"Wir kämpfen um die solidarische Mitte der Gesellschaft"

Herr Hartmann, jetzt ist Olaf Scholz also Kanzlerkandidat der SPD. Ist das jetzt wirklich derBefreiungsschlag für die SPD?Sebastian Hartmann: Das war ein ganz starker Akt der Sozialdemokratie. Die beiden Parteivorsitzenden, der Chef der Bundestagsfraktion und der Generalsekretär haben sich verabredet und es ist ihnen gelungen, den kompletten Vorstand der SPD von ihrer Verabredung zu überzeugen. Auch der Zeitpunkt war gut. Und offenbar haben wir die anderen auf dem falschen Fuß erwischt. Das merkt man an den unsouveränen Reaktionen der Grünen und der CDU. Wir haben jetzt Klarheit geschaffen. Aber zum Parteivorsitzenden hat Olaf Scholz nicht getaugt?Hartmann: Das sind unterschiedliche Ämter, das des Parteivorsitzenden und das des Kanzlers. Entscheidend ist, dass die SPD jetzt zusammengefunden hat und geschlossen hinter Olaf Scholz steht. Wir haben jetzt personelle Klarheit geschaffen. Der Scheinwerfer ist jetzt auf die anderen gerichtet. Die CDU hat über Monate ein Führungsvakuum. Im Februar ist Kramp-Karrenbauer gescheitert und mindestens bis Dezember bleibt unklar, wer die CDU in die Bundestagswahl führt. Es gibt einen Kampf mit harten Bandagen zwischen Laschet und Söder, die beiden im Gegensatz zu Scholz im Krisenmanagement der Corona-Krise versagt haben. Also Klarheit bei der SPD, Unklarheit bei der CDU. Wie gefährlich kann denn die Wirecard-Affäre, in der offenbar auch die Aufsichtsinstitutionenversagt haben, für den Finanzminister Scholz werden?Hartmann: Olaf Scholz hat mit dem Ausbau vieler Behörden in seinem Zuständigkeitsbereich Finanzen bewiesen, dass er umsteuern kann. Beispiele: der Zoll und die Bekämpfung der Schwarzarbeit, Umstrukturierungen bei der Verwaltung des öffentlicher Immobilien. Scholz hat als erster Bundesfinanzminister versucht, Steuergesetzgebung auf europäischer Ebene zu organisieren. Andere vor ihm haben sich um solche Dinge nicht gekümmert. Wir brauchen bessere Regeln, um solchen Betrug zu verhindern, besonders, was die Wirtschaftsprüfung anbelangt, auch da brauchen wir einen starken, kontrollierenden Staat. Aber da weiß ich Olaf Scholz auf unserer Seite. Sind Sie denn sicher, dass der ganze NRW-Landesverband hinter der Entscheidung für Scholz steht?Hartmann: Aus allen Ebenen der Partei ist viel Zustimmung zu hören. Vor allem gibt es Lob für das Verfahren und den Zeitpunkt der Nominierung. Es gibt ja auch programmatisch keine Differenzen mehr zwischen Scholz und seinen früheren Kritikern. Es gibt das Konzept des starken Sozialstaats, der Steuererleichterung für die gesellschaftliche Mitte, der höheren Belastung der oberen Einkommen und der nachhaltigen Investitionen in eine Gesellschaft der Zukunft. Diese Programm-Eckpunkte sind ja ganz stark von der NRW-SPD geprägt worden. Dahinter werden sich junge und alte Mitglieder der SPD versammeln. Viele fragen sich: Stimmen politischen Handeln und Programmatik bei der SPD überein, also ist die SPD denn jetzt glaubwürdiger als zuletzt?Hartmann: Wir wollen Politik für die große Mehrheit der Bevölkerung machen. Da ist im Land einiges ins Rutschen gekommen. Die SPD darf sich nicht scheuen, über Leistung und über Sicherheit zu sprechen. Wenn die wahren Leistungsträger, die morgen früh aufstehen, zur Arbeit gehen, sich an Regeln halten und ihre Steuern bezahlen, davon nicht mehr profitieren, dann stimmt etwas in unserer Gesellschaft nicht. Wenn Wohnen im Ballungsraum um ein Drittel oder sogar die Hälfe teurer wird, oder wenn immer weniger Menschen durch Tarifvereinbarungen geschützt sind, dann stimmt etwas nicht in der Gesellschaft. Sie sprachen von Sicherheit. Mit Themen der inneren Sicherheit gewinnen Konservative Wahlen in diesem Land...Hartmann: Sicherheit ist ein ureigenes sozialdemokratisches Thema. Allerdings ist unser Sicherheitsbegriff weiter gefasst als der der Konservativen. Soziale Sicherheit, also die Gewissheit, in einer Notsituation vom Staat aufgefangen zu werden, gehört dazu. Aber eben auch Sicherheit vor Kriminalität. Wenn ich mich in meinem Land , in meinem Ort nicht sicher fühle, weil sich bestimmte Leute nicht an die Regeln halten, dann kann ich nicht frei und selbstbestimmt leben. Freies und selbstbestimmtes Leben aber ist das Wichtigste in den Augen der Sozialdemokratie. Wer ist eigentlich der Hauptgegner der SPD, die CDU oder die Grünen?Hartmann: Mit Bildern von der Pferdekoppel, wie Robert Habeck sie produziert, wird man die Republik in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht führen können. Und zur Union: Die SPD war von Anfang an der stabilisierende Faktor dieser Bundesregierung. Wir erinnern uns doch noch alle daran, dass der Beitrag der Union in der Großen Koalition zu Beginn ein halbjähriges Gerangel zwischen Seehofer und Merkel über Petitessen der Flüchtlingspolitik war. Wir kämpfen um die solidarische Mitte der Gesellschaft und um eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Mitte. Applaus von den Balkonen reicht da nicht. CDU und Grüne aber bleiben im Ungefähren. Aber das geneigte Publikum geht zur CDU und zu den Grünen, und die SPD verharrt im 15-Prozent-Gefängnis, wie die Umfragen zeigen...Hartmann: Die Wähler, die sich jetzt bei Umfragen zur CDU bekennen, müssen sich ja mal fragen, wen sie eigentlich bekommen. Bei der Union wird es bald heißen: Angela, wo bist du? Unklarheit in allen Belangen, programmatisch und personell. Und bei uns ist alles klar, personell und auch programmatisch. Wann soll denn die NRW-SPD ihre Entscheidung über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im Mai 2022 getroffen werden?Hartmann: Wir wollen die Mitglieder abstimmen lassen, wenn wir mehrere Bewerber haben. Davor wird es vielleicht vier oder fünf Regionalversammlungen geben. Und es soll frühzeitig geschehen, etwa ein Jahr vorher, unabhängig von der Bundestagswahl im September 2021.

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