Weniger Rocker in NRW - aber: "Gefahrenpotenzial bleibt sehr hoch"

Bielefeld. Die Zahl der Rocker in NRW geht weiter zurück. Thomas Jungbluth warnt dennoch vor hohen Gefahren, die von den Mitgliedern der Motorradclubs ausgehen. Jungbluth ist Leitender Kriminaldirektor und NRW-Chefermittler in Sachen Organisierter Kriminalität. Er hat die sogenannten "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCGs) genau im Fokus. In der großen Übersicht gibt der Ermittler Einblicke. Die Zahlen:Aktuell zählt das Landeskriminalamt (LKA) insgesamt 1.960 Rocker, die den großen Clubs zugeordnet werden: die Hells Angels (270), Bandidos (780), Freeway Riders (400), Gremium (320), Outlaws (90) und Brothers (100). Vor gut sechs Monaten zählten die Ermittler noch 2.010 Mitglieder der Rockerclubs. Schon damals war die Zahl rückläufig. "Die aktuellen Zahlen bedeuten aber nicht, dass das Problem nicht mehr so gravierend ist", betont Jungbluth. "Das Gefahrenpotenzial bleibt nach unserer Einschätzung sehr groß, weil die latente Bereitschaft zu Gewalt noch immer vorhanden ist. Schon kleine Anlässe führen dazu, dass es zu einer Auseinandersetzung kommt." Die Zahl der Ortsgruppen der sechs großen Clubs in NRW, sogenannte Chapter (bei den Hells Angels heißen diese Charter), beziffert das LKA auf insgesamt 98. Als Rocker-Hotspots gelten das Rheinland und das Ruhrgebiet. Die Konflikte:Ende der 2000er tobte in Deutschland der von den Medien sogenannte "Rockerkrieg" - vor allem zwischen Hells Angels und Bandidos -, der mehrere Tote forderte. Es ging vor allem um Gebietsansprüche und Vormachtstellung. Mit dem Wort "Rockerkrieg" tut sich Jungbluth jedoch schwer. "Das ist uns zu martialisch. Wir reden von Auseinandersetzungen im Rocker-Milieu", sagt er. Konflikte im Rheinland und Ruhrgebiet Allerdings: Konflikte zwischen den Clubs können immer wieder aufkochen. 2019 wütete eine Auseinandersetzung zwischen Bandidos und Hells Angels im Rheinland - Schusswaffen kamen zum Einsatz. Ein Jahr zuvor eskalierte eine Unstimmigkeit zwischen Freeway Riders und Bandidos in Hagen und dem östlichen Ruhrgebiet. Laut Jungbluth ging es dabei um die Etablierung eines Bandidos-Chapters in der Gründungsstadt der Freeway Riders, wobei die Bandidos das ehemalige, leerstehende Clubhaus der &bdquo;Konkurrenz" unter ihrer Flagge eröffneten. "Das reicht in der Szene schon aus", bekräftigt Jungbluth. Am Ende wurde ein Freeway Rider getötet - erstochen von einem Mitglied der Bandidos in Gelsenkirchen. Gründungen von Chartern und Chaptern sind laut Jungbluth auch immer als selbstdefinierter Gebiets- und Machtanspruch zu deuten. "Stichwort Platzhirsch", sagt der Ermittler. Zum Teil steckten auch geschäftliche Interessen hinter einer Gründung. "Wenn sich eine andere Gruppierung in einer Stadt breit macht, die dort vorher nicht gewesen ist, und einem ansässigen Club Macht- und Gebietsansprüche streitig macht - dann ist Stress programmiert," fasst Jungbluth zusammen. Die aktuelle Situation:Mittlerweile scheint Ruhe in die Szene eingekehrt zu sein. Dennoch tut sich Jungbluth schwer mit einer Bewertung zu der aktuellen Situation. "Die kann sich morgen schon wieder ändern", sagt er. Dass es jedoch deutlich ruhiger geworden ist, betont auch der Ermittler. Eine Situation, die er auf mehrere Faktoren zurückführt. Zum einen Corona: "Zu Corona-Zeiten sind auch Rocker vorsichtiger geworden", berichtet er. "Die Selbstinszenierung in der Öffentlichkeit findet nicht mehr statt. Veranstaltungen, die es immer im Rocker-Bereich gab, wie Ausfahrten oder Partys, sind deutlich weniger geworden." Der andere Faktor: das sogenannte Kuttenverbot. Wegen einer Verschärfung im Vereinsgesetz sind die Symbole der meisten Rockerclubs verboten. "Das Tragen dieser Zeichen in der Öffentlichkeit ist eine Straftat. Immerhin stellen die Symbole oft schon ein Drohszenario dar", sagt Jungbluth. Das Bundesverfassungsgericht hatte vergangenes Jahr die Verschärfung bestätigt. "In der Zeit vor der