Augustdorf. "Es steht fest, dass Bianca F. ums Leben gekommen ist und er daran schuld ist." Diese Aussage trifft Richter Michael Reineke am 22. November 2005 im Detmolder Landgericht. Auf der Anklagebank sitzt Pietro F. (Name geändert*), der Bianca nur vier Tage vor ihrem Verschwinden geheiratet hatte.
An diesem Prozesstag wird ein Hafturteil gegen ihn fallen. Es ist das Ende eines Gerichtsfalls, der als "Prozess ohne Leiche" in die Annalen der Detmolder Justizgeschichte eingehen wird. Bis heute ist der Verbleib von Bianca F. ungeklärt und auch die Frage, warum sie verschwand.
Der Vermisstenfall von Bianca F. im Überblick:
- Am 5. Juni 2000 verschwindet die damals 21-jährige Bianca F. aus Augustdorf spurlos.
- Ihr Ehemann, Pietro F., gilt als Hauptverdächtiger. Trotz intensiver Ermittlungen kann die Polizei dem damals 28-Jährigen nichts nachweisen.
- Erst 2005 erhärten sich die Indizien und Pietro F. wird angeklagt.
- Nach sechs Verhandlungstagen wird F. in einem Indizienprozess zu sechs Jahren Haft verurteilt. Eine Revision wird abgelehnt, das Gericht rollt das Verfahren nicht erneut auf.
- Bis heute ist der Verbleib von Bianca F. ungeklärt. Ermittler gehen davon aus, dass sie tot ist.
Die Ereignisse, die zum Zeitpunkt des Prozesses fünf Jahre zurückliegen, sind nur schwer nachzuvollziehen. Das Verschwinden der jungen Frau, die zu dem Zeitpunkt 21 Jahre alt ist, kann sich niemand erklären. Bianca F. lebt in Augustdorf (Gemeinde im Kreis Lippe), ist schwanger und lässt ihren Mutterpass zurück. Auch ihre Familie weiß nichts von ihrem Verbleib.
Kurz nach Biancas Verschwinden: Pietro F. nimmt hohen Kredit auf
Sechs Wochen dauert es, bis Pietro F. seine Frau Bianca bei der Polizei als vermisst meldet. Er gibt an, sich mit ihr gestritten zu haben. Worum es bei dem Streit ging und wie er begonnen hat, will er zunächst nicht sagen - oder sich nicht mehr erinnern.
Auf jeden Fall soll es so heftig zwischen den beiden gekracht haben, dass Pietro F. die gemeinsame Wohnung verließ, um zu einem Freund nach Ahlen zu fahren. In der Nacht sei er noch einmal zurückgekehrt, um Kleidung zu besorgen - später wird er zugeben, dass er Utensilien zum Kiffen geholt hat - da sei Bianca F. noch zuhause gewesen. Am nächsten Tag habe es keine Spur mehr von der jungen Frau gegeben.
Wenige Tage nach ihrem Verschwinden nimmt Pietro F. einen Kredit in Höhe von 11.000 Euro auf. Später wird er angeben, das Geld in den Niederlanden für Drogen verprasst zu haben. Auf die Idee, seine Frau könnte nicht mehr leben, sei er nicht gekommen.
Schwangerschaft oder Türzargen? Motiv für Streit bleibt unklar
Die Polizei vermutet anfangs, der Streit des Paares habe sich darauf gegründet, dass Bianca F. ihrem Mann mitteilte, schwanger zu sein. Eventuell hat Pietro F. auch den Mutterpass gefunden und so allein von der Schwangerschaft erfahren.
Der wiederum behauptet, von der Schwangerschaft längst gewusst zu haben. Letztlich sei dies auch ein ausschlaggebender Grund für die Hochzeit gewesen. Bei dem Streit sei es um die Farbe der Türzargen in der gemeinsamen Wohnung gegangen, sagt Pietro F. beim Prozessauftakt.
Bianca habe in der Rolle als Ehefrau und Mutter ihr Glück gefunden, so die Ermittler. Die 21-Jährige ist als Mädchen im Augustdorfer Heidehaus aufgewachsen, absolviert als Jugendliche eine Lehre als Malerin und zieht in eine betreute Wohnung.
Bianca F. wünschte sich Bilderbuchfamilie: Nun war sie schwanger
Der Kontakt zur Familie ist locker, viele Freunde hat die junge Frau nicht. Zeugen beschreiben ihren Charakter im Gerichtsprozess als herrisch und cholerisch. Der Betreuer aus ihrer Zeit im Heidehaus berichtet: "Sie hatte die Tendenz, sich die falschen Männer auszusuchen."
In den Medienberichten vom 25. Oktober 2005 heißt es, ihr erster Freund habe sie geschlagen. Mutter zu werden, sei für Bianca F. ein absoluter Herzenswunsch gewesen. Deswegen habe sich die Frau auch ihren heißgeliebten Hund angeschafft.
Dass sie diesen bei ihrem plötzlichen Verschwinden nicht mitgenommen hat, ist für ihr Umfeld unverständlich. Auch von ihrem Konto wird nach dem 5. Juni 2000 kein Geld mehr abgehoben.
Pietro F. ist ein ehemaliger Zeitsoldat, eine Ausbildung hatte er vor seiner Zeit bei der Bundeswehr abgebrochen. Der 28-Jährige ist in Augustdorf im Kreis Lippe aufgewachsen, besitzt neben der deutschen noch die italienische Staatsbürgerschaft.
Pietro F. fehlt mehrfach bei seiner Arbeit, schließlich wird er gefeuert
Am 6. Juni 2000, dem Tag vor dem Verschwinden seiner Ehefrau, erscheint Pietro F. zum letzten Mal bei seiner Arbeitsstelle. Danach meldet er sich zunächst krank, fehlt später immer wieder unentschuldigt, bis ihm Anfang Juli gekündigt wird. Mit dem Vermisstenfall seiner Frau wendet er sich schließlich ans Fernsehen.
In der Sat1-Sendung "Fahndungsakte" erzählt er vor einem Millionenpublikum von Biancas Verschwinden, sagt, er sei ein bisschen wütend, dass sie einfach abgehauen ist und er sich reichlich Sorgen mache. Das Video wird später als Beweismittel im Prozess gezeigt werden.
Bereits im Herbst 2000 hat die Polizei den Ehemann im Verdacht, mit dem Verschwinden von Bianca F. zu tun zu haben. Sein Auto wird unauffällig mit einem Peilsender versehen. Am Abend des 20. Novembers schlägt dieser schließlich mit einer auffälligen Meldung aus.
150 Hektar Sennegelände werden umgegraben - ohne Leichenfund
Es ist der Abend, an dem das gemeinsame Kind von Bianca und Pietro F. hätte geboren werden sollen. Das Auto steht für eine halbe Stunde in einem entlegenen Bereich in der Senne geparkt. Die Polizei erhofft sich eine heiße Spur auf den Verbleib der Frau und lässt den Ort mit Leichenspürhunden untersuchen.

