Gelsenkirchen (dpa). In einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen hat es eine ungewöhnliche Häufung von Neugeborenen mit Handfehlbildung gegeben.
Im Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen waren zwischen Juni und Anfang September drei betroffene Kinder auf die Welt gekommen, wie die Klinik in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage mitteilte.
„Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig."
"Viele Jahre lang nicht gesehen"
Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen, hieß es. Bei zwei der betroffenen Kinder war die linke Hand deformiert - bei normalem Unterarm waren die Handteller und Finger nur rudimentär angelegt. Bei einem Kind war die rechte Hand betroffen – auch hier waren bei normalem Unterarm die Handteller und Finger nur rudimentär angelegt.
"Wir konnten keine ethnischen, kulturellen oder sozialen Gemeinsamkeiten der Herkunftsfamilien sehen. Alle Familien wohnen im lokalen Umfeld", teilt das Krankenhaus mit.
Statistisch würden etwa 1 bis 2 Prozent aller Neugeborenen mit einer Fehlbildung unterschiedlicher Ausprägung geboren, wie die Gelsenkirchener Mediziner erläuterten. Extremitätenfehlbildungen könnten während der Schwangerschaft unter anderem durch Infektionen auftreten, seien insgesamt aber selten.
Der entscheidende Entwicklungszeitraum liege sehr früh in der Schwangerschaft, zwischen dem 24. und 36. Entwicklungstag nach der Befruchtung der Eizelle, wie das Sankt Marien-Hospitals Buer schreibt.
Hebammen hatten zuerst Alarm geschlagen
„Eine ebenfalls mögliche Ursache ist das Abschnüren von Extremitäten durch Amnionbänder oder Nabelschnurumschlingungen während der Schwangerschaft im Mutterleib, was zu einer verminderten Weiterentwicklung der betroffenen Extremität führt."
Hebammenvertreterinnen hatten auf die Fälle aufmerksam gemacht. Die Kölner Hebamme Sonja Ligget-Igelmund sagte dem "Express": "Da Missbildungen bei Neugeborenen von den Krankenhäusern nicht zentral gemeldet werden und keine Klinik von der anderen weiß, ist es derzeit unklar, ob der Fall nicht weitaus größere Dimensionen in Deutschland hat – und Gefahr im Verzug ist." Der Bild-Zeitung sagte sie, es hätten sich inzwischen noch 20 weitere Familien bei ihr gemeldet.
Auch in Frankreich werden Fälle untersucht
In drei ländlichen Gegenden in Frankreich wurden zwischen 2004 und 2014 25 Babys ohne Hände oder Arme geboren. Betroffen sind die Orte Ain im Osten des Landes, Morbihan in der Bretagne und Loire-Atlantique im Nordwesten.
Das französische Gesundheitsministerium untersucht die Fälle, ist aber bisher zu keinem Ergebnis gekommen. Die einzige Gemeinsamkeit aller Betroffenen in beiden Ländern ist, dass sie in ländlichen Gebieten zuhause sind.
"Wir hoffen, dass sich Eltern melden"
In Deutschland wurde die Abteilung "Embryonaltoxologie" der Berliner Charité eingeschaltet. Es soll untersucht werden, ob die Frauen während der Schwangerschaft etwas Bestimmtes gegessen, getrunken oder eingeatmet haben könnten.
"Wir hoffen, dass sich Eltern melden, die für die Fehlbildung ihres Kindes keine Erklärung haben. Sie könnten helfen, das Rätsel zu lösen. Umweltfaktoren, Ernährung, Medikamente? Keiner weiß es", zitiert der "Kölner Express" die Hebamme Sonja Ligget-Igelmund.
Erinnerungen an den Contergan-Skandal
Der Fall weckt Erinnerungen an den Contergan-Skandal: In den 50er und 60er Jahren waren bis zu 12.000 Babys weltweit mit schweren Fehlbildungen zur Welt gekommen. Deren Mütter hatten während der Schwangerschaft ein Schlafmittel mit dem Wirkstoff Thalidomid – bekannt unter den Markennamen Contergan und Softenon – eingenommen.
In Frankreich wurde in der Folge dieses Skandals ein Register erstellt, in dem Geburtsdefekte erfasst werden. In Deutschland gibt es keine zentrale Meldestelle.