Ärzte berichten von massiver Gewalt gegen Kinder

Berlin/Bielefeld. Die Einschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus helfen aktuell bei der Bewältigung der Pandemie. Allerdings führen sie zu hohen Belastungen in der Bevölkerung. Betroffen sind vor allem Familien, die mehr Zeit auf engem Raum miteinander verbringen und gleichzeitig mit Existenzängsten, steigendem ökonomischen Druck und veränderten Arbeitsbedingungen zurechtkommen müssen. Experten rechnen deshalb mit einem Anstieg häuslicher Gewalt. Bei der Kinderschutzhotline der Bundesregierung melden sich immer mehr Mediziner, die von massiver Gewalt gegen Kinder berichten. &bdquo;Aus epidemiologischer Sicht mögen die Einschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus sinnvoll sein, doch es gibt auch Nebenwirkungen", sagt Kinderarzt Oliver Berthold. Der Berliner berät mit zehn Medizinern seit 2017 Anrufer der Kinderschutzhotline. Das Angebot richtet sich an Beschäftigte im Gesundheitswesen wie Ärzte und Therapeuten und soll in Verdachtsfällen Ratschläge geben, wie weiter vorgegangen werden kann. Zahl der Anrufer bei der Kinderschutzhotline steigt an &bdquo;Wenn Eltern nicht erklären können, wie sich ein Kind verletzt hat oder Verletzungen mit einem Unfall erklären, der nicht zum Verletzungsbild passt, muss auch an eine Misshandlung gedacht werden", erklärt Berthold. &bdquo;Wir werden teilweise wegen Verletzungen kontaktiert, die sonst bei Verkehrsunfällen auftreten, wie Knochenbrüche oder schwere Schädelhirnverletzungen." Das Risiko sei für Kleinkinder am größten, so Berthold. &bdquo;Sie haben noch nicht die Kraft sich selbst schwer zu verletzen, wenn sie noch nicht laufen, Sport treiben oder am Straßenverkehr teilnehmen können." Neue Kinderschutz-Hotline 08001921000 für medizinisches Fachpersonal! Die Hotline ist bundesweit, kostenfrei und rund um die Uhr erreichbar. pic.twitter.com/gZxtB33u2B Familien-, Senioren-, Frauen- & Jugendministerium (@BMFSFJ) July 27, 2017Nach einem Rückgang der Anrufe bei der Kinderschutzhotline während des Lockdowns steigen die Anruferzahlen seit Mai wieder an. Berthold und seine Kollegen aus der Kindermedizin, Kinderpsychiatrie sowie der Rechtsmedizin beraten die Anrufer dann für das weitere Vorgehen. &bdquo;Häufig sind weitere Untersuchungen oder der Kontakt zum Jugendamt nötig." Stress ist ein Risikofaktor für Gewalt in Familien Nach Angaben von Berthold reicht die wieder steigende Inanspruchnahme der Kinderschutzhotline nicht aus, um einen Gewaltanstieg gegen Kinder während der Coronakrise zu belegen. &bdquo;Anrufer, die über den Verdacht schwerer Misshandlungen berichten, gab es leider auch schon vor der Krise. Einen tatsächlichen Anstieg wird man erst rückblickend beurteilen können", so Berthold. Aus ihrem Alltag wissen die Mediziner, dass Stress ein Risikofaktor für Gewalt in Familien ist. &bdquo;Mit steigendem Druck, steigt die Gefahr für Kinder Opfer von körperlicher oder emotionaler Gewalt zu werden." Grundsätzlich wünscht sich Berthold unabhängig von der Krise eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitswesen und den Jugendämtern. &bdquo;Wichtig ist auch, dass Misshandlungen im Gesundheitswesen schnell als solche identifiziert werden." In Bielefeld ist die Zahl der Inobhutnahmen konstant Die Erfahrungen von Berthold und seinen Kollegen decken sich mit den Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter. Aktuell verzeichnen die Jugendämter einen Anstieg von Inobhutnahmen im städtischen Umfeld. Eine Umfrage bei den Landesjugendämtern hat nach Angaben des Vorsitzenden Lorenz Bahr ein entsprechendes Bild ergeben, Zahlen liegen jedoch noch nicht vor. In der Großstadt Bielefeld gibt es einen entsprechenden Trend bislang nicht: &bdquo;Die Zahl der Inobhutnahmen ist in Bielefeld während der Krise bisher konstant geblieben", erklärt der Leiter des Jugendamtes, Georg Epp. &bdquo;Das gilt zum Glück auch für die Zahl der Gefährdungsmeldungen. Denn trotz geschlossener Kitas und Schulen wurden Kindeswohlgefährdung weiter gemeldet." Trotz konstanter Zahlen herrscht laut Epp große Anspannung. &bdquo;Niemand kennt die Dunkelziffer, denn Gewalt kann auch in Familien ausbrechen, die noch gar nicht auf unserem Radar sind. Das gilt besonders für Krisen, die sich so extrem auf das Familienleben auswirken." Familienbesuche auch während der Krise weiterhin möglich Die Arbeit der Jugendämter und freien Träger im Hilfesystem läuft aktuell zwar weiter eingeschränkt, aber Familienbesuche waren und sind laut Epp auch während der Krise möglich. &bdquo;Das Hilfesystem funktioniert. Wir haben bereits Mitte März alle Träger dazu verpflichtet auch weiterhin Familien zu besuchen, wenn es bereits einen Schutzauftrag gibt oder, wenn eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann", erklärt Epp. Zudem haben alle Beteiligten ihre Unterstützungsangebote angepasst und offensiv den Kontakt zu Familien gesucht.

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