"Schieß doch!" - wie der Rockerkrieg in NRW eskalierte

Bielefeld. Eine Szene wie aus einem Film: Robert K. hat gerade seinen Motorradladen in Ibbenbüren geöffnet, als plötzlich Schüsse fallen. Er versucht zu fliehen, doch er hat keine Chance. K. wird kaltblütig erschossen von zwei Mitgliedern des Rockerclubs Bandidos. Der 47-Jährige gehört den verfeindeten Hells Angels an. Er ist an diesem Tag im Mai 2007 der erste Tote eines blutigen Rockerkriegs in Deutschland, der auch in NRW tobt. Bis heute. Die Täter werden später in Münster verurteilt. Es kommt zum Indizienprozess - unter anderem waren die Handys der Bandidos in Tatortnähe erfasst worden. Ein Ex-Bandido sagt aus, dass der Anschlag von langer Hand geplant gewesen sei. Der Prozess wird zum Schaulaufen für Bandidos und Hells Angels aus ganz Deutschland, begleitet von Auseinandersetzungen. "Dass die Bandidos und wir uns nicht mögen, ist wirklich kein Geheimnis", sagt einer der "Höllenengel" einem Reporter vom Spiegel. Doch wieso musste K., ein dünner Mann mit langer Mähne, der seinen Laden im Gebiet der Bandidos führte, sterben? Lesen Sie auch: Rocker in NRW - wieso die Gefahr hoch bleibt Es war Rache, da sind sich alle sicher. Ein Jahr zuvor sollen Mitglieder der Hells Angels in Bremen Mitglieder der Bandidos überfallen und regelrecht gefoltert haben. Der Grund sollen territoriale Kämpfe gewesen sein. Die Bremer Bandidos lösen sich in der Folge auf. Das Motiv für den Mord: Einer der Verurteilten war unter den Opfern, die zusammengeschlagen und gefoltert wurden. Familienvater K. war selbst Mitglied des Bremer Charters - ob er an dem Überfall beteiligt war, bleibt offen. Mit dem Urteil ist der Konflikt nicht beendet. Die Hintergründe des Konflikts Will man den sogenannten Rockerkrieg verstehen, muss man in die Vergangenheit blicken. 1973 gründen die Hells Angels ihr erstes Charter auf deutschem Boden - in Hamburg. Schnell gerät der neue Club in die Schlagzeilen, mehrere Mitglieder müssen ins Gefängnis. 1982 werden die Hells Angels in Hamburg schließlich verboten - was jedoch nicht bedeutet, dass sich die Höllenengel nicht anderswo weiter ausbreiten. Schließlich kommt es zu einem Schritt, den Szene-Kenner als regelrechtes Beben bezeichnen. Schlagartig wechselt der größte deutsche Motorradclub - der Bones MC - 1999 zu den Hells Angels. Plötzlich werden die "Rot-Weißen" zum wohl bedeutendsten MC in Deutschland. Zur gleichen Zeit sammeln sich verschiedene Clubs um die Bandidos, die mittlerweile ebenfalls ihre Fühler nach Deutschland ausstrecken. Auch hier wechseln größere deutsche MCs geschlossen die Seiten. Die Fronten verhärten sich. Mit der Gründung beider Clubs in Deutschland wird eine bittere Feindschaft zwischen Bandidos und Hells Angels importiert, die vor allem in den USA, in Kanada und Skandinavien viele Tote forderte. Teils gleichen die Auseinandersetzungen dort kriegsähnlichen Szenen - in Skandinavien kommen sogar Panzerfäuste zum Einsatz. Der Fall "Eschli" in Dusiburg Beide Gruppen rekrutieren später aggressiv, Anforderungen für die Mitgliedschaft sollen gar zurückgeschraubt worden sein - es gleicht einem regelrechten Wettrüsten, die Mitgliederzahlen schießen in die Höhe. Ein Pulverfass entsteht. Es entlädt sich 2009 in Duisburg erneut. Rudi Heinz E., genannt "Eschli", gilt als Schläger - als junger Wilder. Er war Mitglied der Hooligans von Schalke 04, Türsteher, vorbestraft, versuchte im Rotlichtmilieu Fuß zu fassen. Schließlich landet er bei den Bandidos in Gelsenkirchen. Anfang Oktober steht "Eschli" vor dem Clubhaus der Bandidos in Duisburg. Zuvor ist es im Ruhrgebiet zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Rockerclubs gekommen. Aus der Ferne muss