Erftstadt/Euskirchen (dpa). In Nordrhein-Westfalen läuft die Suche nach Vermissten und möglichen Todesopfern der Hochwasserkatastrophe weiter. Am Sonntag hatte das NRW-Innenministerium die Zahl der Toten auf 46 angehoben. In der vom Hochwasser besonders betroffenen Ortschaft Erftstadt westlich von Köln suchen zahlreiche Menschen nach ihren Angehörigen. Bisher wurden laut Angaben der Stadt bei der am Samstag eröffneten "Personenauskunftsstelle" 59 Menschen gemeldet, deren Aufenthaltsort ungewiss ist. 16 davon kämen aus Erftstadt.
Unter den Gesuchten seien auch Bewohner einer Altenpflegeeinrichtung, die am Samstag evakuiert werden musste. Viele Menschen wüssten nicht, wo ihre Angehörigen sein könnten, weil etwa das Telefonnetz zusammengebrochen war, erklärte ein Sprecher des Rhein-Erft-Kreises am Sonntag.
Den Angaben der Stadt zufolge konnten Einsatzkräfte bislang 70 Fahrzeuge bergen, 25 stünden noch im Wasser. Bislang wurden keine Menschen in den Autos und Lastwagen entdeckt. Zwei Fahrzeuge konnten Helfer bislang nicht sichten, weil sie unter einen Lkw lagen.
In mehreren Katastrophengebieten-Orten bereiteten Schaulustige den Helfern und Rettungskräften Probleme. "Bitte keinen Sensationstourismus!", bat Erftstadt am Sonntag auf seiner Homepage. Und aus der Städteregion Aachen hieß es, dass "Gaffer und Katastrophentouristen" die Aufräumarbeiten massiv behindern.
Stabilität des Untergrunds in Erftstadt wird geprüft
Besonders angespannt ist die Lage im Stadtteil Erftstadt-Blessem, wo Fachleute die Abbruchkanten eines Erdrutsches untersuchen. Dort war infolge der Fluten ein riesiger Krater entstanden, mindestens drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein. Auch die von einem Bruch bedrohte Steinbachtalsperre bereitet den Experten am Sonntag weiter Sorge.
An der von einem Bruch bedrohten Steinbachtalsperre bei Euskirchen wollen Fachleute erst am Montag entscheiden, wann die Menschen in den evakuierten Gebieten in ihre Häuser zurückkehren können. Ursprünglich war diese Entscheidung für Sonntag geplant gewesen, allerdings floss das Wasser langsamer ab als erwartet. Experten gingen weiterhin davon aus, dass zwei Drittel des Wassers in der Talsperre abgelassen sein müssen, bis der Zustand als sicher gelten könne, teilte die Bezirksregierung Köln am Sonntag mit. Am Montag werde die Situation neu bewertet.
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Im Zentrum der vom Hochwasser stark betroffenen Stadt Stolberg bei Aachen müssen die Bürger noch tagelang ohne Trinkwasser aus den Leitungen auskommen. Nach Auskunft der Feuerwehr dauere es auf einem Teil der Rathausstraße noch drei bis vier Tage, bis Techniker an die Leitungen können, um die Trinkwasserversorgung zumindest provisorisch wiederherzustellen, sagte eine Sprecherin des regionalen Wasserversorgers Enwor am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Die Straße ist voll mit Trümmern, das Zentrum Stolbergs ist nach dem Unwetter verwüstet. Trinkwasserbehälter sollen den Menschen im Alltag helfen.
Stromerzeugung läuft mit reduzierter Kraft
Die Flutkatastrophe hat auch das Kohlekraftwerk Weisweiler und andere Standorte des Energiekonzerns RWE getroffen. Das Unternehmen schätzte die Schäden am Samstag auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.
Die Stromerzeugung des Kraftwerks Weisweiler bei Eschweiler laufe nur mit reduzierter Kraft, teilte RWE in Essen mit. Am Donnerstag habe der Fluss Inde bei Lamersdorf einen Deich überspült und sei in den Tagebau Inden gelaufen. Von dort wird das Kraftwerk mit Braunkohle versorgt. Zwar habe sich die Lage mit sinkenden Pegelständen stabilisiert. Ziel sei, Ende kommender Woche in Inden erstmals wieder Kohle zu fördern. Es sei aber noch unklar, wann der Tagebau und die Stromerzeugung wieder in vollem Umfang arbeiten könnten.
Mit Stand Samstag waren auch RWE-Laufwasserkraftwerke in der Eifel, an Mosel, Saar und Ruhr noch abgeschaltet, wie das Unternehmen mitteilte. Nur zwei Anlagen seien in Betrieb. In den Tagebauen Garzweiler und Hambach sei der Betrieb dagegen nicht beeinträchtigt. Die Kraftwerke Niederaußem und Neurath produzierten Strom.
Öl bei Hochwasser in Wuppertalsperre geflossen
Durch das Hochwasser der vergangenen Tage ist es zu einer Verschmutzung der Wuppertalsperre im Oberbergischen Kreis gekommen. Nach Informationen der Bezirksregierung Köln waren mehrere Betriebe im südlich gelegenen Hückeswagen überflutet worden. Dabei waren verschiedene Stoffe, darunter auch Öl, ausgetreten.
Über die Wiebach-Vorsperre floss das Öl dann laut Mitteilung von Sonntag in die Hauptsperre. Derzeit werden Luft und Wasserproben genommen und untersucht. Der Wupperverband untersagt deshalb derzeit die Freizeitnutzung der Talsperre. Bootstouren, Angeln, Baden und Tauchen sind verboten.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will sich am Abend an die Bevölkerung wenden. Der WDR überträgt ab 19.55 Uhr vor der Tageschau eine vorab aufgezeichnete Ansprache.
Niederlande öffnen Schleusen nicht
Der Bürgermeister des nordrhein-westfälischen Wassenberg hat eine Schuldzuweisung beim Dammbruch in Richtung der niederländischen Behörden zurückgewiesen. "Für mich steht völlig außer Frage, dass die niederländischen Behörden die aus ihrer Sicht gebotenen Schutzmaßnahmen getroffen haben", sagte Bürgermeister Marcel Maurer (CDU) am Sonntag.
Der Deich im Stadtteil Ophoven sei gebrochen, weil er durchfeuchtet gewesen sei, und nicht, weil die Schleuse im Nachbarland geschlossen worden sei. Das habe keine unmittelbare Auswirkung gehabt. Inzwischen seien die Pegelstände gesunken, die Menschen kehrten langsam wieder in ihre Wohnungen zurück.