Bielefeld/Bonn. Die neue Strahlenschutzverordnung ist am Anfang des Jahres in Kraft getreten. Darin geht es unter anderem um den Einsatz des Ultraschalls in der Schwangerschaft: Er ist demnach ab 2021 in nicht-medizinischen Kontexten – wie zur Durchführung des sogenannten „Baby-TVs" – untersagt.
Dieses neue Gesetz hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) gemeinsam mit der Strahlenschutzkommission erarbeitet. Gynäkologe Dr. Rolf Englisch vom Berufsverband der Frauenärzte in Bielefeld sowie die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) kritisieren die Entscheidung. Hebamme Ulrike Bohnes-Berg aus Bielefeld wiederum begrüßt das neue Gesetz.
"Potenzielles Risiko" als Grund
Das BMU begründet ihre Entscheidung so: Die für die Bildgebung notwendigen hohen Ultraschallintensitäten sind mit einem potenziellen Risiko für das Ungeborene verbunden, insbesondere da mit Beginn der Knochenbildung wesentlich mehr Schallenergie am Knochen absorbiert wird.
Darüber hinaus fehlen verlässliche Untersuchungen über die Folgen dieser Anwendung. Dr. med. Kai-Sven Heling, Vizepräsident der DEGUM, weist die Kritik zurück: „Trotz jahrzehntelanger intensivster Forschungsarbeit gibt es nach wie vor keine Studienergebnisse, die darauf hindeuten, dass Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft irgendeine Gesundheitsbelastung für das ungeborene Kind darstellen." Die Aussage in der neuen Strahlenschutzverordnung sei demnach falsch. Wenn der Gesetzgeber das „Baby-Fernsehen" verbieten wolle, müsse ein anderer Ansatz gewählt werden.
Noch screent der Arzt auch auf Wunsch
Während der Schwangerschaft kann jede Frau laut den aktuellen Mutterschafts-Richtlinien in Deutschland drei finanzierte Ultraschalluntersuchungen wahrnehmen: in der 10., der 20. und der 30. Schwangerschaftswoche. Zu diesen Terminen kontrolliert der Arzt unter anderem Größe, Lage und Herzschlag des Kindes.
Auf Wunsch screent er beim zweiten Basisultraschall auch einige Organe wie Gehirn oder Herz auf auffällige Merkmale. „Diese Untersuchungen sind alle gut, decken aber nicht die Bandbreite möglicher Fehlbildungen ab", so Heling. Dr. Rolf Englisch stimmt zu.
"Wichtiger ist, die Signale der Frau wahrzunehmen"
Für ihn sind mehr als nur drei Untersuchungen erforderlich: „Ich muss beispielsweise regelmäßig das Fruchtwasser und die Plazenta untersuchen. Das ist zwar alles nicht vorgesehen, aber medizinisch notwendig." Hebamme Ulrike Bohnes-Berg sieht in dem zusätzlichen Schallen kein Nutzen: „Ob das Baby richtig liegt oder sich genügend Fruchtwasser in der Fruchtblase befindet, kann ich genau so gut am Bauch abtasten. Es ist viel wichtiger, die Signale der Frau wahrzunehmen. Eine Vorsorgeuntersuchung ist mehr als ein Ultraschall."
Die Neuregelung des Strahlenschutzgesetzes richtet sich insbesondere an ungeschultes Personal, die Ultraschallaufnahmen machen. Englisch befürwortet das: „Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft sollten nur von Ärzten mit entsprechender Ausbildung durchgeführt werden. Nicht qualifizierte Anwender können tatsächliche Probleme des Feten gar nicht erkennen oder deuten Informationen falsch."
Hebammen beobachten Ranking, wer die meisten Bilder hat
Die Kosten für einen Wunsch-Ultraschall belaufen sich im Durchschnitt auf 30 bis 40 Euro, meint Englisch. Die gesetzlichen Krankenversicherungen bieten jeder Patientin Zusatzleistungen an, in denen mehrere Ultraschal-Untersuchungen enthalten sind. „Es gab in meiner Praxis noch nie eine Frau, die mit nur drei Untersuchungen zufrieden war", fügt der Gynäkologe hinzu. Bohnes-Berg sieht ein, dass es Frauen zu Beginn der Schwangerschaft Sicherheit gibt, die Entwicklung des kleines Menschenkindes zu beobachten. „Doch dann entsteht in meinen Augen eine Art Abhängigkeit. Die Frauen vertrauen nur noch dem Ultraschall und wollen kein Risiko eingehen."
Die Hebamme beobachtet sogar eine Art Ranking: Wer hat die meisten Ultraschall-Bilder. So ist das „Baby-TV" zur Normalität geworden. Das wird inzwischen wie ein Event zelebriert. Die Oma reist an und die Freundinnen sind im Schlepptau. „Der eigentliche Nutzen der Diagnostik geht dabei verloren. Die Frau und ihr Empfinden ist Nebensache, der Bauch steht im Fokus", so Bohnes-Berg. In Norwegen gibt es beispielsweise nur eine Sonografie in der Schwangerschaft. „Offensichtlich funktioniert das wunderbar".
Die Meinungen der Experten gehen auseinander. Gynäkologe Dr. Rolf Englisch geht davon aus, dass die neue Strahlenschutzverordnung noch einmal neu diskutiert wird. Dabei wolle er beziehungsweise der Berufsverband der Frauenärzte mitreden. In einem Punkt sind sich aber alle Beteiligten einig. Vorsicht ist das oberste Gebot in der Medizin. Es gilt also das Prinzip: so viel wie nötig, so wenig wie möglich.
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