Waffen, Drogen, Bandenkrieg: Rocker packen plötzlich aus

Bielefeld. Ali Osman ist eine der schillernden Personen in der Rocker-Szene. Oder besser: er war es. Er gründete den berüchtigten und mittlerweile verbotenen Rockerclub Satudarah in Deutschland, wurde später verhaftet, angeklagt - und packte vor Gericht aus. Nun spricht der Rocker über Interna der Szene, über Drogen und Waffen. Er ist jedoch nicht der einzige Rocker, der mittlerweile offen plaudert. Osman, der eigentlich Yildiray Kaymaz heißt, hat vor Jahren für Wirbel und Aufsehen gesorgt. In Duisburg gründete er das erste Chapter des holländischen Motorradclubs Satudarah. Der Club wurde im Nachbarland von Einwanderern gegründet und entwickelte sich zu einem der ganz großen Clubs im Land. Ermittler sehen klare Bezüge zur Organisierten Kriminalität. Mittlerweile existieren weltweit Chapter. In Deutschland aber nicht mehr. Konflikt mit den Hells Angels Denn der Club fiel durch Kriminalität auf - und durch einen Konflikt mit den Hells Angels. Schüsse fielen, Handgranaten flogen. Ein holländisches Kamerateam begleitete führende holländische Rocker und bekam erste Einblicke in deren Welt - auch zu der Zeit, als das Chapter im Ruhrgebiet gegründet wurde. Schließlich wurde Satudarah 2015 in Deutschland verboten. Osman, der Präsident des Dusiburg-Chapters, wurde später angeklagt. Es ging um Drogen. Und Waffen. Delikte, die man in die Kategorie "typisch Rocker" einordnen kann. Um eine mildere Strafe zu bekommen, sagte Osman gegen seine "Brüder" aus dem Club aus. Während seiner Zeit in Haft ist ein Buch über ihn und den deutschen Ableger von Satudarah entstanden. Nun, einige Jahre später, holt der Mann mit dem kantigen Gesicht, dem akkurat gestutzten Bart und den tätowierten Händen erneut zum Rundumschlag aus. Osman ist mittlerweile Mitte 40. In einem Video-Interview berichtet er, wie er angefangen habe, Kokain zu nehmen. Dass ein Buch ihn dazu ermutigt habe, sich gegen den mächtigen Rockerclub Hells Angels zu stellen. Und warum der Streit überhaupt aufkochte. Eingeladen hat ihn der Youtuber Deniz Ceylan, ak a "Cengiz44TV", seines Zeichens ebenfalls Ex-Rocker. Er war laut eigenen Angaben früher bei den Bandidos, deren Supporter-Club Chicanos aktiv sowie der rockerähnlichen Gruppierung United Tribuns. Insgesamt sei er "sechs, sieben vielleicht auch acht Jahre" in der Szene aktiv gewesen. Lesen Sie auch:Rocker in NRW - wieso die Gefahr noch immer groß bleibt Ein Tattoo auf seiner Hand - das "1%"-Zeichen - erinnert an seine Rocker-Vergangenheit. Ein beliebtes Symbol in der Szene: Sogenannte "Einprozenter" haben ihre eigenen Regeln und sind sogenannte Outlaws. Auch Osman will noch mehrere Club-Tattoos von Satudarah haben. Eines ziert deutlich erkennbar seinen Hals. Wegmachen lassen will er dieses nicht. Ob er noch Mitglied bei dem Outlaw Motorcycleclub ist? Eine wirklich klare Antwort gibt Osman nicht. Der Kodex des Schweigens Eigentlich reden Rocker nicht - oder kaum - in der Öffentlichkeit über Interna aus dem Club. Schon gar nicht über Straftaten. So gilt vor der Polizei oder dem Gericht der Kodex des Schweigens. Für Ermittler bedeuten diese Umstände große Probleme - oder viel Arbeit. Umso erstaunlicher ist es, dass verschiedene (Ex-)Rocker mittlerweile in sozialen Medien offen über das Rockerleben oder sogar Straftaten zu sprechen. Inwieweit alles der Wahrheit entspricht - fraglich. Hier können Sie sich ein Bild des Interviews machen: Dennoch geben die Rocker so Einblicke in eine Welt, die vor Jahren noch durch Verschwiegenheit berüchtigt war und auch deshalb zu einem Mythos geworden ist: Das Leben als Outlaw. Allerdings, das deuten Osman und Ceylan an, scheinen nicht alle in der Rocker-Szene glücklich darüber zu sein, dass die beiden so offen vor der Kamera plaudern. Mehrere Rocker berichten bei Youtube und Co. Deniz Ceylan und sein Interviewpartner Ali Osman sind nicht die einzigen (Ex-)Rocker, die sich dazu entschlossen haben, über Interna zu sprechen oder einfach eine Karriere bei Youtube und Co. zu starten. Da gibt es zum Beispiel Philip Schlaffer, ein ehemaliger Neonazi. Er war lange bei dem Motorradclub "Schwarze Schar" aktiv, in dem sich laut Behörden kriminelle Rechtsextremisten tummelten. Der Club wurde mittlerweile verboten, Schlaffer ist aus der Szene ausgestiegen und bekennt sich nun klar gegen Rechtsextremismus. Bei Youtube packt der Autor über das Leben als Rocker aus, über Konflikte mit anderen MCs oder über seine Karriere im Rotlichtmilieu. Zum anderen