Einblick in Leben und Denken der Hörsaal-Besetzer in der Uni Bielefeld

Bielefeld. Die Bielefelder Hörsaal-Besetzer hatten einen Besuch des Wachdienstes befürchtet. &bdquo;Liebe Leute, schön, dass ihr gegen die drohenden Finanzmittelkürzungen des Landes NRW protestieren wollt, aber jetzt müsst ihr nach Hause gehen“, so ähnlich hätte die Ansprache geklungen. Und dann wäre das Erklären, Klagen und Verhandeln losgegangen. Doch diesmal war es anders. Am späten Donnerstagabend gegen 22:30 Uhr, nachdem die Besetzung des Hörsaals H15 gerade verkündet war und alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen noch über die Pläne für die nächsten Tage redeten, stellte sich prominenter Besuch ein: Uni-Rektorin Angelika Epple kam, gemeinsam mit Prorektorin Michaela Vogt und Kanzler Stephan Becker. Es sollte eine lange Nacht werden. Wer beim Wort &bdquo;Besetzung“ an die anarchistischen Hausbesetzungen der 70er und 80er Jahre denkt, an die Krawalle in der Hamburger Hafenstraße oder an die provokativen Aktionen der ersten Kommunen, liegt bei der &bdquo;Hörsaal-Besetzung“ ziemlich falsch. Isabel und Luka, Lars und Amelie, Bea und Sebastian und wahrscheinlich alle, die in Bielefeld mitmachen, wirken völlig friedlich. Es wird diskutiert, aber die Besetzung verläuft ohne Krach und ohne Drohungen. Am Ende des von hohem Süßigkeitenkonsum begleiteten fast zweistündigen nächtlichen Gesprächs mit Epple, Vogt und Becker lautete ein Fazit gar: Das Rektorat hat Verständnis für den Protest. Im Prinzip zumindest, denn die Aktion überschreite auch den rechtlichen Rahmen, so die Verwaltung. Lesen Sie auch: Hörsaalbesetzung in Bielefeld überschreitet Grenzen: Studierende gegen angekündigten Sparkurs In einer Ecke des Hörsaals haben die Besetzer und Besetzerinnen eine kleine Küchenstube eingerichtet. Isabel ist gern eine der Ersten, die für das knappe Dutzend Dauer-Mitbewohner das Frühstück vorbereiten. Kaffee kochen können freilich alle. Es ist etwas stickig im H15, als wir miteinander sprechen. &bdquo;Mir ist immer warm“, stellt Bea fest, die Anglistik studiert. Dabei sei die Lüftung im frisch sanierten Teil des Uni-Hauptgebäudes ja eigentlich perfekt, und es gebe überall Türen, die ins Freie führen. Fenster gibt es nicht. Echte Abkühlung ist von draußen in der Mittagszeit aber sowieso nicht zu erwarten. Es ist Sommer. Vielleicht leidet die Luft in dem tageslichtlosen Hörsaal zudem etwas unter den Speisedüften. Heute haben die Hörsaal-Bewohner in der AStA-Küche Kichererbsensalat und Guacamole zubereitet, es gibt auch noch Curry von gestern und getoastetes Brot. Sitzen Professorinnen und Studenten der Uni Bielefeld in einem Boot? Klar, in Wahrheit könnten die Dozenten und Professorinnen und Verwaltungsangestellten von den befürchteten Budgetkürzungen in zweistelliger Millionenhöhe stärker betroffen sein als die Studierenden. Sitzen also alle in einem Boot? &bdquo;Ja“, sagt Sebastian, der Medienwissenschaften studiert. &bdquo;Aber von uns kann das Boot nicht gesteuert werden.“ Die Angestellten der Uni haben das Ruder in der Hand, sie seien keine unkritischen Bündnispartner. Sie sind Bedienstete des Landes NRW. Und natürlich hat das Rektorat das Sagen: Dienstagabend sollen die Besetzer in den H12 umziehen, denn der H15 werde für eine Konferenz benötigt. Die Studenten und Studentinnen haben kein Problem damit: &bdquo;Es geht uns ja nicht um einen bestimmten Raum.