Arbeit und Lebensentwürfe

Anspruchsvoll und arbeitsscheu? Warum die Generation Z besser ist als ihr Ruf

Die Gen Z muss besonders viel Kritik von der älteren Generation einstecken. Gleichzeitig stehen die ab 1995 Geborenen vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Kann das gut gehen?

Die Generation der Geburtsjahrgänge 1995 bis 2010 hat keinen guten Ruf – zu arbeitsscheu, zu woke, zu anspruchsvoll sei sie. | © Alena Kuznetsova/picture alliance/Westend61

24.03.2025 | 24.03.2025, 07:07

Anna H. weiß, dass das Thema brisant ist. Vor ein paar Wochen entschied sich die 26-Jährige, im Internet ein Video hochzuladen. „Ich will nicht arbeiten – zumindest nicht so, wie es die Gesellschaft von mir verlangt“, sagt sie darin. Sie mag ihren Job, betont die junge Frau zu Beginn der Aufnahme. Die Arbeit als pädagogische Fachkraft in einer Kinderwohngruppe sei aber sehr intensiv – und deshalb auch so anstrengend.

In ihrem gut zehnminütigen Video erklärt die Youtuberin deshalb, warum sie lieber Teilzeit arbeitet – und zeichnet ihre Vorstellung einer Welt, in der Arbeit „nicht das Zentrum unseres Lebens ist, sondern ein Bestandteil davon, der uns bereichert, statt uns auszubrennen“.

Die Reaktionen auf das Video seien größtenteils positiv gewesen, sagte sie dieser Redaktion. Viele hätten von ihren Geschichten – auch Leidensgeschichten – zum Thema Arbeit berichtet. Doch es hat auch kritische Stimmen, bis hin zu Hasskommentaren, gegeben. Vor allem, dass sie sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzte, sei auf Unverständnis gestoßen. Und trotzdem: Mit dem Video habe sie wohl einen Nerv getroffen.

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Wie viel Arbeit sein muss und wie viel sein darf

Das ist eher noch eine Untertreibung. Kaum eine Frage wird leidenschaftlicher diskutiert als die, wie viel Arbeit sein muss und wie viel sein darf. Es wird dabei weit mehr verhandelt als die Frage, ob eine Arbeitswoche nun 37 oder 40 Stunden haben sollte. Es geht um Lebensentwürfe, Rollenbilder, Verteilungsfragen und Generationengerechtigkeit.

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Die Debatte ist auch deshalb so aufgeheizt, weil sich der Arbeitsmarkt in einem großen Umbruch befindet. Schritt für Schritt verlassen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer die Werkhallen und Büros. Bis 2036 erreichen fast 20 Millionen Erwerbstätige das Renteneintrittsalter, rechnet das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) vor.

CDU-Verteidigungsminister Thomas de Maizière hält nicht viel von der jungen Generation. - © Michael Kappeler/dpa
CDU-Verteidigungsminister Thomas de Maizière hält nicht viel von der jungen Generation. | © Michael Kappeler/dpa

Und diejenigen, die nachrücken, stehen vor gewaltigen Aufgaben. Deutschlands Wirtschaft muss ein neues Geschäftsmodell finden, sich gegen die starke Konkurrenz auf einem immer protektionistischeren Weltmarkt behaupten, die Rezession hinter sich lassen und gleichzeitig den demografischen Wandel meistern. Hinzu kommen technologische Umbrüche, etwa durch die rasante Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz oder durch die Transformation im Energiebereich.

Gen Z in jungen Jahren mit Pandemie und Energiekrise konfrontiert

Es sind Anforderungen, die von Menschen bewältigt werden müssen, die bereits in jungen Jahren mit einer Pandemie, einer Energiekrise und einem Krieg auf dem eigenen Kontinent konfrontiert worden sind. Und von einer Generation, die bei etlichen Älteren einen sagenhaft schlechten Ruf hat.

