"Frauke Liebs" bis "Nelli Graf": Was mit Cold Cases aus OWL passiert

Bielefeld. Beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf schlummern hunderte ungelöste Verbrechen aus NRW. Auch Akten zu Morden oder Sexualdelikten aus OWL liegen bei den Profilerinnen und Profilern der "Operativen Fallanalyse" - kurz OFA. Andreas Müller leitet die Stelle. Speziell ein Fall aus der Region lässt den erfahrenen Ermittler bis heute nicht los. Mit nw.de spricht Müller über seine Arbeit - und Cold Cases aus der Region. Lesen Sie auch: "Dann war es das wert": Einblick in die Arbeit eines Kinderporno-Ermittlers Hinter der sperrig anmutenden Bezeichnung "Operative Fallanalyse" steckt eine wichtige Arbeit: das Aufklären ungelöster Verbrechen - denn hinter jedem ungelösten Verbrechen wie Mord stecken auch trauernde Angehörige. "Das können Fälle von vor 25 Jahren sein, aber auch aktuelle Verbrechen", erklärt Müller, der die Dienststelle seit 2013 leitet und 1999 mit aufgebaut hat. Sexualdelikte, Mord, Totschlag Im Fokus der OFA stehen die Verbrechen, die man unter Ermittlern als "herausragende Delikte" bezeichnet: Von schweren Fällen der Körperverletzung und Raub über Sexualdelikte bis zu (versuchten) Tötungsdelikten oder gar Anschlägen, die noch immer ungeklärt sind. "Trüffelschweinartig", so nennt es Müller, werden die Akten von ihm und seinen neun Profiler-Kolleginnen und Kollegen beim LKA zu den ungeklärten Fällen durchforstet und nach neuen Hinweisen untersucht. "Man weiß nie, welcher noch so kleine Hinweis am Ende erfolgsbringend sein kann. Man muss alles prüfen", so Müller. In der Regel kommen die Ermittler der Polizei zu den LKA-Profilern, stellen ihren Fall vor. Die OFA prüft, ob die Ermittler helfen können und ob eine Zusammenarbeit überhaupt sinnvoll ist. In manchen Delikten sucht die OFA allerdings auch aktiv die Zusammenarbeit mit den ermittelnden Behörden. Müller betont immer wieder deutlich: So etwas wie eine "Cold Case Unit" gibt es nicht, ermittelt wird nicht aus Düsseldorf - es ist vielmehr eine Unterstützung für die Polizei vor Ort durch die erfahrenen LKA-Profilerinnen und Profiler. Beratung und Unterstützung "Manchmal erhalten wir auch Anfragen zu Fällen, bei denen die Ermittler selbst schauen, ob sie in ihren Ermittlungen die richtigen Überlegungen und Gedankengänge haben", so Müller. Denn oftmals sei es in Ermittlungen wichtig, eine zweite Meinung einzuholen. Dass bei der OFA zwangsläufig besser ermittelt als die Kriminalpolizei vor Ort, will Müller keineswegs sagen. Sowieso: Müller bezeichnet seine Arbeit weniger als Ermittlungen, sondern eher als "beraten und unterstützen". Manchmal, so der Profiler weiter, haben er uns seine Kolleginnen und Kollegen "einen kleinen Beitrag" zu den Ermittlungserfolgen dazu geleistet. "Mal mehr, mal weniger." Er beteuert aber auch: "OFA heißt nicht 'Offen für alles'." Nicht immer sei die Zusammenarbeit zielführend. Erkennen die Profiler aus Düsseldorf allerdings Ansätze, denen sie nachgehen wollen, beginnt die "Knochenarbeit", wie Müller das Durchforsten der Akten nennt. Später stehen etwa die Rekonstruktion des Falles oder die Begehungen des Tatorts oder relevanter Orte an. Müller betont jedoch: "Wichtiger als der Tatort, der von den Kollegen vor Ort ausgewertet wird, ist doch, wie es überhaupt zu der Tat gekommen ist, welche Gegebenheiten letztendlich den Tatverlauf beeinflusst haben könnten", macht Müller deutlich. Was ist "das Thema der Tat"? Bei der OFA steht eine zentrale Frage im Raum: "Welches Verhalten hat der Täter an den Tag gelegt? Welche Taten gehören womöglich zusammen?" Klare Hinweise wie Handschrift oder DNA spielen kaum eine Rolle. "Um solche Zusammenhänge festzustellen, braucht es keine OFA", sagt der Fallanalytiker. Es ist vielmehr das Verborgene, nicht direkt Ersichtliche, wonach Müller und seine Kollegen wühlen. Im Fokus steht, was der Leiter der OFA NRW "das Thema der Tat" nennt. Heißt: Das Motiv beschreibt in der Kriminalistik den tatsächlichen Beweggrund des Täters - zum Beispiel Eifersucht oder Rache bei Mord, sexuelle Befriedigung bei einer Vergewaltigung. Beispiel Sexualdelikt: "Hier hat man ein sexuelles Motiv. Bei 'Thema der Tat' steht die Frage im Fokus, was für Bedürfnisse stecken hinter dem sexuellen Motiv?", erläutert Müller. Haben die LKA-Profilerinnen und -Profiler das Thema erkannt, können auf den ersten Blick abwegige Verbrechen miteinander in Verbindung gebracht werden. Müller nennt ein Beispiel aus dem Bereich der Sexualverbrechen, wie es tatsächlich vorkommt: "Kaum jemand würde im ersten Moment eine überfallartige Vergewaltigung mit einer exhibitionistischen Tat in Verbindung bringen", sagt er. "Wenn man aber erkennt, dass der Täter zum Beispiel immer den selben Typ Opfer auswählt, kann man diese