“ Aber worum geht es denn? Die Liste der Sorgen ist lang, und es geht um mehr als um die landesweit drohende Streichung von jährlich 250 Millionen Euro für 36 Hochschulen in NRW. Um viel mehr. Befürchtet wird natürlich die Reduzierung von Lehrveranstaltungen und Tutorien sowie der Verlust von Jobs für Studenten und Studentinnen. Aber auch die Einführung von Studiengebühren für Studierende aus Ländern außerhalb der EU ist eine Sorge. Angeblich plant die als Eliteuni geltende RWTH Aachen eine Semestergebühr zwischen 3.000 und 5.000 Euro für Ausländer, kolportierte jüngst der WDR – eine Maßnahme, die die Vielfalt der heimischen Hochschullandschaft bedrohen könnte. Zu einem Zeitpunkt, in dem Deutschland für Studierende aus aller Welt attraktiver werden könnte, weil Länder wie die USA ihre Unis unter die Fuchtel zwingen. Die protestierenden Studenten bekommen nur Lob und Unterstützung Die Hörsaal-Besetzerinnen und Besetzer kämpfen um Aufmerksamkeit, aber sie wollen ihren Hörsaal nicht ganz zweckentfremden. Tagsüber wird hier also gelernt: &bdquo;Wir haben ein echtes Bildungsprogramm“, wirbt Luka. Am Mittwoch etwa steht morgens um elf erst ein Vortrag von Inga Gostmann über die Perspektiven studentischer Emanzipation auf dem Programm, um drei folgt vom &bdquo;Solikreis Herford“ eine &bdquo;Einführung in die Polizeikritik“. Der KuMu-Chor der Uni plant einen Auftritt, und abends soll es noch um &bdquo;Klimagerechtigkeit und Schulden im Globalen Süden“ gehen. Eine breite Palette, aber nichts für jeden. Als am Montag vor kleinem Auditorium eine Diskussionsrunde über die &bdquo;Rolle der Bildung im bürgerlichen Staat“ läuft, schaut ein Student kurz rein und dreht nach wenigen Minuten ab. Er hatte gehört, dass der Staat im Kapitalismus für die Ausbildung seiner Bürger sorgt, damit Firmen Arbeitskräfte haben und Steuern zahlen können. &bdquo;Viel Spaß noch“, wünscht der flüchtige Gast mir grinsend. Die Resonanz auf die Protestaktion sei besser als erwartet, &bdquo;wir sind voll zufrieden“, versichern Isabel Perreira und Luka Kalik von der Initiative &bdquo;Bielefeld unkürzbar“. Von allen Seiten komme Lob und Unterstützung, und es flössen mehr Informationen aus den verschiedenen Fakultäten als zuvor. Demnach gebe es schon jetzt mehr Kürzungen bei den studentischen Hilfskräften als gedacht. Dies geschehe offenbar in vorauseilendem Gehorsam, bevor das Land überhaupt Kürzungsbeschlüsse gefällt hat. Andererseits gebe es bisher keine Anfeindungen: &bdquo;Es waren auch noch keine Juristen hier, die ja mitunter besonders gesetzestreu sind“, frotzelt Sebastian. Aber die Besetzer geben auch zu: &bdquo;Wir würden uns wünschen, dass aus anderen Unis in NRW mehr Protest kommt.“ &bdquo;Könnten uns was Besseres vorstellen, als im Hörsaal zu campen“ Wahrscheinlich wären auch mehr Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus den Reihen der über 24.000 Bielefelder Uni-Studenten willkommen. So was kann ja auch Spaß machen, weiß Luka, das wisse jeder, der mal ein Zeltlager mitgemacht hat. Lehramtsstudent Lars (Mathematik und Geschichte) demonstriert, wie man in der Hörsaal-Hängematte entspannen kann, Isabel (Biotechnologie und Soziologie) präsentiert die nahen Sanitärräume, in denen die Zähne geputzt werden können. Die Psychologie-Studentin Amelie gibt allerdings zu bedenken: &bdquo;Wir könnten uns alle natürlich was Besseres vorstellen, als im Hörsaal zu campieren.“ Die Sache ist anstrengend. Klima-Protest: Aktivisten besetzen Hörsaal der Uni Paderborn Bei einer Kundgebung am Donnerstag, 3. Juli, um 16 Uhr auf der Uni-Wiese hoffen die Besetzer auf möglichst viele Teilnehmer. Das Gleiche gilt für eine Diskussionsrunde mit den Dekanen und Dekaninnen der Uni am Freitag, 4. Juli, um 14 Uhr. Ab 19.30 Uhr startet dann die Abschlussparty.

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