Christian Bogner: Die vier Identitäten eines Mörders - jetzt als Podcast

Herford. Hellbraune Möbel, Linoleumboden auf rund neun Quadratmetern, Waschbecken und Toilette des Sanitärbereichs sind aus Edelstahl, die Fenster mit Gittern gesichert, die Tür zum Gang aus zentimeterdickem Stahl. Die Ausstattung der Einzelzelle in den Sicherheitsbereichen niedersächsischer Gefängnisse ist fast überall gleich. Wer dort als Häftling untergebracht ist, gilt als gewaltbereit, als gefährlich, oft als intelligent, aber vor allem als eines: skrupellos. Eigenschaften, die auf einen Herforder zutreffen, der von Jugend an als Straftäter die Ermittlungsbehörden beschäftigte und der auf gefährliche Art seine Identitäten wechselte. Sein Fall ist nun Thema in einer neuen Episode von "OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen".Die Fakten zu Christian Bogner im Überblick: Christian Bogner wird 1955 in Herford als Bernhard L. geboren. Seit Mitte der 70er Jahre ist er wegen Diebstählen und Überfällen polizeibekannt. Während einer elfjährigen Haftstrafe taucht Christian Bogner 1989 im Zuge eines Hafturlaubes unter. Eine Serie von Raubüberfällen ist die Folge. Die Polizei und die TV-Sendung "Aktenzeichen XY” suchen den Straftäter auf Hochtouren, bis er sich später freiwillig zurückmeldet. Er erhält zehn weitere Jahre Haftstrafe und eine neue Identität. 1995 bricht er aus der JVA Lingen aus und lebt danach mehr als fünf Jahre als Thomas R.. Der eigentliche Thomas R. wird bis heute vermisst. 2001 wird Bogner erneut gefasst und verurteilt. 2004 bricht er erneut aus. Am Tag seiner Flucht erdrosselt er Engelbert D. Für diesen Mord wird Bogner 2007 zur lebenslangen Haft verurteilt. Christian Bogner, heute 66, geboren als Bernhard L., aufgewachsen in der Altstädter Feldmark der Werrestadt. Gestartet als Dieb, dann Räuber, Serienbankräuber, Serienausbrecher, letztendlich Mörder, verurteilt zu lebenslanger Haft und Sicherungsverwahrung. Wohl einer der gefährlichsten Kriminellen Deutschlands – und so gefährlich, dass er seine Strafe in Einzelhaft absitzen muss. Aus Sicherheitsgründen wird der Verbrecher regelmäßig zwischen den niedersächsischen Haftanstalten wie Oldenburg und Sehnde verlegt – per Hubschrauber und Spezialeinsatzkommando. Gewalt und Missbrauch: Die Kindheit von Christian Bogner Nach wie vor gilt dieser 66-Jährige als eine Schlüsselfigur im immer noch unaufgeklärten Vermisstenfall seines Bekannten Thomas R. – unter dessen Identität er jahrelang in Ostdeutschland lebte. Die Kindheit Bogners, der als Bernhard L. in Herford geboren wurde, wird als schwierig beschrieben. Sein Vater sei gewalttätig gewesen, heißt es. Gegenüber einem Journalisten berichtet Bogner einmal auch von Missbrauch. Die Familie lebt in den 70er Jahren in einem Mehrfamilienhaus der Wohnungsvermittlung &bdquo;Wohnbau" Am Sennenbusch. Mutter Gertrud L. (Name geändert) bemüht sich, ihre Kinder über die Runden zu bringen. Derweil sucht sie aber auch Halt in einer freikirchlichen Gemeinde in Porta Westfalica. &bdquo;Wir Kinder wurden vom öffentlichen Leben abgeschirmt und bekamen nichts", berichtet Bogner später einmal über diese Zeit. Bogner manipuliert und täuscht - auch in Haft Tatsächlich: Selbst christliche Moral und soziale Werte perlen offenbar an ihm ab. Es folgen Diebstähle. Mitte der 70er