Eines der Tiere schlägt an. Doch auch nachdem 150 Hektar Sennegelände umgegraben worden sind, gibt es keine Spur von Bianca F. Die Polizei lässt aber nicht locker und ermittelt weiter.
Mithilfe eines Bodenradars wird die Terrasse des Elternhauses gescannt und schließlich sogar aufgestemmt. Die Einsatzkräfte prüfen, ob die Leiche der Frau im Beton versteckt wurde.
Mit Spürhunden: Letzte verzweifelte Suchaktion zum Vermisstenfall Bianca F.
Im August 2005, rund zwei Monate vor dem Prozessbeginn, durchsucht die Polizei noch einmal mit Leichenspürhunden das Augustdorfer Dünenfeld - eine letzte verzweifelte Suchaktion um Bianca F. zu finden. An selbiger Stelle hatte man zwei Jahre zuvor einen Müllsack mit persönlichen Dingen der Verschwundenen gefunden. Doch auch diese Suche bleibt fruchtlos.

Pietro F. kann man zunächst nichts nachweisen. Fünf Jahre dauert es, bis Hinweise erneut auf ihn deuten und die Polizei endlich zuschnappen kann. Doch unter der gemeldeten Adresse in Ostfriesland treffen die Beamten auf einen anderen Mann.
Der Kumpel, der Pietro F. ein Alibi für die Nacht des Verschwindens seiner Frau gegeben hatte, lebt dort, bis zu diesem Zeitpunkt unauffällig, mit dem deutschen Ausweis von Pietro. Dieser hatte sich indes mit seinem italienischen Ausweis nach London abgesetzt und dort als Fitnesstrainer gearbeitet, wo die Polizei ihn schließlich aufgreift.
Keine Leiche - kein Mord: Doch das Alibi von Pietro F. bröckelt
Vor Beginn des Prozesses gegen Pietro F., der wegen Mordes vor Gericht steht, macht sein Verteidiger deutlich: Bisher sei keine Leiche gefunden worden, es sei nicht einmal sicher, ob Bianca F. wirklich tot sei. Und so könne man nicht von Mord sprechen (Lippische Landeszeitung vom 24. August 2005).
Zudem gibt es eine Zeugin, die behauptet, die junge Frau noch lange nach ihrem Verschwinden gesehen zu haben. Als die Zeugin einige Prozesstage später vor Gericht steht, kann sie sich aber nur vage erinnern.
Der Verteidiger sieht die Indizienkette als dürftig an, spricht von Geldverschwendung durch die teuren Suchaktionen.
Mithäftling belastet F. schwer: Doch ist er glaubwürdig?

