"Fahrlässig" – NRW-Oppositionsführer kritisiert Reiserückkehrer Laschet

Herr Kutschaty, der Kommunalwahlkampf ist von Corona geprägt. Gehen Sie davon aus, dass die Pandemie noch in das kommende Bundestags-, womöglich sogar ins folgende NRW-Landtagswahljahr hineinragen wird?Kutschaty: Das Ende der Corona-Krise ist noch längst nicht in Sicht. Im Moment helfen Kurzarbeitergeld und Sofortprogramme, die sind aber befristet. Der Staat könnte nicht jedes Mal im großen Stil Geld nachschießen. Deshalb müssen wir jetzt alles daran setzen, dass es zu keinem zweiten Lockdown kommt, der die Wirtschaft noch einmal lahmlegen würde. Wozu raten Sie?Kutschaty: Wir erleben gerade steigende Fallzahlen und eine sinkende Akzeptanz für die Einschränkungen. Dabei müssen wir durchhalten. Das A und O bleibt die AHA-Formel, also: Abstand wahren, auf Hygiene achten und – da wo es eng wird – eine Alltagsmaske tragen. Zuletzt ist aus dem Länderwettbewerb um Lockerungen leider eine allzu große Lockerheit entstanden. Das ist brandgefährlich. Was sagen Sie den Leuten, die ihr Leben wie vor der Krise genießen wollen, die feiern wollen?Kutschaty: Dafür habe ich Verständnis. Allerdings ist es noch zu früh für große Partys. Wer jetzt zu sorglos handelt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Gesundheit vor allem älterer Menschen – und nicht zuletzt die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands. Was halten Sie von jenen, die gerade für ihre Freiheiten auf die Straßen gehen?Kutschaty: Ich war sieben Jahre NRW-Justizminister. Als Jurist und Bürgerrechtler bin ich sehr für die freie Meinungsäußerung. Das heißt nicht, dass ich die Meinungen, die auf der Straße geäußert werden, überall teile. In Berlin sind vor allem Neonazis und Verschwörungsgläubige als Trittbrettfahrer aufgesprungen. Grundsätzlich gilt: Wer in diesen Tagen ohne Abstand demonstriert, der demonstriert ohne Anstand. Welche Corona-Politik hat Sie bislang eher überzeugt, die in Bayern oder die in Nordrhein-Westfalen?Kutschaty: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat sein Land bisher besser durch die Krise gesteuert als Armin Laschet Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen weniger Laschet, dafür mehr Söder. Manchmal muss man als Regierungschef Maßnahmen treffen, die auf den ersten Blick unpopulär sind. Corona ist kein Schnupfen, es geht um die Gesundheit von Menschen. In Italien sind 150 Ärztinnen und Ärzte, Menschen aus der Krankenpflege an Corona gestorben. Mit zu großer Sorglosigkeit setzen wir die Gesundheit jener aufs Spiel, die Leben retten wollen. Die Infektionen in den Corona-Hotspots Heinsberg und Gütersloh wurden erfolgreich eingehegt. Woran genau machen Sie fest, dass Bayern bisher besser durch die Krise gekommen ist als NRW?Kutschaty: In Heinsberg waren es die lokalen Behörden, die konsequent gehandelt haben. Diese Konsequenz vermisse ich bei der Landesregierung unter Herrn Laschet. Sicher, so eine Krise haben wir vorher noch nicht erlebt. Im Gegensatz zu Bayern hat NRW aber nicht mal einen Krisenstab eingerichtet. In Schulen und Kitas gab es ein Hin und Her. Die Vorgaben des Landes sind zu wankelmütig, es fehlt Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Wie ist Ihr Gefühl vor dem Schulstart kommende Woche?Kutschaty: Es wird viel vom Glück und Engagement einzelner abhängen, ob die Einhaltung der Maßnahmen gelingt. Ich habe heute gelernt, dass in Bielefeld 50 Prozent der aktuellen Infektionsfälle Reiserückkehrer sind. Es bleibt also riskant. Man kann Normalität nicht einfach anordnen. Immerhin ist die Schulministerin (Yvonne Gebauer, Anm. d. Red.) inzwischen unserer Forderung nach einer Maskenpflicht nachgekommen. Welche landesweiten Hygieneregeln sollten aus Ihrer Sicht gelten?Kutschaty: Es geht schon mit der konsequenten Teststrategie los, die in NRW bedauerlicherweise nicht vorhanden ist. Die Maßnahmen sind zu lasch. Man hätte Reiserückkehrer früh zu Corona-Tests verpflichten sollen – nicht bei den Hausärzten, sondern kostenlos in mobilen Testzentren an Flughäfen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen. Flughäfen verzeichnen eine Trefferquote von zweieinhalb Prozent, das ist schon heftig. Armin Laschet und sein Flüchtlingsminister Joachim Stamp sind gerade aus Griechenland zurückgekehrt ...Kutschaty: Ich hätte von einem Ministerpräsidenten mit Vorbildfunktion erwartet, dass er sich nach seiner Rückkehr sofort testen lässt. Er hätte damit ein wichtiges Zeichen setzen können. Wie soll man Armin Laschet seine Appelle abnehmen können, wenn er sich selbst nicht daran hält? Übrigens ist es fahrlässig, dass er und sein Vize gleichzeitig, in einer Maschine, ins Ausland fliegen. War der Flug nach Lesbos politisch sinnvoll?Kutschaty: Es war wichtig, auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Durch Corona ist ihre Lage etwas in Vergessenheit geraten. Zuletzt ist es ja auch um Herrn Laschet leise geworden. Er hat wohl gemerkt, dass seine Corona-Strategie gescheitert ist. Gehen Sie davon aus, dass Laschet bei der NRW-Landtagswahl in zwei Jahren wieder antreten wird? Oder ist er dann Kanzler?Kutschaty: Ich gehe nicht davon aus, dass Herr Laschet Kanzler wird. Insofern muss die CDU sich überlegen, ob sie jemanden mit gescheiterten Kanzlerambitionen 2022 als Spitzenkandidaten aufstellen will. Treten Sie denn an?Kutschaty: Der Oppositionsführer im Landtag muss immer willens und in der Lage sein, auch weitere Aufgaben zu übernehmen (lacht). Anmerkung der Redaktion: Ministerpräsident Laschet hat den Vorwurf der SPD, er habe keinen Corona-Test gemacht, am Donnerstagmittag (6. August) zurückgewiesen. Aus Regierungskreisen heißt es, Laschet habe sich nach seiner Rückkehr testen lassen. Das Ergebnis sei negativ gewesen. Wann genau der Test erfolgt ist, blieb vorerst offen.

Meistgelesen