E. einen erbitterten Kontrahenten erkannt haben: den Anwärter bei den Hells Angels, Timur A. Entschlossen geht "Eschli" auf den weißen Mercedes des Kampfsportlers zu, der gerade an einer roten Ampel wartet. "Lieber soll seine Mutter weinen, als meine" Laut Ermittlern sollen die beiden Rocker schon lange im Streit gewesen sein. Es ging um eine Frau, heißt es. Der breit gebaute "Eschli" soll A. zum Zweikampf auf offener Straße aufgefordert haben. Doch A. zieht eine Waffe. "Na komm, mach, schieß doch!", brüllt E. laut Zeugenberichten. Es sind seine letzten Worte. Vier Schüsse peitschen durch die Nacht, eine Kugel trifft den Bandido im Kopf. A. flüchtet, stellt sich später der Polizei. Er habe "den Jungen" nicht töten wollen, sagt er nach der Verurteilung wegen Todschlags einem Kamerateam im Gefängnis. Trotzdem: "Lieber soll seine Mutter weinen, als meine." Das Ende des Konflikts ist trotz der Verurteilung von A. nicht in Sicht. Denn schon wenig später greifen Hells Angels und Bandidos Clubhäuser der Kontrahenten an - mit Schusswaffen und Handgranaten. Es kommt zu wüsten Schlägereien. Auch in anderen Bundesländern wie in Berlin gibt es teils blutige Attacken mit toten Rockern. Was folgt, ist eine medienwirksame Inszenierung; der sogenannte "Frieden von Hannover", als sich führende Höllenengel und Bandidos vor Blitzlichtgewitter die Hand reichen und eine Art Friedensabkommen unterzeichnen. Wieso es zwischenzeitlich ruhiger wurde Doch der Vertrag hält nicht sonderlich lange - so wie andere Versuche, den Konflikt endlich zu lösen. Weil es immer wieder zu neuen Streitereien kommt, die teils blutig enden. Allerdings klingt der Streit zwischen den Clubs zeitweise ab. Vielleicht, weil vor allem die Hells Angels vor ganz anderen Problemen stehen. In Berlin gerät ein berüchtigtes Charter um den Chef Kadir P. in den Fokus. Mehrere Mitglieder werden wegen eines Tötungsdeliktes verurteilt; dem sogenannten "Wettbüro-Mord". Pikant: Einige Jahre zuvor waren P. und seine Männer selbst noch Bandidos, standen sogar bei blutigen Angriffen auf Höllenengel im Fokus der Ermittler. Schließlich der Wechsel, das sogenannte "Patchover". In Duisburg geraten die Hells Angels mit dem niederländischen Motorradclub Satudarah aneinander. Die Rocker haben den ersten Ortsverein in Deutschland gegründet und expandieren schnell - vor allem in NRW. 2015 wird Satudarah verboten. Interne Streitereien bei den Hells Angels? Im Raum Frankfurt soll es zu einem handfesten Streit innerhalb der Hells Angels gekommen sein. Auf der einen Seite Rocker mit Migrationshintergrund. Auf der anderen Seite alteingesessene Höllenengel. Gerade die Männer um den türkischstämmigen Aygün M., Präsident der Gießener Hells Angels, sorgen für Streit. So soll M. von einem Clubbruder mit Schüssen verletzt worden sein, einem alteingesessenen Rocker soll die Nase gebrochen worden sein. Ein Rausschmiss sei laut Medienberichten nicht möglich gewesen - M. sei bereits zu mächtig gewesen. Schließlich wird der Präsident im Oktober 2016 vor dem Gießener Clubhaus von 17 Kugeln getroffen und getötet. Die Täter sind noch immer flüchtig. Eines aber vereint beide Clubs: Sie nagen am sogenannten Kuttenverbot. Im verschärften Vereinsgesetz steht, dass es unter anderem Bandidos und Hells Angels verboten ist, ihre Abzeichen öffentlich zu tragen. Der Grund sind bisher in Deutschland ausgesprochene Verbote gegen einzelne Chapter und Charter. Weil die Biker gegen die politische Entscheidung klagen und zwischenzeitlich mit Imagepflege beschäftigt sind, heißt es: Füße stillhalten. In Hagen eskaliert ein weiterer Konflikt Zurück zum Rockerkrieg: In der Szene nennt man den Mann "Reiki". Er ist schon 63, einer der älteren