich nun für eine Verschiebung des Termins in Richtung Ostern - also um rund vier Wochen - aus. Speziell die Maskenpflicht sei eine Maßnahme mit großer Schutzwirkung: "Vor allem FFP-2-Masken bieten Sicherheit in geschlossenen Räumen, wo es weiterhin ein hohes Infektionsrisiko gibt." Grundsätzlich gelte es, die bekannten vulnerablen Gruppen zu schützen. Aber Masken seien auch in Schulen weiterhin sinnvoll, zumal die Kinder längst daran gewöhnt seien und die Masken eine hohe Akzeptanz genießen. "Immer mehr Patienten mit Corona-Infektion sind lange krank" Der Kreis Lippe teilte mit, das Klinikum Lippe habe sechs Stationen in Lemgo und Detmold zu Isolierstationen umfunktioniert. Angesichts steigender Fallzahlen könne von einer Entspannung nicht die Rede sein: &bdquo;Die geplanten Lockerungen werden zwangsläufig zu noch mehr Infektionen führen", so Klinik-Geschäftsführer Johannes Hütte. &bdquo;Immer mehr Patienten mit einer Coronainfektion sind lange krank und müssen teils mehrere Wochen medizinisch im Klinikum versorgt werden." Es sei daher "zu früh, ohne Maske in den Supermarkt zu gehen, auf das Testen zu verzichten". Hans-Werner Kottkamp plädiert ebenfalls dafür, Regeln wie die Maskenpflicht oder auch die Beschränkung von Großveranstaltungen noch länger beizubehalten. Derzeit würden im EvKB etwa 95 positiv getestete Patienten behandelt, sagt EvKB-Sprecherin Sandra Gruss. Sie seien in der Regel mit der Omikron-Variante infiziert. Viele von ihnen seien zwar wegen anderer Erkrankungen im Hospital, Corona steht dann nicht im Vordergrund - doch die Virusinfektion ist natürlich ein erschwerender Faktor. Auch eine wachsende Zahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stecke sich an, vor allem im privaten Umfeld. Derzeit seien etwa 125 der 5.000 Klinik-Beschäftigten betroffen und fallen aus. Im Klinikum Herford heißt es, es gebe aktuell "relativ viele kranke Mitarbeiter". Auf der Hand liegt, dass jeder Ausfall die Arbeitsbelastung für die anderen erhöht. "Einschränkung der Notfall-Versorgung droht derzeit nicht" "Die ohnehin schon hohe Belastung in den Krankenhäusern wird durch die steigende Anzahl an stationären Patienten und quarantänepflichtigen Mitarbeitern noch größer werden", befürchtet auch Martin Baur, der Ärztliche Direktor der St. Vincenz-Kliniken in Paderborn und Salzkotten. Die Isolierstation sei seit vielen Monaten voll belegt. "Die bevorstehenden Lockerungen bereiten mir große Sorgen", so Baur daher. "Wir können davon ausgehen, dass die Zahlen weiter stark ansteigen, zumal 80 Prozent der Bevölkerung noch nicht mit dem Virus infiziert war", warnt er. Die Zahl schwerer Covid-Fälle ist in den Kliniken allerdings noch "relativ gering", wie es etwa in Bethel heißt. Auf den Intensivstationen des größten Bielefelder Krankenhauses gebe es aktuell fünf Covid-Patienten, im Klinikum Herford sind es ebenfalls fünf. "Eine Einschränkung in der notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung droht uns derzeit nicht", denkt Kottkamp.

Meistgelesen