Rechte Gewalt: Gestern glatzköpfig, heute Hipsterklamotten

Düsseldorf. Wenn es mal wieder ausufert, fragt er den Staatsschutz. Er kenne ja "nicht alle braunen Todeslisten, auf denen ich so stehe", sagt der Bürgermeister der westfälischen Kleinstadt Altena, Andreas Hollstein, "aber einige sind es mit Sicherheit." Wegen seiner Flüchtlingspolitik wurde Hollstein vor zwei Jahren, im November 2017, mit einem Messer angegriffen und am Hals verletzt. "Es war ein deutscher Mitbürger aus meiner Stadt", sagt der CDU-Politiker. Es war eine rechtsextrem motivierte Tat, sagt der Verfassungsschutz. Hollstein erzählt seine Erlebnisse als Gast der Fachtagung "Rechtsextremismus" im nordrhein-westfälischen Innenministerium. Altena, der Terrorangriff in Halle, der Mord an Walter Lübcke – die Sinne sind geschärft. Minister Herbert Reul (CDU) spricht von "den letzten Zeichen, den letzten Wachmachern". Hollstein kennt sich aus mit Hasswellen Als weiteren Beleg für die Radikalisierungsgefahr nennt er die Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten, die im vergangenen Jahr bundesweit bei 12.700 Personen gelegen hat. In NRW zählten die Sicherheitsbehörden 2.000 gewaltbereite Menschen im extrem rechten Lager. Der Rechtsextremismus ist laut Reul "neben dem Islamismus die größte Bedrohung für die innere Sicherheit in unserem Land". Hollstein kennt sich aus mit den Hasswellen aus dem rechten Lager, sie schlagen regelmäßig bei ihm auf. Grundsätzlich sei der Umgangston gegenüber Politikern rauer, gerade die kommunale Ebene zu einer "Zielscheibe" geworden. Früher habe er Morddrohungen noch nicht gemeldet, sondern "einfach weggeworfen". Er hielt die Absender für "glatzköpfig und plump". Entgrenzung der "Neuen Rechten" Das hat sich inzwischen geändert. Terrorismusforscher wie Peter R. Neumann vom King's College in London haben den internationalen Rechtsextremismus in "alt" und "neu" eingeordnet. Glatzköpfig und plump zeigen sich nach seinen Forschungsergebnissen ältere Phänomene; neuere gerierten sich dagegen äußerlich zeitgemäß, modisch gesehen "casual". Reul sagte vor dem Hintergrund einmal, die "Identitäre Bewegung" (IB) sei "nichts anderes als Hitlerjungen in Hipsterklamotten". Mit ihrer optischen und sprachlichen Entgrenzung versucht die "Neue Rechte", sich vom konventionellen Nazi-Bild zu lösen. Sie strebe nach Anschlussfähigkeit in der gesellschaftlichen Mitte, sagt Reul. Von großer Bedeutung sei dabei das "neue Wording", erläutert Christoph Busch vom Landesverfassungsschutz. So spreche die IB statt von Rassentrennung euphemistisch von "Ethnopluralismus". Höckes Lieblingsthema Der Begriff gehört zum übergeordneten Deutungsrahmen der europäischen Rechten. Er wirke zunächst ähnlich harmlos wie "Remigration", sagt Neumann. Gefährlicher klingen der herbeigesehnte "europäische Bürgerkrieg" vor dem Hintergrund eines vorgeblich angestrebten "großen kulturellen Austauschs" – ein Lieblingsthema des thüringischen AfD-Chefs und Verschwörungstheoretikers Björn Höcke. Während der Tagung, zu der 200 Gäste aus Politik und Wissenschaft gekommen sind, sei "die steigende Bedrohung durch Rechtsextreme deutlich geworden", sagt Verena Schäffer von den Grünen im Landtag. Neue Tätertypen, die sich virtuell radikalisierten, "stehen derzeit im Vordergrund der öffentlichen Debatte". Doch auch im organisierten Neonazismus mit rechtsterroristischen Gruppen wie "Combat 18" sieht die Innenexpertin "eine ernsthafte Gefahr". Im Kreise der Familie hat Bürgermeister Hollstein nach dem Messerangriff überlegt: "Machste weiter?" Er hat weitergemacht – schon aus einem Pflichtgefühl heraus, sagt er. Drohungen bekommt er weiterhin. Zuletzt wenige Tage vor dem Mord an Walter Lübcke.

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