Notaufnahmen: Datenschutz hat ungeahnte Folgen für Patienten

Bielefeld. Die aktuelle Datenschutzverordnung kann die Überlebenschancen von Patienten gefährden. Mit dieser Warnung ging Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), in dieser Woche durch die Medien. Denn die Übermittlung von Patientendaten wie Blut- oder EKG-Werte setze die Einwilligung von Patienten voraus. Diese aber können sie häufig nicht geben, wenn sie bewusstlos oder schwerverletzt seien. Datenschutzexperten widersprachen dem sofort und vehement. Doch der Datenschutz kann im Klinikalltag tatsächlich ungeahnte Konsequenzen haben. Pennings Behauptung, die Datenschutzverordnung "behindert die Lebensrettung", wurde unter anderem vom Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht widersprochen, der im Europäischen Parlament an der Entwicklung der Verordnung beteiligt war. "Das ist kompletter Unfug, um es klar zu sagen: Der EU-Gesetzgeber hat in der DSGVO ausdrücklich geregelt, dass es in Fällen von Bewusstlosigkeit oder anderen Notfällen im Interesse des Betroffenen keiner Einwilligung bedarf", so Albrecht. Auch Thomas Vordemvenne, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld, sagt, die Datenschutzverordnung mache es nicht grundsätzlich unmöglich, dass sich Notärzte und Kliniken über den Zustand eines Patienten informieren können. &bdquo;Da ist das Rechtsgut höher, sich immer mit anderen Kollegen austauschen zu können", sagt Vordemvenne. Seine Klinik ist der überregionale Anlaufpunkt für die schwersten Verletzungen in OWL. Was durch den Datenschutz aber tatsächlich schwieriger werde: den Verlauf einer Einweisung von Schwerverletzten im Traumaregister zu erfassen. &bdquo;Im klinischen Alltag ist das nun fast unmöglich", sagt der Chefarzt. Im Traumaregister werden seit 1993 die Behandlungsverläufe von Notfallpatienten anonymisiert erfasst. Fast 700 Kliniken beteiligen sich daran und laut Angaben des Registers wurden dort bisher über 450.000 Fälle dokumentiert. &bdquo;Dieser Datensatz ist einzigartig auf der Welt", sagt Vordemvenne. Er werde zur Forschung genutzt, sei aber auch für die Qualitätssicherung einzelner Krankenhäuser enorm wichtig."Natürlich werden keine Patienten mit Namen erfasst" &bdquo;Bei unseren Mortalitätskonferenzen gucken wir uns das mit allen Beteiligten an", sagt Vordemvenne. Wie schnell kamen die Patienten vom Unfallort ins Krankenhaus? Wie wurden sie behandelt? Was lief gut? Was hätte besser laufen können? Hätten Patienten doch überleben können? &bdquo;So hat sich die Überlebensrate über drei Jahrzehnte verbessert", sagt Vordemvenne. Eine grundsätzliche Verbesserung, die sich aus diesen Daten zum Beispiel ergeben hat: &bdquo;Seit zehn Jahren wird bei jedem Notfall-Patienten ein CT gemacht", sagt Vordemvenne. Durch diese Computerthomographie würden verborgene Verletzungen schneller entdeckt und behandelt. &bdquo;Natürlich werden keine Patienten mit Namen erfasst", sagt Vordemvenne über das Traumregister. Stattdessen werde mit einem Nummernsystem gearbeitet, das nur die Kliniken selbst zum Patienten zurückverfolgen könnten – und dort gelte die ärztliche Schweigepflicht. Doch nun können diese Daten nicht einfach von Anfang der Behandlung an erfasst werden. &bdquo;Bei Schwerverletzten geht das nun nur über das Einverständnis der Angehörigen", sagt Vordemvenne. "Die Verhältnismäßigkeit wird hier nicht gewahrt" Doch die würden in der Situation häufig ablehnen, einfach weil es um Daten ginge. Und: &bdquo;Die haben ja auch in dem Moment andere Sorgen", so Vordemvenne. Selbst wenn das Einverständnis im Nachhinein gegeben werde, sei es häufig schwer den Behandlungsverlauf zu rekonstruieren. &bdquo;Dafür bräuchte es ein ganzes Sekretariat", sagt Vordemvenne. Nach der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung sei die Zahl der erfassten Notfälle insgesamt um rund ein Fünftel zurückgegangen, so Vordemvenne. &bdquo;Das ist ein großes Problem." Damit wolle er aber nicht die Bedeutung des Datenschutzes in Frage stellen, gerade angesichts dessen, was über Google oder WhatsApp an Daten gesammelt werde. &bdquo;Aber die Verhältnismäßigkeit wird hier nicht gewahrt", so Vordemvenne. Nun hoffen Unfallchirurgen in Deutschland auf eine Anpassung der Datenschutzregeln. Die aktuelle Datenschutz-Grundverordnung wurde 2016 im Europäischen Parlament verabschiedet und gilt seit 2018 für alle Mitgliedsstaaten der EU. Sie soll regelmäßig überprüft werden. Alle vier Jahre soll es eine Evaluation der Umsetzung geben.

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