Bielefeld. Das Survivaltraining für Teenie-Eltern leiten die Kinder- und Jugendtherapeutin Christiane Kempf und Psychologe Jan Müller. Doch mit hinsetzen und Zurücklehnen ist es erstmal nichts für die Rat suchenden Eltern. Erste Übung: Die Teilnehmer stellen sich in Gruppen auf. Wer eine Tochter hat, stellt sich zu Jan Müller, wer mit einem Sohn kämpft, zu Christiane Kempf. Um Müller wird es voll: 7:2 für die Teenie-Ladies.
„Meine Tochter ist nur noch zickig", klagt eine der Mütter. „Meine schließt sich ein, das Zimmer ist ein Mega-Saustall und sie ist rotzfrech", eine andere. Und in der Jungsfraktion: „Mein Kind ist jetzt ein Macho und hat plötzlich Klamottenprobleme."
Die Dozenten stellen weitere Fragen, die mit Gruppenaufstellungen beantwortet werden. Zum Beispiel, ob die Kinder wissen, dass die Eltern jetzt gerade bei dieser Veranstaltung sind.
„Bei uns gibt es nur noch Konflikte, Konflikte, Konflikte"
Da sich eine Mehrheit in der Nein-Gruppe findet, bleiben die Teilnehmer anonym. Als eine Mutter in der redseligen Stimmung sagt: „Bei uns gibt es nur noch Konflikte, Konflikte, Konflikte – der Terror ist wirklich krass", tauschen die Mütter und Väter, die sich überwiegend erst vor wenigen Minuten kennengelernt haben, zustimmende Blicke aus. Es scheint sich ein Gefühl breitzumachen: Hier sitzen alle im selben Boot.
Wie passend, dass Christiane Kempf für den ersten von vier Vortragspunkten das Bild einer Brücke gewählt hat. Sie soll verdeutlichen, dass die Pubertät eine Entwicklungsphase ist. „Während die Eltern in der Kindheit steuernd und beschützend agieren, heißt es in der Pubertät loszulassen, am Ufer zu stehen und ansteuerbar zu sein", erklärt sie.
Aber auch eine gute Balance zu finden zwischen Verantwortungsübergabe, Begleiter und Unterstützer – manches mal Begrenzer zu sein und doch großzügig zu bleiben, führt sie weiter aus. Ein Spagat der sich lohne. Denn die Kinder sind auf dem Weg, etwas zu finden: Ihre eigene Identität.
Jugendliche können nichts dafür, dass sie abends spät müde sind und morgens lange müde bleiben
Dabei macht es ihnen ihr Kopf nicht gerade leicht, wie Jan Müller verdeutlicht. Der sogenannte Frontallappen, der tendenziell für logisches und besonnenes Agieren steht, werde in der Pubertät umgebaut. „So lange ist in dieser Hirnregion nicht viel los. Die Besonnenen sind quasi in Urlaub", sagt er und lacht. Dafür übernehme das limbische System die Kontrolle, das eher für emotionales Handeln steht.
Müller erklärt außerdem, dass die Jugendlichen nichts dafür können, dass sie abends erst spät müde sind und morgens lange müde bleiben. An die Stelle der aufgeheizten Stimmung vom Beginn der 90-minütigen und kostenlosen Veranstaltung, scheint bei vielen Eltern Verständnis für die eigenen Kinder zu treten.
Beim dritten Punkt „culture clash" erklärt Müller, dass es beim Zusammentreffen von Jugend- und Erwachsenenkultur durchaus zu Reibung und Missverständnissen kommen kann – vergleichbar mit einem Besuch aus einer entfernten Kultur wie Japan, in der ganz andere Regeln gelten.
„Ich sehe den Handykonsum meiner Tochter jetzt gelassener"
Zum Finale gibt Christiane Kempf praktische Tipps: Aussagen statt Fragen, Kontakt statt Kontrolle und Präsenz statt Predigt. Im Anschluss gibt es Gelegenheit, persönliche Probleme zu besprechen.
„Ich glaube, dass vieles, was nicht klappt, auch an mir liegt", resümiert ein Vater. „Ich habe mir vorgenommen, mein Kind zukünftig öfter zu loben."
Eine Mutter sagt: „Ich sehe den Handykonsum meiner Tochter jetzt gelassener. Der Abend hat in meinem Kopf etwas verändert."
Das Fazit von zwei befreundeten Müttern, die Lehrerinnen an derselben Schule der Sekundarstufe I sind, lautet: „Der neurologische Part hat einiges erklärt, wenn es um das Verhalten geht. Für uns war der Abend unglaublich hilfreich – privat und beruflich."