Jahre sitzt der gelernte Maschinenbauer seine erste Verurteilung im Jugendgefängnis seiner Heimatstadt ab. Von Resozialisation scheint er danach weit entfernt. Eine Serie von Raubüberfällen in Osnabrück bringt ihm elf Jahre Haft ein. Die verbüßt er aber zunächst nicht so, wie es sich der Richter wohl vorgestellt hat. Er gilt als intelligent und manipulativ. Bogner, der Menschen für sich einnehmen und sie auch manipulieren kann, der Wert auf sein Äußeres legt und stundenlang erzählen kann, gelingt es wohl, so zu tun, als sei er geläutert. Eine erfolgreiche Täuschung. Christian Bogner erbeutet auf der Flucht rund 100.000 D-Mark Just am 1. April 1989 erhält er auf Betreiben eines Psychologen der JVA Celle II Hafturlaub. Er taucht unter. Zunächst braucht der flüchtige Verbrecher aber Geld, und er erinnert sich an die Herforder Sparkassen-Filiale an der Elverdisser Straße, die er als Kind häufig mit seiner Mutter besucht hat. Eine Serie von Banküberfällen beginnt. Beim ersten Überfall in Herford, zwölf Tage nach seiner Flucht, erbeutet er mehr als 40.000 D-Mark, zehn Tage später 6.000 D-Mark. In Porta Westfalica sind es noch einmal 55.000 D-Mark. Herforder und Bielefelder Beamte bilden eine Ermittlungskommission, die nach dem Serientäter sucht, der die Waffe in der linken Hand hält und – um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen – in die Decke schießt. TV-Sendung "Aktenzeichen XY" sucht nach Herforder Verbrecher Und die Suche geht weiter. Wo ist Christian Bogner? In der TV-Sendung &bdquo;Aktenzeichen XY" wird nach ihm deutschlandweit gefahndet. Derweil lebt Bogner unentdeckt, verprasst seine Beute, hat eine Wohnung in Hannover eingerichtet. Ewig kann er dieses Leben nicht finanzieren. Als von der Beute nichts mehr da ist, meldet er sich in der JVA Celle zurück, um seine restliche Strafe abzusitzen – denn ein Ausbruch zieht strafrechtlich keine Sanktionen nach sich. Somit, so glaubt Bogner wohl, müsste er nur noch seine Reststrafe hinter sich bringen. Er ahnt nicht, dass die Herforder Ermittlungskommission zwischenzeitlich ganze Arbeit geleistet hat und ihm die drei Banküberfälle nachweisen kann. Bernhard L., wie Bogner damals noch ganz offiziell heißt, fährt wieder ein. Sein Gefängnisaufenthalt verlängert sich erheblich – das Urteil für die Überfälle: zehn weitere Jahre. Neue Identität: Aus Bernhard L. wird Christian Bogner Als es in Celle zu einer Gefängnisrevolte kommen soll, gibt L. diese Information an die Anstaltsleitung weiter und kooperiert mit den Ermittlern. Damit besteht nun die Gefahr, dass sich die vom Verbrecher verratenen Verbrecher rächen. Der Herforder muss vor seinen Mitinsassen geschützt werden und erhält eine neue Identität. In Anlehnung an den Modeschöpfer Willi Bogner wählt der modebewusste Kriminelle wohl just dessen Familiennamen: Bernhard L. verschwindet, Christian Bogner wird geboren. Die brandneue Identität ändert aber nichts an seinem Aufenthaltsort: eine Gefängniszelle. Erneut schafft es Bogner, dieses Mal 1995, auszubrechen. Jetzt aus der JVA in Lingen. Christian Bogners erstes Mordopfer? Thomas R. ist spurlos verschwunden Im Sommer 1995, kurz nach seinem Ausbruch, meldet er sich als Mitarbeiter des Arbeitsamtes mit dem Namen Herr Gudenz bei der Mutter von Thomas R. (35) – einem früheren Bekannten Bogners aus der