Verbrechen doch miteinander in Verbindung bringen." Cold Cases aus OWL Wie vielseitig das Feld ist, macht der Profiler deutlich: "Es gab nicht einen einzigen Fall, bei dem ich mich mit einer der zahlreichen Täter-Typologien begnügen konnte. Ich konnte nie einfach die Schublade aufmachen und schon hatte ich den Täter", sagt Müller. "Es hat immer den Einzelfall ausgemacht." Während ihrer Aufarbeitung der Fälle profitieren Müller und sein Team von einem Netzwerk, das während der Analyse hilft - von forensischen Psychiatern bis Rechtsmedizinern. Beim LKA NRW und der OFA liegt zudem die Datenbank "Cold Cases". Ungeklärte Verbrechen aus dem ganzen Bundesland wurden von den Polizeibehörden eingespeist, um von den LKA-Profilerinnen und Profiler womöglich neue Hinweise zu bekommen. Ungefähr 1.100 Prüffälle sind bisher in Düsseldorf eingegangen, etwa 350 wurden letztendlich in der Datenbank erfasst. Auch aus OWL sind einige ungeklärte Fälle aus dem Zeitraum von 1990 bis 2015 in die Datenbank eingegangen. Darunter befinden sich die Mordfälle "Sandra Zimmermann" und "Nelli Graf", die bei der OFA in Bearbeitung sind. Sandra Zimmermann war 17, als sie 1992 in Bad Salzuflen vergewaltigt und ermordet wurde. Nelli Graf (46) wurde 2011 in Halle entführt und getötet. Mord an Frauke Liebs "unfassbar" Doch kaum ein ungeklärter Mord hat es zu so großer Bekanntheit geschafft, wie der Fall "Frauke Liebs". Während der WM 2006 verschwand die Schwesternschülerin nach einem Kneipenbesuch in Paderborn - sie wurde offenbar entführt. Mehrfach meldete sie sich bei Angehörigen, telefonierte mit ihnen. Später wurde ihre Leiche in einem Waldstück nahe Lichtenau gefunden - sie wurde getötet. Der Täter ist auch 15 Jahre später nicht gefasst worden. Müller und seine Kollegen haben sich ausgiebig mit dem Fall beschäftigt, er selbst bezeichnet das Geschehen als "unfassbar". Er und sein Team haben eine erneute Fallanalyse durchgeführt, Hinweise und Spuren betrachtet, Experten hinzugezogen, der Kriminalpolizei in Bielefeld die Erkenntnisse mitgeteilt. "Wir haben uns auch ein Bild von Orten gemacht, die in dem Fall eine Rolle gespielt haben", berichtet Müller. Es gibt aber Probleme: "In dem Fall blieb bis heute der Ort des Festhaltens oder der Tötung unbekannt", sagt Müller. Letztendlich bestätigte die Fallanalyse bisherige Annahmen zum Tathergang und Täterprofil, lieferte aber zunächst nicht die "heiße" Spur, berichtet der erfahrene Profiler. "Einer der schlimmsten Fälle, die wir haben" Dennoch lässt Müller der Fall nicht los. "Für mich ist das einer der schlimmsten Fälle, die wir haben", sagt er. Eigentlich bringt er immer genug Distanz zwischen sich und die Verbrechen sowie das Leid. Manchmal falle das aber schwer. "Natürlich nimmt man auch Fälle mit nach Hause, weil man keine Lösung gefunden hat- sie gehen einfach nicht aus dem Kopf." Der Fall Frauke Liebs ist einer davon. "Ich würde eine Menge dafür geben, auch nur einen Anteil dazu beizutragen, den Täter dingfest zu machen." Er betont aber auch: "Der Fall 'Frauke Liebs' ist kein wirklicher Cold Case, denn die Ermittlungen laufen weiter!" Gerade weil dieses Verbrechen so spektakulär ist, habe dieser Fall unter den Cold Cases in NRW Priorität. Dass die Zusammenarbeit der OFA und der ermittelnden Polizei erfolgreich ist, zeigen viele Beispiele. Eines ist der Mord am zehnjährigen Mirco. Der Junge wurde im Herbst 2010 in der Nähe von Grefrath (Kreis Viersen) entführt und getötet. Die Arbeit der "Sonderkommission Mirco" gilt als eine der aufwendigsten Mordermittlungen in der deutschen Kriminalgeschichte. "Hier waren die OFA-Ergebnisse auf die mutmaßliche Entführungszeit, den Weg, den der Täter mit dem Kind zurückgelegt haben muss, wo die Leiche versteckt wurde und wo der Ankerpunkt des Täters liegt, sehr genau", sagt Müller. "Durch dieses Bewegungsbild gepaart mit den anderen Spuren und Ermittlungsergebnissen, konnte die Mordermittlerinnen und Mordermittler den Täter schließlich ausfindig machen." Mord verjährt nicht Doch generell lautet bei den LKA-Profilerinnen und Profiler die Devise: Neu vor Alt. Aktuelle Fälle haben eine höhere Priorität. In manchen Cold Cases allerdings spielt in der Abwägung die Verjährung eine Rolle. Wenn ein Tötungsdelikt zwar aufgeklärt wird, allerdings kein Mordmerkmal wie Heimtücke oder Verdeckungsabsicht erkannt wird, kann ein Fall verjähren. Der Täter würde straffrei bleiben. Deshalb haben Mordermittler und LKA-Profiler keine Zeit zu verlieren und setzen alles daran, die Ermittlungen rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist - bei Totschlag 20 Jahre - wieder aufzunehmen. Generell gilt, dass Delikte wie Körperverletzung, Vergewaltigung oder Totschlag verjähren - Mord aber nicht.

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