gibt es den Kasseler Rocker "Anton Boyka", Mitglied der Hells Angels. Er hat während der Pandemie einen Kanal gegründet, auf dem er sich vor allem dem Thema Fitness widmet, allerdings auch mal Einblicke in das Clubhaus der Rocker gibt. Im Frankfurter Raum ist ein Mitglied der Hells Angels als Rapper "Twin" aktiv (schaffte es in die deutschen To 100). Eine andere Person aus der Szene: "Miami Gianni", bürgerlich Jan Sander. Er war früher Mitglied in verschiedenen Rockerclubs - und V-Mann für die Polizei, ausgerechnet auch bei Satudarah. Auch er widmet sich bei Youtube seinen Erfahrungen, vor allem aus der Rockerszene. Das Leben als Outlaw im "Unterhaltungs-Kanal" Und eben Deniz Ceylan. Vor gut einem Jahr hat er sich entschlossen, bei Youtube oder anderen Streming-Seiten regelmäßig über das Leben als Outlaw zu sprechen. Seine Videos schauen viele Tausende Zuschauer. Mal berichtet er, wie man überhaupt Mitglied wird und wie der Weg zum Member aussieht. Mal aber berichtet er von Schattenseiten im Club wie Rassismus, den er erfahren habe. Mal erklärt er die verschiedenen Rollen im Club - oder berichtet einfach von News aus der Szene, egal ob Deutschland, Europa oder die USA. Dann erzählt er von den United Tribuns und warum diese immer mehr von der Bildfläche verschwinden. Er betont jedoch auch in einem seiner Videos über Rocker, das letzte, was er wolle, sei "jemanden in die Pfanne zu hauen". Generell: Sein Youtube-Kanal sei nur ein "Unterhaltungs-Kanal", man müsse nichts "auf die bare Münze" nehmen. Das gelte vor allem für die Polizei und die Staatsanwaltschaft, die womöglich zuhört. Was generell festzustellen ist: Verschiedene Mitglieder der Hells Angels und Co. haben in sozialen Medien wie Instagram tausende Follower. Die meisten halten sich dabei zurück und zeigen eher Ausschnitte aus dem Leben eines Rockers, ihren luxuriösen Lifestyle oder einfach ihren Alltag. Über Waffen, Straftaten und Streitereien Vereinzelt gibt es aber auch Rocker, die anfangen loszuledern. Ein Mann, der laut eigenen Angaben früher bei den Bandidos in Köln aktiv war, hat zum Beispiel ein Statement-Video verbreitet, in dem er kein gutes Haar an seinem ehemaligen Club lässt. In dem kurzen Clip fliegen Beleidigungen und harte Vorwürfe gegen das Kölner Bandidos-Chapter. Zurück zu Osman: Der Ex-Rocker berichtet in dem mehrteiligen (und mehrstündigen) Interview über seine Verhaftung. Über seine Verurteilung. Über Straftaten, bei denen zum Beispiel ein Kontrahent mit einer Machete ins Gesicht geschnitten worden sei. Über Waffen, für die er bis zu 40.000 Ero asugegeben haben will ("Ich hätte auch einen Kampfhubschrauber gekauft, wenn ich gekonnt hätte"). Über eine AK47, die er gemeinsam mit anderen Rockern in einer Sporttasche über die niederländische Grenze geschmuggelt haben will. Über den Konflikt mit den Hells Angels im Ruhrgebiet ("Wenn die Behörden mich nicht aufgehalten hätten oder verhaftet, da wäre kein Stein auf dem anderen Stein geblieben"). "Das ist nicht nur ein Motorradclub" Oder über seine ehemaligen Club-Brüder, die sich während der Abhörung durch die Polizei am Telefon über das Strecken von Drogen unterhalten haben sollen. Über V-Männer, die Mitglied bei Satudarah waren. Über Spitzel, die Osman bei der Polizei gehabt haben will. Über Rocker, die nicht mal Motorrad fahren sollen. Über Satudarah selbst. Osman sagt über den niederländischen MC: "Das ist nicht nur ein Motorradclub - da ist noch was anderes." Was genau - er will es nicht verraten. Doch wieso berichtet Osman nun so ausführlich? Und warum hat er damals vor Gericht ausgepackt? Ginge es nach dem Kodex, hätte er doch schweigen müssen. Osman sieht das anders: "Was für ein Kodex?", fragt er. "Jeder redet von Kodex. Aber ich möchte die Leute mal sehen, wenn die mal in so einer Situation stehen." Und sowieso: Belastet habe er damals nur drei Personen, darunter ein V-Mann - auf Anraten seines Anwalts. Ob er Angst vor einer möglichen Rache von Satudarah hat? Er lässt es offen. "Ich bin seit zweieinhalb Jahren wieder aus dem Gefängnis raus", merkt er nur immer wieder an. Osman zumindest scheint noch einiges vorzuhaben. Noch muss er die Füße stillhalten - Bewährungsfrist, berichtet er. "Darauf warte ich nur." Und: "Ich habe eine Mission." Genaueres verrät er wieder nicht. Doch weil immer mehr Rocker sich zu den Ereignissen der Szene äußern oder über Interna berichten, wird Osmans nächster Schritt sicher nicht unbemerkt bleiben.

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