freikirchlichen Gemeinde in Porta Westfalica. Ob ihr Sohn noch einen Führerschein habe, will er wissen und bietet dem 35-Jährigen, der nahe Lüneburg lebt, einen Job an. R. soll einen Oberklassewagen nach Osteuropa überführen. Am 30. Juni 1995 setzt sich R. also ans Steuer seines Fiestas, fährt zu einem Hotel im niedersächsischen Bardowick im Kreis Lüneburg. Seitdem wird er vermisst. Statt seiner taucht in Ostdeutschland ein ganz anderer Thomas R. auf. Bogner nimmt Identität des vermissten Thomas R. an Es ist Bogner, der von nun an mehr als fünf Jahre lang unter der neuen Identität lebt. Besonders bitter: Der Schwager des Verschwundenen stellt, weil ihm die Ermittler zunächst nicht glauben, eigenständige Recherchen an und kommt Bogner auf die Spur. Zu einer Festnahme kommt es zunächst trotzdem nicht. Aber auch der falsche R. braucht Geld, und an ehrliche Arbeit denkt Bogner offensichtlich nicht. Das wird ihm zum Verhängnis. Wieder überfällt er zwei Banken. 96.000 Euro erbeutet er 2001 beim Überfall auf die Sparkasse in Engern (Kreis Schaumburg), kurz darauf wird er am Autobahnkreuz Bad Oeynhausen gefasst. Die Ermittler finden dabei die Papiere des vermissten R. bei ihm. Auf schweren Raub und Mord lautet die Anklage vor dem Landgericht Bückeburg, denn die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Bogner den Lüneburger R. umgebracht hat. Für die Banküberfälle liefert Bogner eine krude Erklärung: &bdquo;Ich habe Stimmen gehört", sagt er im Prozess. Er habe zuvor ein Beruhigungsmittel abgesetzt. Christian Bogner streitet Mord bis heute ab Sich als psychisch kranker Straftäter auszugeben, das versucht er immer wieder. So bringt er etwa Plüschtiere mit in die Sitzungen mit einer Psychologin in der JVA Lübeck und behauptet, sie seien seine einzigen Freunde. Nur ihnen könne er sich anvertrauen. Ein Trick. Den Mord an Thomas R. bestreitet Bogner vor dem Bückeburger Landgericht. R. habe ihm seinen Ausweis freiwillig überlassen. Als Gegenleistung habe er den Lüneburger auf der Reeperbahn neu eingekleidet und ihm einen Bordellbesuch spendiert. &bdquo;Ich wollte ihm zeigen, dass ich mir das etwas kosten lasse", sagt Bogner aus. Dass der 35-jährige R. nicht mehr lebt, davon geht auch die Bückeburger Strafkammer aus. &bdquo;Thomas R. ist tot", stellt der Vorsitzende Richter Börries von Hammerstein fest. Aber tötete Bogner den 35-Jährigen? Der Mord lässt sich Bogner nicht nachweisen. Deshalb wird er nur wegen der Überfälle zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft samt Sicherungsverwahrung verurteilt. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass er die Leiche beiseite geschafft hat. Doch Bogner schweigt. Für zwei Jahre wird es nach dem Urteil still um den Herforder. Bis zum 27. Oktober 2004. Bogner bricht erneut aus dem Gefängnis aus Eine öffentliche Fahndungsmeldung der Lübecker Polizei wird verbreitet. Einen Tag zuvor ist es Christian Bogner erneut gelungen auszubrechen, diesmal aus der JVA Lübeck-Lauerhof. Mit einem Gabelstapler ist er an die 5,50 Meter hohe Mauer herangerollt, hat den Mast ausgefahren und die letzten Zentimeter schließlich mit einem heimlich in der Anstaltswerkstatt gebauten Metallgestell überwunden. Diesmal hat Bogner auch einen Helfer aus der Familie, seinen Bruder Markus (Name geändert). Der soll etwa den