Kassenärzte: "Zu spät"

Laschet schlägt "zwei bis drei Wochen" Lockdown vor

Einzelne Länder dringen schon lange auf strengere Regeln. Jetzt fordert Laschet den "Brücken-Lockdown". Was ist damit gemeint? In Deutschland hat der Vorstoß ein geteiltes Echo ausgelöst.

Laschets Vorstoß hatte unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. | © picture alliance / SULUPRESS.DE

06.04.2021 | 06.04.2021, 16:51

Berlin (AFP/dpa/epd). Ein "Brücken-Lockdown" zur Eindämmung der Corona-Gefahren sollte aus Sicht des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) "zwei bis drei Wochen" dauern. Jetzt sei absehbar, "dass schon in ganz kurzer Zeit 20 Prozent, danach 30, 40 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft ist", sagte der CDU-Bundesvorsitzende am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. "Für diesen Zeitpunkt, sagen uns die Experten, sollten wir noch einmal eine Anstrengung unternehmen und das öffentliche Leben reduzieren".

Sollte es gelingen, die Inzidenz so zu reduzieren, seien auch neue Lockerungen denkbar, sagte Laschet weiter. "Mein Vorschlag war einfach, nochmal mit einer Kraftanstrengung die Inzidenz runter zu bringen", sagte Laschet, "um dann die neuen Möglichkeiten zu haben, auf die die Bürgerinnen und Bürger so hoffen".

Mit Hilfe "neuer Mechanismen" wie der App "Luca" für Kontaktnachverfolgung sei bei einer niedrigeren Inzidenz auch eine Ausdehnung von Modellprojekten denkbar, sagte Laschet weiter. Diese Schritte müssten in den nächsten drei Wochen vorbereitet werden, "dann kann man hineingehen in die Zeit, in der man behutsam öffnen kann", sagte Laschet.

Um den "Brücken-Lockdown" zu beschließen, will Laschet die für den 12. April geplante Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten vorziehen.

Kassenärzte-Funktionär: Lockdown "knackig und hart"

Die Forderung nach dem "Brücken-Lockdown" kommt aus Sicht ärztlicher Praktiker spät. Diese Chance hätte schon in den Osterferien genutzt werden sollen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dirk Spelmeyer, am Dienstag im "Morgenecho" von WDR 5. Er würde sich einen Lockdown "knackig und hart" wünschen, sagte Spelmeyer.

Das Statement von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet:

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stellte sich hinter die Forderung seines Parteivorsitzenden. Laschet habe "ohne Zweifel Recht", sagte Kretschmer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Mit der Dynamik vor Ostern werden wir Ende Mai nicht erreichen."

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier ist offen für den Vorschlag, schon in den nächsten Tagen in einer Bund-Länder-Runde über das weitere Vorgehen zu beraten. "Ich wäre bereit, die Ministerpräsidentenkonferenz vorzuziehen", sagte Bouffier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Sie müsste dann aber als Präsenzveranstaltung stattfinden. Ziel muss eine Verständigung der Länder sein."

Kritik kommt aus Berlin: "Was heißt das alles?"

Bei mehreren seiner Länder-Kollegen ist Laschet jedoch auf Skepsis gestoßen. "Es ist, glaube ich, noch sehr viel unklar, was Herr Laschet damit meint", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Montag dem ARD-Hauptstadtstudio zum Vorschlag des CDU-Vorsitzenden. "Ein Brücken-Lockdown für eine Übergangszeit und dann mit welchen Maßnahmen? Und das soll so lange gelten, bis viele Menschen geimpft sind. Was heißt das alles? Also, ich glaube, da sind viele Überlegungen auch bei Herrn Laschet noch nicht abgeschlossen".

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil meldete "erhebliche Zweifel" an. Der Vorschlag lasse viele Fragen offen, sagte der SPD-Politiker am Dienstag. "Will Ministerpräsident Laschet die Kitas komplett samt Notbetreuung schließen? Will er die Wirtschaft ganz herunterfahren? Wie lange und mit welchem konkreten Ziel sollen die Maßnahmen andauern? Das alles ist ungeklärt."


