"Die Hemmschwelle, das Messer einzusetzen, ist deutlich gesunken"

Bielefeld. Attacken mit Stichwaffen in NRW sind im vergangenen Jahr zwar gesunken - aber dennoch weiter auf einem erschreckend hohen Niveau. Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) NRW, zeigt sich von den Zahlen überrascht. "Wegen der Corona-Maßnahmen hätte ich eigentlich mit einem deutlicheren Rückgang gerechnet." Seit 2019 wird in NRW die Zahl von "Straftaten mit Stichwaffen" erfasst. Für das Jahr 2019 nennt die NRW-Landesregierung in einem Bericht an den Innenausschuss 7.209 solcher Attacken, die meisten dürften mit einem Messer begangen worden sein - denn zum Vergleich: In dem Jahr wurden insgesamt 6.800 Messerangriffe registriert. Im Jahr 2020 ist die Zahl von Stichwaffen-Attacken um etwa 20 Prozent auf 5.734 Angriffe gesunken. Die Landesregierung führt das zurück auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. So wurden unter anderem Kontaktmöglichkeiten eingeschränkt. "Die Zahlen zeigen erneut, dass es genug Leute gibt, die ein Messer bei sich tragen und bereit sind, die Waffe einzusetzen", zeigt sich Rettinghaus besorgt. Er bezeichnet die Zahl trotz Rückgang als "erschreckend". "Wenn ein Messer mitgeführt wird, ist das Risiko sehr groß, dass es auch eingesetzt wird." Generell, das bemerke Rettinghaus, "ist die Hemmschwelle, das Messer einzusetzen, deutlich gesunken." Die meisten erfassten Straftaten mit einer Stichwaffe fallen laut Angaben der Landesregierung in die Bereiche Körperverletzung oder Bedrohung. "Brandgefährlicher Trend" Auch in der Politik zeigt man sich besorgt. "Auch wenn die Zahlen der Messerangriffe im Jahr 2020 coronabedingt leicht sinken, gilt es sich Gedanken zu machen, wie das Problem der Messerattacken auf unseren Straßen besser eingedämmt werden kann", betont Marc Lürbke, stellvertretender Vorsitzender und innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Gerade die hohen Zahlen von gefährlichen und schweren Körperverletzungen im Zusammenhang mit Messern hält er für "besorgniserregend". "Ein Messer zur falschen Zeit in den falschen Händen kann zur tödlichen Waffe werden. Es bleibt ein brandgefährlicher Trend, wenn Leute meinen, mit einem Messer bewaffnet vor die Tür gehen zu müssen", betont Lürbke. Besonders junge Menschen - "bis Ende 20", so Rettinghaus - tragen verstärkt Messer bei sich. "Es gibt aber auch durchaus ältere Personen, die eine Stichwaffe mit sich führen", sagt der DPolG-Landeschef. Die NRW-Landesregierung führt auf, dass etwa 40 Prozent der 5.666 ermittelten Verdächtigen bei "Straftaten mit Stichwaffen" nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Kein typische Messer-Szenario Ein typisches Szenario, wann Messer eingesetzt werden, gebe es nicht. "Das muss nicht immer bei einer Konfrontation sein, wenn auch Alkohol im Spiel ist", betont Rettinghaus. Es könne genauso bei häuslicher Gewalt oder bei einer einfachen Fahrkartenkontrolle im Zug gezogen werden. "Messer sind schon fast in jedermanns Tasche", warnt er. Rettinghaus verweist aufgrund solcher Messerattacken, die sich laut dem DPolG-Vorsitzenden auch gegen Polizisten richten können, auf die Forderung, sogenannte Taser landesweit einzusetzen. Bisher werden diese nur in ausgewählten Behörden für ein Pilotprojekt getestet. "Die ersten Ergebnisse sind aber durchaus positiv", berichtet er. Oftmals reiche alleine das Zeigen des Tasers schon, um eine Situation zu deeskalieren.

Meistgelesen