silberfarbenen Mercedes E-Klasse-Kombi als Fluchtwagen nahe der JVA abgestellt und auch Kleidung für seinen Bruder besorgt haben. Bereits vor dem Ausbruch soll Markus L. zudem damit begonnen haben, nach einem Mann zu suchen, der seinem Bruder ähnlich sieht. Er findet ihn in dem arbeitslosen Landschaftsgärtner Engelbert Arno D. aus Eutin und bahnt einen Kontakt an. Ein zweiter Mann verschwindet: Hat Christian Bogner wieder zugeschlagen? Der alleinstehende 45-Jährige erhält, wie Thomas R., bereits Tage vor dem Ausbruch den Anruf eines Arbeitsvermittlers – es ist wohl Bogner, sind sich die Ermittler sicher. Der Anrufer bietet D. einen Job bei Daimler in Stuttgart an, die brauchten Landschaftsgärtner. Zum Service gehöre sogar, dass ihn der Unbekannte zum Zug nach Hamburg fahren will. Für D. wird es eine Fahrt in den Tod. Am 30. Oktober stellt ein Spezialeinsatzkommando Bogner in der Lübecker Innenstadt. Bei dem mittlerweile 50 Jahre alten Herforder finden die Ermittler die Papiere von D. Doch wo ist der Eutiner? Ist er umgebracht worden? Ist Bogner der Täter ? Die Ermittler kennen den Fall R. In den Vernehmungen schweigt Bogner aber. Geständnis: Bogner hat Engelbert D. erdrosselt Parallel sucht das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein deshalb mit Fotos von Bogner, seines Fluchtwagens und einer Schaufel nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort Bogners nach seiner Flucht – und damit auch nach Hinweisen auf D. Auch die Herforder Polizei wird eingeschaltet, prüft, ob es Bogner wieder in seine Heimat gezogen hat. Ohne Ergebnis. Erst als die Beamten der Mordkommission Bogners Bruder auf die Schliche kommen und auch für diesen Mitte November 2004 die Handschellen klicken, bricht Bogner sein Schweigen – offenbar in der Hoffnung, Markus L. so schützen zu können. Am 2. Dezember 2004 endlich führt der Täter die Lübecker Mordkommission zu einem Acker nahe des Dorfes Lübberstedt bei Egestorf. Dieser liegt an der Autobahn 7. Am Rand des Feldes zeigt Bogner ihnen, wo er sein Opfer verscharrt hat. D., das stellt sich später heraus, ist bereits am Tag der Flucht Bogners von diesem erdrosselt worden. Lebenslange Haftstrafe in Einzelzelle für Christian Bogner Das Landgericht Lübeck verurteilt Täter Bogner 2007 wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe. Sein Bruder Markus muss drei Jahre absitzen. Die Verurteilung in Schleswig-Holstein nährt bei den Angehörigen und den Beamten die Hoffnung, endlich das Schicksal von Thomas R. aufklären zu können. Die Staatsanwaltschaft Bückeburg nimmt die Ermittlungen wieder auf. Die Hoffnung zerschlägt sich jedoch. Bogner macht keine Angaben. 2011 stellt die Bückeburger Anklagebehörde das Verfahren ein. &bdquo;Es gibt überhaupt nur zwei Personen, die darüber Auskunft geben können", fasst 2011 Oberstaatsanwalt Klaus Jochen Schmidt, heute Leiter der Bückeburger Anklagebehörde und damals ihr Pressesprecher, die unbefriedigende Situation zusammen. &bdquo;Der eine schweigt, und der andere ist wahrscheinlich tot." Zwischenzeitlich stufen Gutachter Bogner als so gefährlich ein, dass er in Einzelhaft leben muss. Ihm bleiben damit hellbraune Möbel, neun Quadratmeter Zelle, Linoleumboden, der Blick durchs vergitterte Fenster und das Wissen um den Fall R.

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