Wo NRW im Kampf gegen Antisemitismus besser werden muss

Bielefeld/Düsseldorf. Sharon Fehr wirkt zunächst hoffnungsvoll. Kurz vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag (27. Januar) erzählt er warmherzig von einem lebendigen jüdischen Leben in Deutschland. Vielerorts prägten jüdische Kunst und Kultur das Straßenbild. "Synagogen werden gebaut, historische Gebäude renoviert, Rabbiner in Deutschland ausgebildet", sagt der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Münster. "Man könnte glauben, dass 76 Jahre nach dem Holocaust eine gewisse Normalität eingekehrt ist." So ist es freilich nicht. "Wir erleben einen steil ansteigenden Antisemitismus", sagt Fehr. "Menschen jüdischen Glaubens werden in Deutschland wieder häufiger bedroht." Belege lieferten nicht nur die "barbarischen Hassverbrechen" der jüngeren Vergangenheit, allen voran der Anschlag in Halle an der Saale. "Man hat sich längst an diese Zustände gewöhnt" Wegen der antisemitischen Gewalt müssen jüdische Einrichtungen in Deutschland von bewaffneten Wachleuten geschützt werden, bei jüdischen Gottesdiensten gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. "Man hat sich längst an diese Zustände gewöhnt", sagt Ran Ronen. "Unsere Kinder gehen unter Polizeischutz zur Schule, sie kennen es nicht anders." Von außen würden die Sicherheitsmaßnahmen manchmal sogar als Privileg ausgelegt – und nicht als das, was sie sind: eine Belastung. Ronen ist Dezernent für Sicherheit im Präsidium des Zentralrates der Juden. Er kennt die Tür zum Vorhof der Synagoge in Halle, die am 9. Oktober 2019, an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, einen mordwütigen Rechtsterroristen am Eindringen gehindert hat. Sachsen-Anhalt habe die Bedrohungslage nicht ernst genommen Die faustdicke Eichentür mit den schweren Eisenscharnieren wurde wie die Videokameras mit Spendengeldern bezahlt, vermittelt über die Jewish Agency. Die Organisation mit Sitz in Jerusalem hat seit dem Jahr 2015 etwa 670.000 Euro für die Sicherheit deutscher Synagogen gespendet, schreibt der Journalist Ronen Steinke auf Grundlage seiner Recherchen für das Buch "Terror gegen Juden", einem beunruhigenden Porträt jüdischen Lebens in Deutschland. Trotz konkreter Anhaltspunkte habe Sachsen-Anhalt die Bedrohungslage nicht ernst genommen, kritisiert der Sicherheitsbeauftragte des Zentralrates, Ran Ronen, der in Düsseldorf der bundesweit drittgrößten jüdischen Gemeinde vorsteht. Ihr gehören 6.800 Mitglieder an, größer sind nur die Gemeinden in Berlin und München. "In Nordrhein-Westfalen", sagt Ronen, "finden wir Gehör." In NRW seien Sicherungsmaßnahmen "noch nie am Geld gescheitert" NRW hat den Anschlag in Halle als ein Alarmsignal verstanden. Die Anzahl der registrierten antisemitischen Straftaten ist laut aktuellem Verfassungsschutzbericht des Landes zuletzt leicht auf 315 Straftaten gesunken, über zehn Jahre betrachtet aber deutlich gestiegen. Das Land trete bedingungslos für die Sicherheit jüdischer Menschen ein, sagt Sharon Fehr in Münster. "Wenngleich ich es als beschämend empfinde, dass 76 Jahre nach Auschwitz finanzielle Mittel für unsere Sicherheit nötig sind." Der entsprechende Haushaltstitel für baulich-technische Sicherungsmaßnahmen an jüdischen Einrichtungen umfasste nach Angaben des NRW-Innenministeriums im vergangenen Jahr 6,5 Millionen Euro. Eine solche Sicherungsmaßnahme sei "noch nie am fehlenden Geld gescheitert", sagt ein Ministeriumssprecher. Unabhängig von dem Titel habe das Land für Baumaßnahmen für jüdische Einrichtungen zuletzt 3,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Der Betrag wachse jährlich um 200.000 Euro an. Reul habe "gewiss gute Absichten, sein Ministerium aber tut sich schwer" Das Geld wird über einen Verteilungsschlüssel an die landesweit 22 Gemeinden weitergeleitet. Innenminister Herbert Reul (CDU) habe "glaubhaft versichert, dass ihm die Sicherheit jüdischer Einrichtungen eine Herzensangelegenheit ist", sagt Ronen. Dennoch müsse auch in NRW einiges besser werden. Reuls Zusagen "sollten am Ende keine Lippenbekenntnisse bleiben". Denn trotz der Beträge vom Land "müssen wir Jahr für Jahr zusätzlich in die eigene Tasche greifen, um die Sicherheit zu gewährleisten". Ungefähr ein Drittel der bundesweit 108 jüdischen Gemeinden sieht sich gezwungen, auf die Hilfe der Jewish Agency zurückzugreifen. "Im Einzelfall", räumt das Innenministerium ein, "kann es sein, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen jüdischen Gemeinden und den Sicherheitsbehörden gibt." Wenn der Sicherheitsanspruch einer Gemeinde etwa über die polizeiliche Sicherungsempfehlung hinausgehe. Dann könne man "mit Eigen- oder Drittmitteln natürlich dieses 'Mehr an Sicherheit' finanzieren". Reul habe "gewiss gute Absichten", sagt Ran Ronen, "sein Ministerium aber tut sich schwer, die Sicherheit jüdischer Einrichtungen wirksam zu erhöhen". Halle könne "immer und zu jeder Zeit an jedem Ort geschehen", warnt Sharon Fehr. "Solange wir mit antisemitischen Hassverbrechen konfrontiert sind, dürften wir von einem normalen Leben als Juden in Deutschland noch weit entfernt sein."

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