Infraschall von Windrädern: Bürger aus OWL ziehen vor Oberlandesgericht

Borchen/Hamm. Wenn Martina Voigt (Name von der Redaktion geändert) durchschlafen will, muss sie in den Urlaub fahren. Denn ihr Eigenheim in Borchen-Etteln im Kreis Paderborn macht sie krank. Nicht das Haus selbst, sondern die Umgebung. Windräder umzingeln das kleine Dorf. Der von den Anlagen erzeugte Infraschall verursache bei der 71-Jährigen Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Herzrasen, sagt sie. Auch ihr Mann leide. "Wir müssen ab und zu wegfahren, einfach, um schlafen zu können." Infraschall. Demnächst muss sich das Oberlandesgericht Hamm mit dem Geräusch, das nicht zu hören ist, auseinandersetzen. Drei Klagen bezüglich Windkraftanlagen in den Kreisen Paderborn und Lippe sowie im Münsterland liegen dort mittlerweile vor. Die Landgerichte hätten sie zuvor abgewiesen, "weil die Möglichkeiten einer gerichtlichen Beweisaufnahme gesprengt würden, wenn zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen ermittelt und Forschungsaufträge erteilt werden müssten", schreibt das OLG. Mediziner: "Ich habe selber zu den Skeptikern gehört" Infraschall, das sind Töne mit einer Frequenz, die unterhalb der Grenze dessen liegt, was ein Mensch hören kann. Alles oberhalb dieses hörbaren Frequenzbereichs ist Ultraschall. Die Stärke der Frequenzen wird in Dezibel gemessen. Die Betroffenen beklagen die Betreiber der Windenergieanlagen auf Schadenersatz wegen der Beeinträchtigung. Der 24. Senat, der sich der Klagen in den kommenden Monaten wird annehmen müssen, betritt mit Infraschall thematisches Neuland. "Ob Infraschall in einer bedenklichen Intensität von Windkraftanlagen ausgehen kann, ist umstritten und wohl noch nicht abschließend erforscht", so das Gericht. Ein Blick in die Forschung: "Ich habe selber zu den Skeptikern gehört", sagt Christian-Friedrich Vahl, Universitätsprofessor und Direktor der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie an der Universitätsklinik Mainz. Doch er hat seine Meinung geändert. Heute sagt er: "Ich bin für Windkraft, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht zum Land der Schlaflosen werden." Tests schon zu DDR-Zeiten Als Mitglied der einzigen Arbeitsgruppe Infraschall in Deutschland erforscht er dessen Einfluss auf Organe. "Wir bringen Herzmuskelgewebe in einem Reagenzglas zum Zucken", beschreibt er den Versuchsaufbau. Dabei handele es sich um eine kontrollierte, hochwertige Studie. Denn ein Stückchen Herzmuskel werde Infraschall ausgesetzt, eine Probe desselben Patienten hingegen nicht. Der Vergleich zeige: "Infraschall hat direkte Einwirkung auf das Herzmuskelgewebe." Das Team stelle eine Reduktion der Muskelkraft um 20 Prozent fest. Vermutungen aufstellen, inwiefern sich Infraschall auf Menschen auswirkt, will er auf Basis seiner Erkenntnisse nicht. Allerdings sind dem Mediziner andere Experimente und Untersuchungen bekannt. Schon zu DDR-Zeiten seien topfitte, junge Soldaten unter Wasser den U-Boot-Geräuschen ausgesetzt worden. 30 Prozent der trainierten Männer litten laut Vahl daraufhin unter Schwindel, Schweißausbrüchen und verlangsamtem Herzschlag. "Man kann auch andere Windräder bauen" Auch Windräder erzeugten Infraschall. Und zwar in dem Moment, in dem ein Rotorblatt sich am Mast vorbeibewege. Ein Windpark mit 16 Anlagen in 1.000 Metern Entfernung verursache etwa 100 Dezibel, so Vahl. Zum Vergleich: Bei Fluglärm seien es nur rund 70. Dabei müsse das gar nicht so sein. "Man kann auch andere Windräder bauen", sagt Vahl und verweist auf Tests in den USA. "Das sind turmartige Gebilde, gar keine Windmühlen mehr, sie sehen eher aus wie Säulen." Diese erzeugten keinen Infraschall. In Etteln stehen normale Windräder. Martina Voigt sagt, deretwegen gehe sämtliche Lebensqualität verloren. Umziehen? Das Eigenheim zurücklassen? Unmöglich. "Mein Mann sagt: Das haben wir alles aufgebaut. Er ist 80 Jahre alt, das wäre der Todesstoß für ihn", sagt Voigt. Sie sieht keine Hoffnung am Horizont. Nur Windräder.

Meistgelesen