So lebt es sich im Schatten der Windräder

Kreis Paderborn. Vor Kurzem ist Johannes Giesguth ein einmaliger Schnappschuss durch die Lappen gegangen. &bdquo;Ein wunderschöner Vollmond mit einer Windrad-Silhouette davor – das wäre ein Bild geworden." Vielleicht bekommt er noch einmal die Chance auf solch ein Foto. Immerhin stehen nirgendwo in NRW so viele Windenergieanlagen wie im Kreis Paderborn. 543 Räder erzeugen dort 966 Megawatt. Der 65-jährige Giesguth ist Landwirt, lebt in Bad Wünnenberg-Haaren und ist Mitbesitzer eines Windrads. &bdquo;Irgendwo muss der Strom ja herkommen, wenn man sagt, man will raus aus Atomkraft und Kohle. Für mich ist ein Windrad dabei ein Stück des Weges." Seine Mitstreiter und er seien damals ein Risiko eingegangen. Jetzt könne er sagen, dass der Windradbau eine gute Entscheidung war. Und pragmatisch fügt er hinzu: &bdquo;Wenn wir es nicht gebaut hätten, hätte es eine Genossenschaft gebaut." Etwas Kritisches hat Giesguth allerdings auch anzumerken. Es hätte gelingen müssen, die Menschen besser mitzunehmen, findet er. Die meisten Windräder des Kreises Paderborn stehen in Lichtenau. 172 Windenergieanlagen drehen sich dort auf insgesamt 192 Quadratkilometern Stadtfläche. Die Kommune ist damit quasi der Spitzenreiter unter den Spitzenreitern. Wie es dazu kam, erklärt Bürgermeister Josef Hartmann (SPD): &bdquo;Lichtenau war eine extrem arme Kommune immer am Rande des Haushaltssicherungskonzepts, wir mussten uns einfach neue Wege erschließen." Die Windenergie – für viele Kommunen eine Bürde, für Lichtenau &bdquo;eine Chance". Borchens Bürgermeister will Windenergieausbau "mit Augenmaß" Mittlerweile nimmt die Stadt rund zwei Millionen Euro Gewerbesteuer jährlich durch die Windenergie ein, so Hartmann. &bdquo;Unser Haushalt ist immer noch nicht ausgeglichen, aber wir haben mehr Spielräume." Nicht nur in der Anzahl der Anlagen ist die Stadt Vorreiterin. Sechs Windräder gehören den Stadtwerken – ein Alleinstellungsmerkmal. Außerdem fließt Geld aus der Windkraft in die Bürger- und Energiestiftung, die Projekte, wie etwa den Bürgerbusverein fördert. Josef Hartmann nimmt auch an den Windenergietagen des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW, die heute in Bad Driburg beginnen, teil. Ein paar Kilometer weiter östlich im Kreis Paderborn sieht die Gemengelage anders aus. Bürgermeister Reiner Allerdissen ist kein Windkraftgegner, wie er sagt. Im Gegenteil. Er halte die Wende hin zu regenerativen Energien für wichtig. Und er sei auch der Meinung, dass die Kommunen sich an diesem &bdquo;übergeordneten Ziel" beteiligen müssten. Das allerdings &bdquo;mit Augenmaß". In Borchen stehen 52 Windräder. Die generieren laut Allerdissen doppelt so viel Strom, wie die Borchener verbrauchen. In Dörenhagen, einem der Ortsteile, gebe es mittlerweile &bdquo;eine hundertprozentige Umfassungswirkung, das heißt: Es gibt keine Blickrichtung mehr ohne diese Anlagen", so Allerdissen. Da komme das Gefühl auf, etwas laufe nicht in die richtige Richtung. &bdquo;Und wenn man dann als Betroffene noch nicht einmal Schutz von Gerichten bei diesen offensichtlichen Schieflagen bekommt, dann warne ich davor, was die Folgen sind." Elf Prozesse führt die Gemeinde aktuell im Namen der Windenergie. Bereits mehrfach kippten Gerichte die kommunalen Flächennutzungspläne (siehe Infokasten). "Wenn ich jetzt meinen Blick schweifen lasse, sehe ich 30 Windräder" Martin Amedick ist wütend. Darüber, dass Flächennutzungspläne gekippt werden, und darüber, dass die Bürger dabei nur machtlos zuschauen können. Martin Amedick ist 50 Jahre alt, Versicherungsfachwirt, und hat sich vor rund 20 Jahren am östlichen Dorfrand von Dörenhagen den Traum vom Eigenheim erfüllt. Damals blickte er auf vier kleine Windräder. &bdquo;Wenn ich jetzt meinen Blick schweifen lasse, sehe ich 30", sagt er, &bdquo;und die Geräuschbelastung ist deutlich." Auch er sei kein Windkraftgegner. Grundsätzlich. &bdquo;Aber man darf es nicht übertreiben mit den Konzentrationsflächen, denn dann ist ein Ort auch nicht mehr lebenswert." Bei Ostwind wird das Leben für Martina Voigt (Name von der Redaktion geändert) sogar &bdquo;zur Hölle". Die 71-Jährige wohnt in Etteln, einem weiteren Borchener Ortsteil. Seit etwa zweieinhalb Jahren ist die Windkraft für sie täglich ein Thema – &bdquo;allein schon wegen der körperlichen Beschwerden". Angefangen habe es mit nächtlichem Ohrensausen, dann habe es sich auch tagsüber so angefühlt, &bdquo;als hätte ich 1.000 Bienen in den Ohren". Hinzugekommen seien Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Herzrasen und Schlafmangel. &bdquo;Mein Mann hat Druck auf der Brust." All das werde verursacht durch Lärm und Infraschall der Windenergieanlagen um das Dorf herum. &bdquo;Das liegt nicht am Alter", insistiert sie. Auch ihre Schwiegertochter habe Probleme. Von Windbefürwortern würden Berichte wie ihre als &bdquo;Quatsch" abgetan. Durchaus auch im eigenen Dorf. Mittlerweile fühlt sich die 71-Jährige &bdquo;wie ein Mensch zweiter Klasse".

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