Düsseldorf. Norbert Kersting (59), Politikwissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, befasst sich seit vielen Jahren mit Kommunalpolitik und Kommunalen. Eine Wahl unter so außergewöhnlichen Umständen habe es noch nicht gegeben, sagt er über die NRW-Kommunalwahlen am 13. September und ihre Verlängerung am 27. September (Stichwahlen um die Bürgermeister- und Landratsposten). Kersting spricht von einer massiven Beeinflussung der Wahl durch die Corona-Krise und ihre Beschränkungen des öffentlichen Lebens.
Kersting, der in Münster einen Lehrstuhl für „Vergleichende Politikwissenschaft – Kommunal- und Regionalpolitik" innehat, hat Ratsmitglieder in 165 ausgewählten NRW-Kommunen nach ihren Einstellungen zu kommunalpolitischen Themen und den Auswirkungen der Corona-Krise auf den Wahlkampf befragt. Rund 1.500 Ratsmitglieder haben geantwortet.
Mehr als 70 Prozent von ihnen sehen sich durch die Corona-Krise in ihrem Wahlkampf stark beeinträchtigt. Viele hätten geklagt, dass die Oberbürgermeister und Amtsinhaber alles überschatteten und teils im Alleingang Entscheidungen treffen würden.
Kandidaten kleinerer Parteien haben es schwerer
Weil in der Krise das Gefühl „keine Experimente" und „Sicherheit zuerst" vorherrsche, hätten es Oppositionsbewerber und Kandidaten kleinerer Parteien deutlich schwerer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen, als in normalen Wahlkampf-Zeiten.
Gerade neue Kandidaten und kleinere Parteien bräuchten normale Wahlkampf-Aktivitäten auf der Straße und in Veranstaltungen. Beides aber sei in der Pandemie-Krise nur schwer möglich. Die große WDR-Umfrage zur Kommunalwahl habe den Trend zugunsten der Amtsinhaber bestätigt, meinte Kersting.
Gericht: Wahl wird nicht verschoben
Die Kommunalwahl in NRW ist übrigens die einzige große Wahl in Deutschland, die in diesem Jahr unter den Bedingungen der Corona-Pandemie stattfindet. Versuche von kleineren Parteien, vor dem NRW-Verfassungsgericht in Münster eine Verschiebung der Wahl zu erreichen, sind gescheitert.
Offenbar haben die Verfassungsrichter die Verzerrungen durch den eingeschränkten Wahlkampf in der Krise für weniger gravierend erachtet als die Folgen einer Verschiebung der Wahl nach einer ohnehin schon verlängerten Wahlperiode der Räte und Kreistage.
Wohnungsbau und Verkehr an der Spitze
Nach den Untersuchungen der Politikwissenschaftler von der Uni Münster sind übrigens Wohnungsbau und Verkehr durchgängig die wichtigsten Themen des Wahlkampfes. Bei den Befragungen hätten sich viele parteiübergreifende Schnittmengen für klassische grüne Themen abgezeichnet.
Beispielsweise hätten sich 87 Prozent der befragten Ratsmitglieder dafür ausgesprochen, den Bus- und Bahnverkehr auszubauen. Mehr als 60 Prozent wollten mehr Tempo-30-Zonen in den Innenstädten – allerdings bei starken Vorbehalten in Reihen von CDU und FDP.
Und noch etwas anderes hat die Untersuchung ergeben: Das typische Ratsmitglied sei männlich, habe ein Hochschulstudium absolviert und arbeite als Angestellter. Frauen seien deutlich unterrepräsentiert, drei Viertel der Befragten seien Männer. Die Zeiten, in denen in den Kommunalparlamenten Beamte und Selbstständige das Bild prägten, seien vorbei, sagte Norbert Kersting.