Verhalten äußerte sich auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). "Wir können als Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gerne jederzeit zusammenkommen, aber da muss auch vorher was auf dem Tisch liegen, was wir dann auch wirklich gemeinsam beschließen und vor allem auch alle umsetzen", sagte Thüringens Ministerpräsident er dem Spiegel. Ramelow bekräftigte seine Forderung nach einem Stufenplan aus dem Kanzleramt. Die "aktuellen Wortmeldungen" seien "wieder Stückwerk und von Hektik geprägt", kritisierte er.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund erteilt der Forderung ebenfalls eine Abfuhr. "Wenn Sie eine Brücke bauen, müssen Sie wissen, sehe ich das andere Ufer und wie weit es weg ist", sagt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im ZDF. "Wir wissen ja gar nicht, wie lange es dauern wird, bis die Impfungen den Erfolg haben, dass die Infektionen zurückgehen." Viel mehr müssten sich Bund und Länder darauf konzentrieren, das zu schärfen, was sie bereits vereinbart hätten, wie etwa die Notbremse bei einer Inzidenz ab 100. Bund und Länder sollten sich daher kurzfristig über Maßnahmen verständigen. Es mache aber keinen Sinn, dass erneut eine Konferenz stattfinde, wo am Ende jeder mache, was er wolle. "Dann lieber keine, dann lieber warten auf den 12."

Forderung nach einheitlichen Regeln

Bayern ist laut CSU-Generalsekretär Markus Blume nur dann für ein Vorziehen der Gespräche, wenn alle Bundesländer grundsätzlich zu einer Verschärfung der Corona-Regeln bereit sind. Blume sagte am Montagabend im Politik-Talk "Die richtigen Fragen" auf Bild live: "Eine neue MPK bringt ja nichts, wenn danach wieder jeder Seins macht. Deshalb ist ganz entscheidend, dass die Bereitschaft der Länder da ist zu weitergehenden Maßnahmen."

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat Laschet für den "Brücken-Lockdown"-Vorstoß kritisiert und sich skeptisch über eine vorgezogene Bund-Länder-Runde schon in dieser Woche geäußert. "Es macht nicht Sinn, sich zusammenzusetzen, ohne dass man sorgfältig das, was man dort beschließt, auch vorbereitet hat", sagte Scholz. Zugleich monierte er, Laschet habe als NRW-Ministerpräsident trotz hoher Infektionszahlen nicht alle vereinbarten Regelungen eingehalten und nicht konsequent Ausgangsbeschränkungen in betroffenen Regionen eingeführt.

Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äußerte sich skeptisch: Solange sich einzelne Bundesländer gegen Ausgangsbeschränkungen sperrten, nutze auch ein neues Treffen nichts, sagte er bei Bild live. Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der Rheinischen Post: "Ein neuer Name bedeutet noch lange kein konsequentes Handeln."

Kubicki spricht sich für Fortsetzung von Modellprojekten aus

Ungewohnt heftig reagierte auch die FDP, mit der Laschets CDU in NRW regiert. "Wir fragen uns, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Herr Laschet es eigentlich jetzt für notwendig erachtet, einen kompletten, pauschalen Lockdown in unserem Land einzuleiten", sagte FDP-Bundesparteichef Christian Lindner. Im Gegenteil müsse über die begonnenen Modellprojekte besser verstanden werden, wo und wie Infektionen stattfinden. Ausgerechnet diese einzustellen sei falsch. "Das kann kein guter Rat sein."

FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete Laschets Vorstoß als "Verzweiflungstat". Die Menschen sollten noch stärker eingeschränkt werden, "um das Scheitern der Impfstrategie der CDU-geführten Bundesregierung zu überdecken", sagte er der Funke Mediengruppe.

Die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), hatten schon vergangene Woche in einem gemeinsamen Brief an ihre Kollegen eine strikte Anti-Corona-Politik mit einer konsequenten Umsetzung der Notbremse in Hotspots gefordert, auch mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Härtere Maßnahmen fordert auch Merkel. Bisher war der Ruf jedoch vielerorts ungehört verhallt - auch in CDU-geführten Bundesländern.