Ärzte sauer wegen Online-Bewertungen: "Jameda ist Abzocke"

Bielefeld. "Nach seiner Operation konnte ich nicht mehr laufen." Oder: "Wegen ihr hatte ich einen Nervenzusammenbruch." Um nur zwei Beispiele von Bewertungen von Ärzten aus der Region zu nennen. Es ist offensichtlich: Die Ärzte-Bewertungsplattform Jameda ist nicht für jeden Mediziner ein Segen. Und doch erlaubt ein erst kürzlich verhängtes Urteil, jeden Arzt und jede Ärztin auf der Plattform zu listen und für Bewertungen freizuschalten. Mediziner aus OWL kennen die Probleme, aber auch die Vorzüge der Plattform. Wer nach einem Allgemeinmediziner im Raum Gütersloh sucht, stößt auf 49 Einträge auf der Plattform Jameda. Ohne Voreinstellungen sortiert die Plattform nach "Relevanz". Klingt zunächst vertrauenserweckend. Aber was genau bedeutet denn "Relevanz"? Und wer beurteilt, wie relevant ein Arzt ist? Jameda selbst erläutert auf seiner Webseite, dass sich die Sortierung an der Anzahl der Bewertungen und der Durchschnittsnote eines Arztes orientiert. Jedoch steht ein Allgemeinmediziner mit einer 1,2 und nur 16 Bewertungen vor einem Allgemeinmediziner mit einer Note von 1,1 und 29 Bewertungen. Verbraucherschutz und Mediziner aus der Region warnen vor verfälschten Eindrücken. Bielefelder Ärztin: "Jameda ist Abzocke" "Wenn es möglich wäre, würde ich mein Profil auch löschen lassen", sagt Sybille Elies-Kramme, Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) in Bielefeld. Auch sie bekommt neben einigen guten Bewertungen auch schlechte, die auf den ersten Blick gar rufschädigend wirken. Insgesamt bekommt sie auf der Plattform die Note 2,6. Die Ärztin ist gleichzeitig Vorsitzende des Verwaltungsbezirks Bielefeld der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Sie weiß daher, dass es einigen Kollegen genauso geht. "Man bekommt schlechte Bewertungen und weiß nicht von wem und kann nicht nachvollziehen, was offenbar so schlimm war. Durch die Anonymität kann jeder alles schreiben, ohne dass der betroffene Arzt den Kontakt aufnehmen kann. Das ist nicht fair." Das Geschäft mit den schlechten Bewertungen würden einige Menschen nutzen, um Geld zu verdienen, berichtet die HNO-Ärztin. "Ich bekomme hin und wieder Mails, in denen Menschen mir für 150 Euro anbieten, diese Bewertungen zu löschen." Für sie keine Option. Es sei ihr persönlich auch nicht so wichtig, was auf der Plattform stehe. In ihrem Umfeld sei das aber durchaus ein Thema. "Jameda hat viel Einfluss, das wissen wir alle. Diese Bewertungen können zur Praxisruinierung führen." Es sei nur möglich sich einen "guten Namen" zu machen, indem man Geld in die Hand nehme. "Alles in allem finde ich, dass Jameda Abzocke ist", so Elies-Kramme. Platin-Kundschaft für aufgehübschtes Profil Irfan Durali ist Zahnarzt in Bielefeld. Dem Bewertungsportal zufolge auch ein sehr beliebter. Mit der Note 1,0 und 75 Bewertungen ist er weit oben im Ranking. Oben rechts auf seinem Profil der kleine Hinweis "Platin-Kunde", genauer gesagt: zahlender Kunde. "Diese Praxis bezahlt Geld an die Plattform dafür, dass das Profil mit Informationen und Bildern angereichert werden kann. Diese Tools sind gut für die Ärzte und es ist auch in unseren Augen nicht schlimm, sich um seinen Online-Auftritt zu kümmern. Das machen wir, weil wir uns bewusst sind, dass diese Plattformen immer wichtiger werden und Einfluss haben", erklärt die Praxisberaterin Aynur Durali. Der Plattform zufolge habe das keinen Einfluss auf das Ranking. In der Praxis Durali und Mosch arbeite man ohnehin schon länger mit Jameda. "Die Patienten werden gezielt angesprochen. Sie werden gebeten, die Praxis zu bewerten. Natürlich ist uns klar, dass das genauso gut mal ein negativer Kommentar sein kann", erklärt Durali. Das kürzlich verkündete Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) könne sie dennoch nicht nachvollziehen. "So entstehen Monopole und das sollte nicht sein. Ärzte sollten frei darüber entscheiden dürfen, ob er oder sie gelistet werden möchte." BGH-Urteil ist auch Teilerfolg für Ärzte Allerdings hatte der BGH schon bei früheren Fällen betont, dass Jameda alle Mediziner listen dürfe. Der Grund: In Deutschland herrsche Meinungsfreiheit und es bestünde ein öffentliches Interesse an solchen Portalen. Allerdings könne man aus der Perspektive des Ärztepaares auch von einem Teilerfolg sprechen, sagt die Verbraucherzentrale NRW auf Anfrage von nw.de. "Die Löschungsanträge waren in den Vorinstanzen erfolgreich, da die Gerichte eine Ungleichbehandlung von Premiumkunden und Basiskunden feststellten. Jameda hat dies im Revisionsverfahren auch nicht mehr angegriffen. Insofern kann man daher auch von einem Teilerfolg des Ärztepaars sprechen", erklärt Arne Weinberg, Referent der Gruppe Gesundheits- und Pflegemarkt. Das zeige, dass die rechtlichen Grenzen von Bewertungsplattformen aufgrund wirtschaftlicher Interessen der Betreiber und der sich ständig verändernden Seitenaufmachung immer wieder neu ausgelotet werden. Das empfiehlt die Verbraucherzentrale Patienten "Verbrauchern muss daher klar sein, dass zum einen der Anbieter selbst mit dieser Plattform kommerzielle Interessen verfolgt und zum anderen Ärzte die Möglichkeit haben, sich durch einen Premium-Account vorteilhafter zu präsentieren. Dies mag je nach Ausgestaltung rechtlich zulässig sein, kann Verbraucher, die nach verlässlichen und neutralen Informationen suchen, jedoch verunsichern", erklärt Weinberg. Die Verbraucherzentrale empfehle daher, ergänzend bei der Arztsuche auf die Weisse Liste zurückzugreifen. Auch wenn diese nicht vollständig und abschließend sei, werde sie auf der Grundlage wissenschaftlicher Erhebungen erstellt und sei nicht werbefinanziert.

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