Haßelmann zur Corona-Krise: "In NRW sehe ich große Schwierigkeiten"

Frau Haßelmann, in einer Demokratie sind die Mächtigen aufgefordert, sich im Parlament zu erklären. Ist das in der Corona-Krise bislang immer zur Genüge gelungen?Haßelmann: Die Frage von Rede und Gegenrede, die ausführliche Debatte im Parlament, ist gerade in Krisenzeiten und bei großen Entscheidungen elementar wichtig. Wir müssen miteinander ringen, Entscheidungsprozesse transparent machen und um Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern werben. Politik ist nie alternativlos, sondern ein ständiges Abwägen. Das ist das Wesen der Demokratie. Ist das die größte Lehre aus vergangenen Krisen?Haßelmann: Ich war immer dieser Meinung. Als Abgeordnete gehört es zu meinen Pflichten, Vorschläge zu hinterfragen und mit der Gegenseite um die besten Konzepte zu streiten. Worüber haben die Grünen mit der Bundesregierung zuletzt am heftigsten gestritten?Haßelmann: Als es um die Sofortmaßnahmen ging, den Rettungsschirm für die Krankenhäuser, die Unterstützung für die Wirtschaft, haben wir Grüne uns aus staatspolitischer Verantwortung hinter die Regierung gestellt. Wir fanden Vieles inhaltlich richtig und haben gleichzeitig auf Änderungen gedrängt. Einiges davon hat die Regierung aufgegriffen. Beim Konjunkturpaket sah das schon anders aus. Wir haben eine eindeutige ökologische Orientierung gefordert. Dass die Abwrackprämie nicht gekommen ist, war auch ein Erfolg der Klimabewegung. In der Sozialpolitik haben wir einen kurzfristigen Aufschlag der Regelsätze um 100 Euro für arme Menschen gefordert. Leider hat die Koalition nicht die Kraft gefunden, diesen Vorschlag aufzugreifen. Wie geht Nordrhein-Westfalen aus Ihrer Sicht mit der Krise um?Haßelmann: In NRW sehe ich große Schwierigkeiten. Die Landesregierung hat keinen Kompass. Mal inszeniert sich Ministerpräsident Armin Laschet als Meister der Lockerungen, dann lässt er seine Schulministerin Yvonne Gebauer erklären, dass nun bis in die Schulklassen hinein eine Maskenpflicht gilt. Wie gefiele Ihnen Laschet als CDU-Vorsitzender?Haßelmann: Wer CDU-Vorsitzender wird, wird allein die CDU entscheiden. Ich finde, dass Herr Laschet als Ministerpräsident gerade nicht sonderlich brilliert mit seiner Corona-Politik. Als Krisenmanager hat er sich durch seine Sprunghaftigkeit nicht unbedingt für höhere Ämter empfohlen. Sind die Grünen heute eine konservative Partei?Haßelmann: Das wird uns ja inzwischen gerne mal zugeschrieben. Die Werte, die unsere Politik tragen, bleiben Ökologie, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Demokratie und Frieden. Als Bündnispartei wollen wir uns mit anderen zusammentun und für eine bessere Zukunft einstehen. Einige gehen ja schon fest von einer schwarz-grünen Koalition nach der Bundestagswahl aus. Wann wird es bei den Grünen eine grundlegende Richtungsentscheidung geben?Haßelmann: Wir kommen mit klaren inhaltlichen Vorstellungen. Es gibt große Veränderungsnotwendigkeiten, beim Klima, bei der Gerechtigkeit, Europa und bei der Gleichstellung. Corona hat unter anderem die Benachteiligung von Frauen noch einmal offengelegt. Wir gehen mit klarem inhaltlichem Profil in den Wahlkampf und wenn es sich ergibt, werden wir anschließend mit allen demokratischen Parteien sprechen. In Umfragen steht Ihre Partei bei rund 20 Prozent. Bringen Sie die ins Ziel?Haßelmann: Wir sind sehr gut aufgestellt, inhaltlich und personell. Unsere Mitgliederzahlen steigen, sie liegen zum ersten Mal über der 100.000-Marke. Die Klimakrise bleibt die größte Zukunftsherausforderung. Ohne die erstarkte Umweltbewegung um Fridays for Future wäre es zum Beispiel nie gelungen, diese absurde Idee einer Abwrackprämie für Verbrenner zu verhindern. Wir brauchen einen Aufbruch aus der Krise. Alles, was wir tun, muss zukunftsfähig sein. Mit alten Rezepten kommen wir nicht weiter.

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