Hoffen auf Organspende: Nach 12 Jahren kommt der entscheidende Anruf

Detmold. 9.192 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Carsten Steinecker war bis vor Kurzem einer von ihnen. Zwölf Jahre lebt der Detmolder nach einer lebensverändernden Diagnose in einer Warteschleife. Mit 41 Jahren versagen seine Nieren, sein Überleben ist von künstlichen Blutwäschen abhängig. Drei Mal pro Woche muss Steinecker zur Dialyse, bis am 6. März der ersehnte Anruf kommt. &bdquo;Herr Steinecker, wir haben eine Niere für Sie", sagt Nephrologe Friedrich Thaiss vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Einen Tag später folgt die Nierentransplantation und damit das Ende von Steineckers Leben in Warteschleife. &bdquo;Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass sich noch jemand meldet", sagt der 53-Jährige. &bdquo;In den ersten Jahren auf der Warteliste denkt man noch bei jedem Anruf: Jetzt ist es soweit. Doch so war es zwölf Jahre lang nicht, weshalb mich der Anruf geschockt hat." Nach dem Anruf muss sich Steinecker erst mal beruhigen. Dann informiert der Detmolder seine Familie, packt seine Tasche, frühstückt mit seiner Frau Iris und macht sich mit ihr auf den Weg nach Hamburg. &bdquo;Bei der Ankunft musste ich mich leider von meiner Frau verabschieden, weil sie wegen der Pandemie das Krankenhaus nicht betreten durfte. Das war ein hochemotionaler Moment, denn man weiß ja nie sicher, wie so eine aufwendige Operation zu Ende geht." &bdquo;Ich feiere jetzt jedes Jahr zwei Geburtstage." In der Klinik muss Steinecker zwölf Stunden warten, bevor die Operation beginnt. &bdquo;Das waren die längsten Stunden meines Lebens. Doch als in der Nacht die Spenderniere eintraf, konnte die Operation um 1.30 Uhr endlich beginnen." Die Spenderniere wird aus Berlin nach Hamburg gebracht, mehr weiß Steinecker nicht. &bdquo;Ich weiß leider gar nichts über den Spender, weder Geschlecht noch Alter, doch ich bin unendlich dankbar." Das gelte auch für die Teams im Universitätsklinikum Hamburg sowie im PHV-Dialysezentrum Detmold, in dem er in den vergangenen zwölf Jahren eine zweite Familie gefunden hat. Bereits wenige Tage nach der achtstündigen Operation fühlt sich der 53-Jährige wie neu geboren. &bdquo;Ich feiere jetzt jedes Jahr zwei Geburtstage. Am 18. März bin ich auf die Welt gekommen und am 7. März wurde ich neu geboren." An die ersten beiden Tage nach der Operation hat Steinecker keine Erinnerung mehr, doch seitdem geht es bergauf. &bdquo;Ich fühle mich von Tag zu Tag besser. Meine neue Niere hat sofort mit ihrer Arbeit begonnen, das ist ein phänomenales Gefühl." &bdquo;Diese vielen freien Stunden sind neu gewonnene Lebenszeit." Nach drei Wochen in der Klinik kehrt Steinecker Ende März schon wieder nach Detmold zu seiner Familie zurück. Für den 53-Jährigen beginnt damit ein neues Leben: &bdquo;Ich musste zwölf Jahre lang drei Mal pro Woche für jeweils viereinhalb Stunden zur Dialyse. Schmerzen hatte ich dabei keine, doch danach fühlte ich mich wie gerädert." Was über zwölf Jahre überlebenswichtig ist, ist seit der Nierentransplantation nicht mehr nötig. &bdquo;Diese vielen freien Stunden sind neu gewonnene Lebenszeit mit einer deutlich höheren Lebensqualität." Auch im Alltag musste sich Steinecker in den vergangenen zwölf Jahren massiv einschränken. &bdquo;Ich musste genau darauf achten, was und wie viel ich wann esse und trinke." Zwischen der Dialyse am Freitag und am Montag durfte der 53-Jährige beispielsweise nur drei Liter Flüssigkeit über Getränke und Nahrungsmittel zu sich nehmen. &bdquo;Wenn ich Durst hatte, konnte ich deshalb nicht einfach etwas trinken, oft half nur das Lutschen eines Eiswürfels." Doch auch damit ist nun Schluss. &bdquo;Nach der Operation fragte mich eine Krankenschwester, ob ich etwas trinken möchte. Ich fragte nach einer Cola, die nach zwölf Jahren Verzicht unglaublich gut geschmeckt hat." &bdquo;Ohne meine Frau hätte ich das nicht durchgestanden." Am wichtigsten ist Steinecker jedoch, dass seine Familie nicht mehr so viel verzichten muss. &bdquo;Meine Frau Iris hat die vergangenen zwölf Jahre mit einem Schwerkranken zusammen gelebt und mich immer unterstützt. Ohne sie hätte ich das nicht durchgestanden." Steinecker weiß, wie wichtig eine starke Familie ist. &bdquo;Im Dialysezentrum habe ich viele Menschen kennengelernt, die ihre Partner und Familien verloren haben. Daher bin ich sehr dankbar für die stetige Unterstützung." Den kommenden Monaten blickt Steinecker trotz der Gefahren durch das Coronavirus positiv entgegen. Für Ende April rechnet der Verlagskaufmann mit dem Start seiner Reha und im Sommer mit der Rückkehr in seinen Beruf. &bdquo;Ich arbeite gerne und freue mich auf die vollständige Rückkehr." Groß ist die Vorfreude auf spontane Ausflüge und Urlaube, die vor der Transplantation nur sehr schwer umsetzbar waren. &bdquo;Ich freue mich auf Radtouren, Wanderungen und lange Spaziergänge mit unserem Hund Sammy." Mit seiner Geschichte möchte der Detmolder anderen Mut machen Auf seine Gesundheit muss Steinecker aber auch weiterhin achten. &bdquo;Ich trage stets Maske und halte Abstand, um zu verhindern, dass ich mich mit dem Coronavirus oder anderen Krankheitserregern infiziere." Engen Kontakt hat Steinecker lediglich zu seiner Frau und seinem Sohn. Seine für April geplante Corona-Schutzimpfung musste wegen der Operation und den Folgen verschoben werden. &bdquo;Doch ich hoffe, dass ich die bald nachholen kann." Mit seiner Geschichte möchte Steinecker den Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan Mut machen. &bdquo;Auch wenn es dauert, irgendwann kommt der Anruf, deshalb sollte niemand die Hoffnung aufgeben." Zudem möchte der 53-Jährige einen Teil zu der Diskussion über die Änderung des Organspendesystems in Deutschland beitragen. Der Detmolder setzt sich für die Einführung der Widerspruchslösung ein, damit sich mehr Menschen mit dem Thema Organspende befassen. &bdquo;Es kann doch nicht sein, dass sich noch immer Millionen Deutsche aufgrund von Desinteresse, Bequemlichkeit oder Unwissenheit nicht mit dem Thema beschäftigen. Jedes Jahr sterben Menschen auf der Warteliste."

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