Vorlesungen im Internet sorgen für Probleme an den Hochschulen

Bielefeld/Paderborn. Die Erbrechts-Veranstaltung ist gut besucht, 260 Studierende hören Anne Sanders zu. Zumindest hofft die Jura-Professorin, dass ihre Vorlesung aufmerksam verfolgt wird. Denn die Dozentin an der Universität Bielefeld sieht ihre Studierenden nicht, sie blickt in eine Webcam. "Man redet in ein digitales Nirwana hinein", sagt sie über die Online-Lehre. Die Corona-Pandemie bedeutet seit mehr als einem halben Jahr eine Ausnahme-Situation an den Hochschulen in OWL. Und daran wird sich vorerst wenig ändern. "In diesen Tagen des Teil-Lockdowns finden nur zwingend erforderliche Präsenztermine vor Ort an der Fachhochschule Bielefeld statt", sagt FH-Präsidentin Ingeborg Schramm-Wölk. Lediglich notwendige Laborpraktika und die Arbeit in Werkstätten und Ateliers, für die sich Gruppen bis zu fünf Personen treffen dürfen, bilden eine Ausnahme. Ähnlich sieht es an den beiden Unis in Ostwestfalen aus. Dass Studierende wieder zu Hunderten in Hörsälen Platz nehmen, steht derzeit nicht zur Diskussion. Stattdessen besuchen sie von zu Hause die Lehr-Veranstaltungen wie ebenjene in Erbrecht. Studierende bleiben anonyme Masse Während dieser Vorlesung über das Videokonferenz-Programm Zoom schaut Dozentin Anne Sanders nicht in Gesichter, sondern auf eine lange Liste an Namen. Manchmal sind es die Realnamen, manchmal lediglich der Vorname oder gleich ein Fantasiename, mit denen sich die Studierenden eingeloggt haben. Nur eine Handvoll schaltet die Kamera am heimischen Laptop an. Für Sanders bleiben die Studierenden eine anonyme Masse. "Am Anfang ist es mir schwergefallen", meint sie zu diesem Umstand. "Ich arbeite ja nicht in einem Callcenter." Inzwischen habe sie sich an den digitalen Hörsaal gewöhnt. Mit Lehrvideos, die sie zusätzlich aufnimmt, versucht sie, das individuelle Lernen vom heimischen Schreibtisch zu verbessern. Grundlegende Nachteile gegenüber der Präsenzlehre sind jedoch nicht verschwunden. Sanders bedauert, dass sie die Reaktionen ihrer Zuhörer - etwa über die Mimik - nicht mehr mitbekommt. "Ich merke nicht, wenn die Studierenden die Thematik nicht verstehen. Im Hörsaal dagegen spüre ich das." Sie ist darauf angewiesen, dass die Jura-Studierenden sich bei Fragen per Mikrofon oder über die Chat-Funktion dazu schalten. Für viele ist dies aber eine Hemmschwelle. Und ob sie die Lehr-Veranstaltung aufmerksam verfolgen oder nebenbei fernsehen, das weiß Anne Sanders auch nicht. Lernraum Uni fehlt Denn die Ablenkung am heimischen PC sei größer als in der Uni, sagt Markus Meyer. Der 26-Jährige studiert in Paderborn Mathematik und Englisch auf Lehramt - aktuell ausschließlich im Online-Betrieb. "Wenn ich aufstehe und mich in den Bus zur Uni setze, bin ich in einem anderen Mindset", erzählt Meyer von der Vor-Corona-Zeit. Er brauche einen Lernraum. "Zuhause komme ich nicht so sehr in den Lernflow, als wenn ich in der Uni bin." Trotzdem nehme er auch aus digitalen Lehrveranstaltungen viel mit - insbesondere bei Seminaren mit nur wenigen Teilnehmer "In einigen Kursen wird viel miteinander geredet, da bringe ich mich dann ein", sagt der 26-Jährige. Ein hohes Maß an Disziplin fordere die Online-Lehre von den Studierenden, sagt Volker Schöppner, Vizepräsident für Studium, Lehre und Qualitätsmanagement an der Uni Paderborn. Und für die Lehrenden bedeute die Corona-Situation einiges an Vorbereitung - sowohl inhaltlich als auch technisch. "Dies gelingt recht gut, wenn sich die Beteiligten auf dieses Thema einlassen", meint Schöppner. Nicht alle Umsetzungsideen funktionierten. "Im Wintersemester läuft es aufgrund der Erfahrungen aus dem Sommersemester jedoch schon besser", so Schöppner. Wöchentliche Treffen des Krisenteams Auch die Uni Bielefeld baue auf das Wissen aus dem vergangenen Semester auf, als das Lehrangebot fast vollständig durchgeführt werden konnte, sagt Pressesprecher Ingo Lohuis. "Es bleibt natürlich weiterhin viel zu tun, vor allem auch um den Erstsemestern einen guten Einstieg in ihr Studium einschließlich der digitalen Lehre zu ermöglichen." Wöchentlich treffe sich ein Krisenteam unter der Leitung des Universitätskanzlers, um die Corona-Situation zu bewerten. "Die Universität Bielefeld ist im Kern eine Präsenzuniversität und wird dies hoffentlich so bald wie möglich auch wieder umsetzen können", sagt Lohuis. Und dann kann auch Anne Sanders ihren Studierenden wieder von Angesicht zu Angesicht das Erbrecht erklären.

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