Entscheidung haben die Clubs die Füße stillgehalten. Man wollte suggerieren, dass man doch nicht so gefährlich und kriminell ist." Und natürlich spielt auch der Ermittlungsdruck eine große Rolle. "Wir fahren sehr intensive Kontrollen und treten den Rockern bei jeder Gelegenheit auf die Füße", sagt Jungbluth. Das kann sogar dazu führen, dass einem Rocker keine Konzession für die eigene Gastronomie erteilt wird, Waffenscheine eingezogen oder erst gar nicht ausgestellt werden. "Null-Toleranz-Strategie", nennt Jungbluth das Vorgehen. Die Verbreitung:"Es gibt immer Versuche, etwas Neues auf die Beine zu stellen", berichtet Jungbluth. Was er meint: Vor einigen Jahren geriet der holländische Motorradclub Satudarah in den Fokus. In NRW gründeten sich gleich mehrere Chapter - und das in "Hoheitsgebieten" anderer Clubs. Es kam zu Konflikten - schließlich wurde Satudarah in Deutschland vereinsrechtlich verboten. Ein anderes Beispiel sind die Osmanen Germania: Der Boxclub eignete sich unter anderem durch Kutten das Auftreten der Rocker an - Ermittler sprechen von "rockerähnlichen Gruppierungen". Die Osmanen Germania gewannen innerhalb kürzester Zeit großen Zulauf in ganz Deutschland, wurden schließlich aber auch als Verein verboten. Bundesweite Verbote Auch andere rockerähnliche Gruppierungen seien kurzzeitig in NRW aufgefallen, dann aber wieder zerfallen. "Am Ende reduziert es sich doch wieder auf die großen Sechs", sagt Jungbluth. Vereinzelt seien manche Mitglieder von Satudarah oder der Osmanen Germania bei anderen Rockerclubs untergekommen. Blick in die Region:In OWL haben sich gleich mehrere Rockergruppen niedergelassen. In Bielefeld sind die Hells Angels vertreten. Laut zuständiger Polizei in Bielefeld mit zwei Chartern - "Bielefeld" und "Hellfield". Letzterer gründete sich 2018 aus diversen Mitgliedern des Bielefelder Charters. Insgesamt werden beiden Ortsgruppen etwa 20 Personen zugerechnet. Im Kreis Lippe sind zudem die Brothers (etwa 10 Mitglieder) und die Freeway Riders (etwa 20 Mitglieder) ansässig. Im Kreis Paderborn gab es bis vor kurzem ein Chapter der Outlaws - nach Informationen dieser Zeitung hat sich der Club aber mittlerweile den Bandidos angeschlossen und gilt als sogenanntes "Hangaround"-Chapter. Heißt: Die etwa zehn Mitglieder, die dem Motorradclub zugerechnet werden, gehören noch nicht zu den Bandidos, streben aber eine Mitgliedschaft an. Ein Gremium-Chapter in Detmold existiert mittlerweile nicht mehr. Konflikte innerhalb der Szene in der Region gebe es laut Polizei zudem nicht. Die Geschäftsfelder:"Die Klassiker in Sachen Rockerkriminalität sind Gewaltdelikte unter Verwendung von Waffen, Betäubungsmittelkriminalität oder Körperverletzungsdelikte", berichtet Jungbluth. 2019 habe es eine mittlere zweistellige Anzahl an Verfahren in diesem Bereich gegeben. Im Bereich der "Organisierten Kriminalität" waren es zuletzt neun Fälle, die Rockergruppen zugerechnet wurden. "Solche Fälle haben für eine Bewertung mehr Relevanz", so Jungbluth. Tattoostudios, Shishabars und Co. Der Ermittler berichtet: "Wir registrieren bei Rockern zudem Tätigkeiten im Rotlichtmilieu oder der Türsteher-Szene. Auch bei verschiedenen Tattoostudios, Gastronomiebetrieben wie Shishabars oder Motorradgeschäften haben Rocker zum Teil ihre Finger mit im Spiel." Eine Verschiebung der Felder, in denen Rocker aktiv sind, gebe es derzeit nicht. Rocker und Clans:"Es gibt Clan-Angehörige, die Mitglieder in Rockergruppen sind", berichtet Jungbluth. Er spricht dabei jedoch vielmehr von "vereinzelten personellen Überschneidungen in NRW". Zudem meint Jungbluth: "Wir glauben, dass diese Personen ihre Interessen durch das Tragen einer Kutte noch besser durchsetzen wollen." Aber: Es gibt auch Konflikte zwischen den Gruppierungen. So gerieten Bandidos und eine Großfamilie in Dortmund im Sommer 2018 aneinander. Generell betont Jungbluth: "Auch Clans sind weiterhin im Fokus von uns."

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