Kliniken unter Kostendruck: Auch Ärzte müssen um ihre Jobs bangen

Berlin/Bielefeld. In der Corona-Pandemie sind Krankenhäuser in besonderer Weise gefordert. Doch gleichzeitig steht vielen Kliniken das Wasser bis zum Hals. Wegen verschobener Operationen, abgesagter Behandlungen und weniger Patienten verzeichnen Krankenhäuser Einnahmeverluste in Milliardenhöhe. Bundesweit bringt das trotz Ausgleichszahlungen vom Bund Krankenhäuser in finanzielle Nöte. Erste Kliniken wollen deshalb Personal abbauen, wie aktuell in Bremen und Rostock, allerdings nicht wie in der Vergangenheit in der Pflege, sondern im ärztlichen Dienst. &bdquo;Einige Geschäftsführer von Krankenhäusern nutzen die gesunkenen Patientenzahlen als Begründung für den Abbau von Arztstellen, um die Einnahmeverluste auszugleichen", erklärt der Sprecher der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Michael Helmkamp. &bdquo;Aktuell werden Zeitverträge nicht verlängert oder freie Stellen nicht wieder besetzt." Das Ausmaß des Stellenabbaus könne aktuell aber noch nicht abgeschätzt werden. Den Abbau von Arztstellen hält der Marbuger Bund für einen Fehler, da laut Helmkamp in allen Fachbereichen Ärzte fehlen. &bdquo;Auch wenn die Zahl der Patienten aufgrund der Pandemie 2020 und wohl auch 2021 niedriger sein wird als sonst, werden Ärzte dringend gebraucht." Der hohe Bedarf lasse sich allerdings nicht nur mit Belastungen durch die Behandlung von Covid-19-Patienten begründen. &bdquo;Sondern auch mit der grundsätzlichen Entwicklung, dass Medizin immer differenzierter wird. Außerdem wurde die Arbeitszeit von Ärzten begrenzt und die Zahl der Medizinerinnen steigt, die häufiger als ihre männlichen Kollegen Teilzeit arbeiten." Dadurch ergebe sich insgesamt ein höherer Personalbedarf. In Deutschland gibt es so viele Ärzte wie noch nie Auf diesen Bedarf haben die Kliniken in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten reagiert: So viele Ärzte wie derzeit gab es in Deutschland noch nie. Mit der Folge, dass die Personalkosten für den ärztlichen Dienst gestiegen sind. &bdquo;Inzwischen machen die Kosten für den ärztlichen Dienst 25 bis 30 Prozent der Gesamtkosten eines Krankenhauses aus", erklärt Georg Rüter, Vorstandsvorsitzender des Zweckverbands freigemeinnütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwestfalen mit 51 Häusern. &bdquo;Im Gesundheitssektor steigt die Zahl der Ärzte seit 1960 kontinuierlich an. Hinzu kommen beträchtliche Lohnsteigerungen, wie zuletzt 2020 mit einem Plus von 6,5 Prozent." Hinzu kommen laut Rüter strukturelle Verbesserungen wie die präzise Arbeitszeiterfassung oder eine Höchstzahl an Bereitschaftsdiensten. &bdquo;Ärzte, die heute 40 Stunden pro Woche arbeiten, verdienen mehr als Ärzte, die vor zehn Jahren 50 Stunden gearbeitet haben." Klinik-Chef: &bdquo;Die Zahl der Ärzte wird nicht weiter erhöht" Die Produktivität der Ärzte ist laut Rüter in dieser Zeit jedoch nicht gleichermaßen gestiegen. &bdquo;Deshalb bin ich froh, dass in diesem Bereich Druck entsteht, denn in der Vergangenheit wurde Personal vor allem in der Pflege eingespart. Gleichzeitig wurden Küchen- und Reinigungskräfte ausgegliedert. So ist eine Schieflage entstanden." Zudem hat das Pflegepersonalstärkungsgesetz dafür gesorgt, dass Pflegepersonalkosten unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden. Das neue Gesetz sieht vor, dass für jedes Krankenhaus das Verhältnis zwischen der Zahl der Pflegekräfte und dem anfallenden Pflegeaufwand errechnet wird. Unterschreiten Kliniken diese Grenze, wird das Honorar gekürzt. Rüter ist deshalb nicht überrascht, dass erste Krankenhäuser aufgrund der Einnahmeverluste Arztstellen abbauen. &bdquo;Die Pandemie hat den Kostendruck verschärft. Viele Kliniken kämpfen ums Überleben und suchen Einsparmöglichkeiten, die sie im ärztlichen Dienst sehen. Zum Vergleich: Eine Vollzeitkraft im Pflegedienst kostet ein Krankenhaus im Schnitt 60.000 bis 65.000 Euro pro Jahr. Im ärztlichen Dienst sind es 120.000 bis 150.000 Euro." Als Chef der katholischen Hospitalvereinigung Ostwestfalen erklärt Rüter für das Franziskus Hospital Bielefeld, das Mathilden Hospital Herford und das Sankt Vinzenz Hospital Rheda-Wiedenbrück, dass keine Ärzte entlassen werden. &bdquo;Die Zahl der Ärzte wird aber nicht weiter erhöht." Rüter hält eine weitere Steigerung der Beschäftigtenzahlen im ärztlichen Dienst auch nicht für nötig. &bdquo;Im Vergleich zu Skandinavien ist die Arztdichte in Deutschland doppelt so hoch, trotzdem ist die Lebenserwartung in Deutschland geringer. Deshalb muss es strukturelle Anpassungen im Gesundheitssystem geben und nicht noch mehr Ärzte." Gewerkschaft rechnet auch in der Pflege mit Personalabbau Die Gewerkschaft Verdi rechnet aufgrund des Kostendrucks trotz neuer gesetzlicher Vorgaben mit einem Personalabbau in der Pflege. &bdquo;Der Abbau findet bereits statt, auch in OWL", erklärt Verdi-Gewerkschaftssekretär Volker Hoppmann aus Minden. &bdquo;Die meisten Kliniken können nicht all ihre offenen Stellen in der Pflege besetzen, weil der Arbeitsmarkt in OWL leer ist. Als Folge kürzen Krankenhäuser den Stellenplan, da sie ja wissen, dass die Stellen unbesetzt bleiben werden." Arztstellen wurden nach Einschätzung Hoppmanns lange nicht gekürzt, weil Ärzte wichtig für die Einnahmen der Kliniken sind. &bdquo;In den vergangenen Jahren hat das dazu geführt, dass Ärzte in vielen Bereichen profitieren, während andere Berufsgruppen dafür bezahlen müssen." Die Kürzung von Arztstellen lehnt aber auch Verdi ab. &bdquo;Die Entlassung von Ärzten löst das Grundproblem der Krankenhausfinanzierung ebenso wenig wie die Flucht aus Tarifverträgen oder die Auslagerung von Arbeitsbereichen wie der Reinigung." Stattdessen müsse die Politik die Finanzierung von Krankenhäusern anpassen. &bdquo;Solange wirtschaftliche Ziele im Mittelpunkt stehen und Kliniken Investitionskosten weiter selbst tragen müssen, werden sich mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vieler Krankenhäuser auch die Arbeitsbedingungen des Personals weiter verschlechtern", mahnt Hoppmann.

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