Düsseldorf. Sexueller Kindesmissbrauch wird an Schulen nach Ansicht von Experten viel zu selten erkannt. Derzeit werde über das Versagen von Polizei und Jugendämtern diskutiert, nicht aber über „das Versagen von Schule", kritisierte Ursula Enders, Leiterin der Kölner Kontaktstelle „Zartbitter" gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, im Landtag.
Dort setzte sich der Untersuchungsausschuss zum Thema Kindesmissbrauch mit der Opferperspektive auseinander. An Schulen sieht Enders ebenso wie der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp dringenden Handlungsbedarf, um Lehrer für die Thematik zu sensibilisieren, eine „Mauer des Schweigens" innerhalb der auf ihren Ruf bedachten Institutionen zu brechen und „Vertuschen" zu verhindern.
Sorge um Image
Nicht nur in Schulen, sondern auch in den Kirchen, im Sport und in anderen großen Institutionen herrsche „eine wahnsinnige Sorge", dass Missbrauch nach außen dringen und „das tolle Image zerstören" könnte, sagte Keupp. Der Wissenschaftler erforscht in der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs" in Deutschland die Leidensgeschichten Betroffener.
Ein Viertel der rund 2.000 Fälle, die die Kommission angehört habe, habe sich in Schulen abgespielt, berichtete der emeritierte Hochschulprofessor. 80 Prozent aller hier erfassten Opfer seien weiblich.
Mangelnde Ausbildung bei Lehrern
Lehrern fehle aufgrund der mangelnden Ausbildung eine „Traumasensibilität", kritisierte Keupp. „Die Fähigkeit zu spüren, dass mit einem Kind etwas nicht in Ordnung ist." Solche Signale müssten in der Lehrerausbildung erklärt werden. „Wo Leistung das oberste Prinzip ist, sind sozialpsychologische Kompetenzen sehr unterentwickelt", stellte der Wissenschaftler fest.
"Nichts unternommen"
Zwei Beispiele nannte er: Ein missbrauchtes Kind habe sich einer besonders geschätzten Lehrerin anvertraut und versucht zu erklären, was zu Hause abläuft. „Es wurde nichts unternommen."
In einem anderen Fall aus dem kirchlichen Bereich habe sich ein missbrauchtes Mädchen einem beliebten Jugenddiakon anvertraut. Seine Reaktion sei gewesen: „Du musst dich fragen, was du selbst falsch gemacht hast." Die Täter seien häufig „sehr bewunderte, charismatische Figuren", berichtete Keupp. „Die haben es gar nicht schwer" – vor allem bei Kindern, die zu Hause wenig Liebe und Geborgenheit bekämen. In diesem Zusammenhang sei auch der Bereich Jugendarbeit und Pfadfinder dringend auszuleuchten. Alle sexuell missbrauchten Kinder gäben Signale – „viele zeitverzögert", sagte Enders.