560 Euro für jedes leere Bett: Kritik an Tagespauschale für Krankenhäuser

Berlin/Bielefeld. Die Krankenhäuser in Deutschland arbeiten seit Mitte März im Notfallmodus, um Covid-19-Patienten versorgen und auf einen plötzlichen Anstieg des Patientenaufkommens reagieren zu können. Die Kliniken haben dafür ihren Alltag auf die Krise ausgerichtet, indem sie alle planbaren Operationen verschoben und ihre intensivmedizinischen Kapazitäten erweitert haben. Um die Finanzierung der Kliniken trotzdem sicherzustellen, hilft die Bundesregierung aus und zahlt unter anderem eine Tagespauschale von 560 Euro für jedes Bett, das aufgrund der Krise leer bleibt. An der Bettenpauschale wächst jedoch zunehmend Kritik. Krankenkassen befürchten Fehlanreize. Sie gehen davon aus, das Leerstand in Bereichen wie der Psychiatrie aktuell profitabler ist als die Versorgung von Patienten. Die psychiatrischen Kliniken haben mit Beginn der Coronakrise ab Mitte März zwar weniger Patienten aufgenommen, den Vorwurf Patienten nicht zu behandeln, um Betten frei zuhalten, weisen sie jedoch zurück. Einig sind sich Krankenkassen und Kliniken darin, dass die schnelle Entscheidung für eine Bettenpauschale zu Beginn der Krise richtig war. &bdquo;Die Zahlung war wichtig, weil niemand wusste, welche Folgen die Krise auf das Gesundheitswesen haben wird", erklärt der Vorstandsvorsitzende der Viactiv Krankenkasse, Reinhard Brücker. Das bestätigt auch die AOK Nordwest: Die Pauschale war nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Tom Ackermann eine wichtige kurzfristige Maßnahme, um das Gesundheitswesen vor drohender Überlastung zu schützen und gleichzeitig die Liquidität der Krankenhäuser zu sichern. &bdquo;Jetzt ist es aber an der Zeit, die Höhe der Zahlung zu überprüfen. 560 Euro als Tagespauschale für jedes leerstehende Bett sind für die meisten Krankenhäuser zu hoch angesetzt", sagt Brücker. Die Viactiv betreibt seit 2012 ein eigenes Krankenhaus, das Hüttenhospital in Dortmund. Experten überprüfen die Auswirkungen der Bettenpauschale Zur Überprüfung der Bettenpauschale hat das Bundesgesundheitsministerium einen Expertenbeirat mit Vertretern der Krankenhäuser, der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen und Wissenschaftlern ins Leben gerufen, der bis zum 30. Juni überprüfen soll, wie sich die Hilfsmaßnahmen auf die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser auswirken. Die Experten überprüfen nach Informationen von nw.de auch die Höhe der Bettenpauschale, noch ist jedoch unklar, ob es zu einer Staffelung der Zahlungen kommen wird. Laut AOK haben sich die Ausgaben des Bundes für frei gehaltene Klinikbetten zugunsten möglicher Covid-19-Patienten gegenüber den ursprünglichen Schätzungen binnen weniger Wochen auf über sechs Milliarden Euro fast verdreifacht. &bdquo;Aufgrund unterschiedlicher Kostenstrukturen der Krankenhäuser halten wir eine Differenzierung der Ausgleichszahlungen für sachgerecht und dringend geboten", sagt Ackermann. Kassen halten Beitrag der Psychiatrien zur Krisenbewältigung für gering Zudem dürfe eine pauschale Ausgleichszahlung nicht zur Überfinanzierung einzelner Versorgungsbereiche führen und damit den Fehlanreiz setzen, Leerstand sei profitabler als die Versorgung von Patienten, ergänzt Ackermann. &bdquo;Außerdem sollte geklärt werden, ob es sich um Einrichtungen handelt, in denen die erforderliche Ausstattung für Beatmung und intensivmedizinische Betreuung von Covid-19-Patienten tatsächlich vorgehalten wird." Die Krankenkassen fordern deshalb eine umgehende Kürzung der Bettenpauschale für psychiatrische Kliniken, weil ihr Beitrag zur Krise begrenzt sei. Doch wie lässt sich der Beitrag einer Klinik zur Bewältigung der Krise bewerten? Auch die psychiatrischen Kliniken haben mit dem Beginn des Lockdowns Mitte März ihren Alltag an die Krise angepasst. &bdquo;Wir haben unseren Alltag auf den Kopf gestellt und halten weiter Quarantäne-Zimmer und