Rocker, trägt einen grauen Schnauzbart. Auf Fotos lächelt er in die Kamera, trägt stolz die Kutte des Motorradclubs Freeway Riders. Eigentlich will "Reiki" im Oktober 2018 einen gemütlichen Abend im Clubhaus der Riders in Gelsenkirchen verbringen. Doch auf dem Nachhauseweg wird er nahe der Vereinskneipe überfallen, ein Messer wird gezogen. "Reiki" stirbt. Angeklagt werden vier Mitglieder der Bandidos, einer lässt über seinen Anwalt ein Geständnis verlesen. Was sind die Gründe für den Überfall? Die Spur führt nach Hagen. Hier haben sich die Freeway Riders vor fast 50 Jahren gegründet. Schließlich wollen die Bandidos ein Chapter in der westfälischen Stadt etablieren - und das im leer stehenden Clubhaus der Freeway Riders, wie es von Ermittlern heißt. Das reicht aus, um einen Konflikt hochzukochen. Was folgte, nennen Ermittler trocken "wechselseitig begangene, versuchte Tötungsdelikte". Der Rockerkrieg von Köln Ortswechsel: Köln. Die Rheinmetropole beheimatet gleich mehrere Rockergruppierungen. Die Hells Angels haben im Großraum Köln mehrere Charter. Man könnte die Stadt gar als Streitobjekt der Szene betrachten. Denn auch hier kam es vor fast zwei Jahren zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Höllenengeln und Banditen. Insgesamt zählen die Ermittler mehrere Schießereien. Es wurde herumgeballert "wie im wilden Westen", hieß es von der Polizei. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es im November 2018 einen Zwischenfall der Kategorie "typisch Rocker" gibt. Schüsse fallen auf eine Shishabar, in der sich Mitglieder der Bandidos aufhalten. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, dann sollen die Bandidos einen Schuldigen schnell in den Reihen der Hells Angels ausfindig gemacht haben. Die Rache folgt kurze Zeit später. Es sind die frühen Morgenstunden im kalten Dezember 2018, als auf der Kölner Zoobrücke Schüsse zu hören sind. Die Ermittler sind sich sicher: Drei Bandidos haben einen VW Golf verfolgt, in dem sie den Hells Angel vermuten, der die Schüsse auf die Bar gefeuert haben soll. Mehrere Kugeln durchsieben den Wagen - doch in dem Fahrzeug sitzt kein Rocker, sondern ein 21-Jähriger, der sich den Wagen nach eigenen Angaben geliehen hat und nur knapp überlebt. Mehrere Schüsse fallen Doch die Geschichte ist noch nicht vorbei. Manchmal spielt der Zufall Streiche, wie im Januar 2019. Im Büro eines Steuerberaters in der Kölner Innenstadt treffen ausgerechnet zwei verfeindete Rocker aufeinander. Sofort eskaliert der Streit, der sich auf die offene Straße verlagert. Hells Angel Orhan A. und der Präsident der Kölner Bandidos schießen aufeinander. Am selben Abend fallen erneut Schüsse: Laut Staatsanwaltschaft holen führende Bandios zum Schlag aus. Ihr Ziel ist eine Bar in Köln, die der Vater von Orhan A. führen soll. Insgesamt 14 Kugeln durchschlagen die Eingangstür - der Laden ist gut besucht. Dass niemand verletzt wird, ist ein Wunder. Die letzte Wasserstandsmeldung: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verbietet das Bandidos-Chapter "Hohenlimburg/Witten" sowie einen Supporterclub. Reul: "Auf das Konto der Mitglieder gehen versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung sowie zahlreiche Verstöße gegen das Waffengesetz. Es gab Schießereien auf offener Straße. Die Rocker spielen mit dem Leben von unschuldigen Menschen und bedrohen die öffentliche Sicherheit." Nach Informationen von nw.de hat das Verbot mit verschiedenen Faktoren in den Auseinandersetzungen der Bandidos mit anderen Motorradclubs zu tun. Dass weitere Verbote folgen, scheint nicht ausgeschlossen. Ob diese allerdings den sogenannten Rockerkrieg beenden? Fraglich.

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