Kritisch wird es für Pietro F., als ein weiterer Zeuge auftaucht. Denn auch sein Kumpel, der ihm das Alibi gegeben hatte, sitzt hinter Gittern. Und dort hat er offenbar geplaudert.
Denn einer seiner Mithäftlinge meldet sich nun zu Wort. Ihm habe der Kumpel von Pietro F. erzählt, dass der angeklagte Ehemann seine Frau getötet und so versteckt habe, dass sie nie gefunden werden könne. Mit dem anderen Häftling habe er ein gutes Vertrauensverhältnis gehabt. Besonders wenn sie zusammen gekifft hatten, sei der andere ins Plaudern geraten.
Schließlich sagt auch noch eine Polizistin aus, die Pietros Kumpel als verdeckte Ermittlerin beschattet hatte. Sie hatte sich mit dem in Ostfriesland lebenden Mann angefreundet, sein Vertrauen gewonnen. Abgehörte Telefonate gehen in die Beweisaufnahme ein.
Indizien-Prozess: Ermordete Pietro F. seine Frau und hat sie leblos zurückgelassen?
So hatten die beiden Männer weiterhin Kontakt, planten, gemeinsam nach Südamerika, Dubai oder Thailand auszuwandern. Pietros Kumpel wird für sein falsches Alibi in einem späteren Prozess zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt werden.

Bis zum Schluss verweigert Pietro F. ein Geständnis. "Sie haben es hier in der Hand, einen Schlussstrich zu ziehen", redet ihm Richter Reineke am vorletzten Verhandlungstag ins Gewissen. Doch F. schweigt.
Schließlich folgt nach fünf Verhandlungstagen, der Vernehmung von rund 60 Zeugen und den Plädoyers von Verteidigung und Oberstaatsanwalt Christopher Imig das Urteil im "Mordprozess ohne Leiche". Sechs Jahre Haft gibt es für Pietro F. Denn die Indizienkette ist für das Gericht eindeutig.
Auch nach seiner Haftstrafe schweigt Pietro F.
Auch wenn man Pietro F. keinen Mord nachweisen könne, sei er der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig.
Der Angeklagte habe durch sein Verhalten mehrfach gezeigt, dass nur er als Täter in Betracht komme. Weil er erst auf Drängen eine Vermisstenanzeige erstattete, weil er sich nicht mehr an das genaue Datum des Verschwindens erinnern kann, weil er über die genauen Umstände des Streits schweigt.
Pietro F.s Anwalt legt Revision ein, doch die wird abgelehnt. Das Gericht rollt das Verfahren nicht noch einmal neu auf.
Auch kurz vor seiner Entlassung 2011 sagt Pietro F. nichts. Da er bereits verurteilt ist, würde ihm keine weitere Strafe drohen, wenn er gesteht, seine Frau ermordet zu haben. Dennoch beteuert er seine Unschuld. Er hat ein neues Leben begonnen, ohne seine Frau Bianca F.
Oberstaatsanwalt: Die Ermittlungen haben zu keinem Erfgebnis geführt

Bis heute gibt es keinen Hinweis darauf, was mit Bianca F. geschehen ist oder warum sie verschwand. Oberstaatsanwalt Christopher Imig: "Die Leiche ist nie gefunden worden. Eine aktive Suche findet nicht mehr statt, zumal man damals außerordentlich intensiv geforscht hatte und heute keine neuen Ansätze mehr erkennbar sind." Ermittelt wird also längst nicht mehr.
Dabei sind noch viele Fragen offen: Warum ist Bianca F. verschwunden? Ist sie alleine gegangen oder wurde sie entführt? Lebt sie noch oder ist sie, wie die Justiz glaubt, längst tot? Wieso hat sie ihren geliebten Hund zurückgelassen und nicht mitgenommen? Warum hat sich Pietro F. erst so spät an die Polizei gewandt?
Antworten darauf, wird es wohl erst geben, wenn Pietro F. über den Tag des 5. Juni 2000 sprechen möchte.
* Den Namen des Täters haben wir geändert, da er mittlerweile seine Strafe abgesessen und demnach ein Recht darauf hat, nicht mehr mit dem Fall in Verbindung gebracht zu werden.