Isolierstationen für Covid-19-Patienten vor, denn psychisch kranke Patienten können häufig nicht auf reguläre Stationen verlegt werden", erklärt Martin Driessen, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. An die Maskenpflicht können sich psychisch Kranke nicht immer halten Driessen moniert, dass in der öffentlichen Debatte häufig vergessen wird, dass in psychiatrischen Kliniken hoch vulnerable Patienten versorgt werden, die häufig zu den Corona-Risikogruppen zählen, weil sie zusätzlich körperliche Erkrankungen und eine verkürzte Lebenserwartung haben. &bdquo;Zudem können sich Patienten vorübergehend oder auch dauerhaft nicht an Regeln wie das Abstandhalten oder die Maskenpflicht halten. Es handelt sich also um Hochrisikosituationen." Um Patienten und Mitarbeiter zu schützen, haben deshalb auch die psychiatrischen Kliniken in Deutschland seit Mitte März deutlich weniger Patienten aufgenommen. &bdquo;Wir hatten gleich zu Beginn der Krise bestätigte Corona-Fälle in der Klinik, weshalb wir den Normalbetrieb runter fahren mussten", erklärt Driessen. &bdquo;Alles andere wäre verantwortungslos gewesen, denn das Risiko eines Ausbruchs ist in der Psychiatrie groß und genau das gilt es zu verhindern, um die Intensivstationen nicht zu überlasten." Viele Patienten sind noch stark verunsichert Rückblickend war das präventive Vorgehen laut Driessen richtig: &bdquo;Insgesamt hatten wir zum Glück nur vier bestätigte Corona-Fälle." Wie in anderen Kliniken auch, wurden während der Krise trotzdem weiterhin Notfälle stationär aufgenommen. &bdquo;Der Vorwurf, dass Patienten abgewiesen wurden, um Betten frei zu halten, ist ein Schlag gegen all die engagierten Mitarbeiter, die sich auch während der Krise für ihre Patienten eingesetzt haben." Ein weiterer Grund für den Rückgang des Patientenaufkommens ist Unsicherheit. &bdquo;Viele sorgen sich vor einer Ansteckung auf der Station, weshalb die Ambulanz mit täglich mehr als 100 Patienten sehr voll ist. Wir versuchen, Patienten die Angst vor einer stationären Aufnahme zu nehmen", erklärt Driessen. Ähnliche Entwicklungen beobachten Mediziner mit großer Sorge bei Herzinfarkt- und Schlaganfall-Patienten. Psychiatrien halten Zimmer und Stationen frei Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) weist als Träger mehrerer Kliniken zudem daraufhin, dass auch psychiatrische Kliniken vom NRW-Gesundheitsministerium dazu angehalten wurden, neben der Einrichtung von Quarantäne-Zimmern und Isoliertstationen planbare stationäre Aufenthalte zu verschieben. &bdquo;Zudem haben die Gesundheitsämter in Gütersloh und Lengerich darum gebeten, Zimmer für Menschen freizuhalten, die nicht mehr zuhause betreut werden können", erklärt LWL-Sprecher Thorsten Fechtner. &bdquo;Außerdem wurden in den LWL-Kliniken auch psychisch kranke Covid-19-Patienten versorgt, die aus anderen Krankenhäusern verlegt wurden. Das alles zeigt, dass auch psychiatrische Kliniken einen großen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten." Ob die Suizidrate durch die Krise gestiegen ist, ist noch nicht bekannt Nach Daten des wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen gab es allein bei den Neuaufnahmen in den psychiatrischen Fachabteilungen einen Rückgang von 18 Prozent im März und 26 Prozent im April. Regional liegen die Zahlen sogar noch höher. &bdquo;Ende März bis Mitte April lagen die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr sogar bei weniger als 50 Prozent", erklärt Viactiv-Chef Brücker. Derzeit steigen die Zahlen jedoch wieder deutlich an. &bdquo;Wir gehen jetzt schrittweise zurück zum Normalbetrieb", erklärt Driessen. Ob und welche Folgen das Wegbleiben von Patienten in der Psychiatrie haben wird, ist laut Driessen noch nicht absehbar. &bdquo;Die Datenlage reicht aktuell nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Suizidrate während der Coronakrise gestiegen ist."

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