Ein Jahr Homeoffice: Tipps gegen den Rappel zu Hause

Bielefeld. Millionen Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten inzwischen seit einem Jahr im Homeoffice. Während zu Beginn der Corona-Krise in Deutschland im März 2020 bei vielen Betroffenen die Freude über den Wechsel überwog, kippt die Stimmung inzwischen bei vielen. Sie sehnen die Rückkehr ins Büro herbei, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Doch bis dahin weiter nur abzuwarten, kann die Psyche weiter schwer belasten, weiß Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski. Deshalb rät die Bielefelderin Betroffenen zu neuen Ritualen. &bdquo;In meiner Praxis suchen mehr und mehr Patienten Hilfe, weil sie mit den psychosozialen Folgen der Krise nicht mehr alleine zurechtkommen", erklärt Golsabahi-Broclawski. Die Arbeit im Homeoffice belaste vor allem wegen der fehlenden Trennung von Beruf und Privatleben. &bdquo;Das ist ungesund, weil unser Gehirn Struktur benötigt. Doch die gewohnte Tagesstruktur existiert nicht mehr." "Multitasking ist ungesund" Das Phänomen Multitasking bezeichnet die Bielefelderin deshalb nicht nur als überschätzt, sondern auch als ungesund. &bdquo;Doch genau dazu neigen viele Menschen, die glauben, dass sie im Homeoffice noch mehr leisten müssen als sonst. Diese Einstellung führt am Ende jedoch nicht zu mehr Produktivität, sondern zum Ausbrennen, weil sich Menschen damit überfordern." Ein weiteres Problem ist laut Golsabahi-Broclawski, dass sich viele Menschen durch die Arbeit im Homeoffice eingeengt fühlen. &bdquo;Es gibt kaum noch Ausgleich. Sport im Fitnessstudio, Einkaufsbummel oder Verabredungen sind schon lange nicht mehr möglich." Da Familien seit einem Jahr die meiste Zeit zuhause verbringen, leide auch die Privatsphäre. &bdquo;Mir erzählen Patienten, vor allem Frauen, dass sie sich auf die Toilette, als letzten Ort mit etwas Privatsphäre, zurückziehen, und dort hoffen, dass niemand klopft." "Lästern fördert die Gesundheit" Zudem fehle im Homeoffice der Austausch mit Kollegen. &bdquo;Vorher als unbedeutend wahrgenommene Rituale wie Gespräche an der Kaffeemaschine, gemeinsame Pausen oder Weihnachtsfeiern fehlen jetzt, weil wir sie als soziale Wesen brauchen", weiß Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Reden, tratschen, lästern und flirten als Austausch mit Kollegen oder Mitschülern sind wichtig für unsere psychosoziale Gesundheit." Insbesondere Lästern fördere die mentale Gesundheit, weil Menschen dadurch Dampf ablassen können. Wichtig sind nach Angaben der Psychiaterin auch Feierabendrituale, wenn Kollegen bei einem Glas Wein den Tag ausklingen lassen. &bdquo;Anfangs wird noch über die Arbeit gesprochen, doch dann folgt schnell das gemeinsame Abschalten. Dafür eignet sich auch gut der Nachhauseweg, doch auch der entfällt." Belastungen im Homeoffice können krank machen Hinzu komme, dass die Belastungen im Homeoffice aktuell auf Perspektivlosigkeit treffen. &bdquo;Durch die fehlende Strategie der Politik und die nur langsam fortschreitende Immunisierung der Bevölkerung, fühlen sich immer mehr Menschen hoffnungslos. Für unsere psychische Gesundheit benötigen wir Klarheit, Verbindlichkeit und Halt, doch genau das fehlt", sagt Golsabahi-Broclawski. All diese Belastungen können krank machen. &bdquo;Es kommt vermehrt zu psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen und häuslicher Gewalt." Doch wie können sich Betroffene, die zu Hause zunehmend leiden, dagegen schützen? &bdquo;Da niemand weiß, wann wir in unser altes Leben zurückkehren können, sollten Betroffene nicht einfach nur auf Besserung hoffen, sondern sich aktiv dafür einsetzen, um sich selbst zu schützen", rät Golsabahi-Broclawski. "Das Handy nicht mit auf die Toilette nehmen" Entscheidend sei die strikte Trennung zwischen beruflichen und privaten Tätigkeiten. &bdquo;Arbeitszeiten einhalten, feste Pausen einplanen, am besten an der frischen Luft, und vor und nach der Arbeit die Kleidung wechseln." Golsabahi-Broclawski rät dringend davon ab, beim Kochen oder Entspannen auf dem Sofa nach Feierabend noch Anrufe oder Mails zu beantworten. &bdquo;Auch auf der Toilette oder während Pausen sollte man das Handy nicht mitnehmen." Wichtig sei zudem, dass Betroffene neue Rituale und auch zu Hause eine Feierabendkultur etablieren, sagt Golsabahi-Broclawski. &bdquo;Anrufe und Videokonferenzen ersetzen zwar keinen persönlichen Austausch, aber feste Verabredungen mit Kollegen nach der Arbeit können trotzdem sehr hilfreich sein. Denn auch am Telefon können sich Kollegen austauschen, tratschen und lästern und so gemeinsam Dampf ablassen und die Arbeit ausklingen lassen." Neue Rituale können auch als fest eingeplante Spaziergänge, Filmnächte oder Spielabende etabliert werden. &bdquo;Oder einmal in der Woche etwas Besonderes im Restaurant bestellen." Mit Blick auf das Ende der Pandemie hofft die Psychiaterin auf schrittweise Öffnungen des öffentlichen Lebens. &bdquo;Israel zeigt aktuell nicht nur, wie eine Impfkampagne umgesetzt werden sollte, sondern auch, wie die Rückkehr zur Normalität in Schritten gut funktionieren kann, weil Menschen dadurch nicht überfordert werden."

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