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Zu faul, zu anspruchsvoll, zu wehleidig, zu woke: Das sind die Stereotype, mit denen die Generation der Geburtsjahrgänge 1995 bis 2010 – wahlweise auch von 1997 bis 2012 – häufig beschrieben wird. Die Anspruchshaltung vieler Mitglieder dieser Altersgruppe gehe ihm gegen den Strich, klagte etwa der ehemalige CDU-Verteidigungsminister Thomas de Maizière in einem „Zeit“-Interview.

„Mich ärgert, dass sie zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft“, sagte er – um danach ein Bild von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu zeichnen, die mit Mitte 20 „drei, vier Tage die Woche zu Hause arbeiten, um gegen 22 Uhr bei Lieferando noch einen Champagner zu bestellen“, der von Leuten in prekären Arbeitsverhältnissen gebracht werden müsse. So, befand de Maizière, entstehe kein sozialer Zusammenhalt.

Schüler aus der Gen Z gründet Unternehmen für 3D-Druck

Milan von dem Bussche kennt solche Erzählungen – und sie ärgern ihn. „Häufig wird da eine Generation über einen Kamm geschert“, sagt der 21-Jährige, der bereits als Schüler mit Freunden ein Unternehmen für 3D-Druck gegründet hat. QiTech heißt die Firma, die aus Plastikmüll Kunststofffasern herstellt, mit denen die Drucker gefüttert werden. Außerdem vertreibt das Unternehmen die Maschinen dafür. Mehr als 100 wurden schon ausgeliefert – in 14 verschiedene Länder.

„Das hier ist der Recyclingbereich“, erklärt von dem Bussche, als er mit dem Laptop auf dem Arm durch die Produktionsräume in Darmstadt geht und die Kamera umherschwenkt. Hier wird altes Plastik zu 3D-Druck-Filamenten gemacht – also zu jenem Material, aus dem 3D-Drucker neue Produkte herstellen können.

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Von dem Bussche macht eine Menge selbst, an diesem Tag will er sich noch die Buchhaltung vornehmen. Er arbeitet bestimmt 60 Stunden pro Woche, schätzt er. Und auch nach Feierabend kreisen die Gedanken häufig um die Firma. Sind alle Teile für die Bestellungen da? Sind die Löhne gezahlt? Und was ist mit der Steuererklärung?

„Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.“ Mit diesem Satz heizte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes, 2024 die Debatte über Arbeitseinstellungen an. - © Dieckmann-Fotodesign l Bielefeld
„Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.“ Mit diesem Satz heizte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes, 2024 die Debatte über Arbeitseinstellungen an. | © Dieckmann-Fotodesign l Bielefeld

Jungunternehmer mit Tatendrang

Bislang kommt der Jungunternehmer, der nebenbei auch noch studiert, mit dem Pensum gut klar. Und er kennt andere, die es ähnlich machen. „Es gibt auch in meiner Generation total viele Leute, die Bock haben, die etwas verändern wollen“.

Bock haben: Genau das wünscht sich auch Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA. „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“, heizte er im vergangenen Jahr die Debatte an. Eine gute Work-Life-Balance, so Kampeter, bekomme man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche hin.

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Von dem Bussche würde da sicherlich sofort zustimmen, Anna H. nicht. Natürlich gibt es unterschiedliche Lebenseinstellungen – auch bei anderen Generationen. Doch die Gen Z beginnt in einer Zeit ihr Berufsleben, in der die Debatten über Arbeitsmoral besonders laut geführt werden. Und in der sowohl Soziologen als auch Arbeitgeber sich mit der Frage beschäftigen, was die Jungen so umtreibt.

Jüngerer Generation stehen enorme Chancen bevor

„Das ist eine besondere Situation“, sagt Enzo Weber, Ökonom beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die jüngere Generation stehe am Rande einer Zeit, die enorme Chancen berge, sagt er. Aber nicht nur das. „Es gibt eine immense Unsicherheit“, erklärt der Arbeitsmarktforscher.

Das beobachtet auch das Institut für Generationenforschung, das sich angesichts der Bundestagswahl genauer mit der Gruppe der Erstwähler – also der 18- bis 24-Jährigen – beschäftigt hat. „Die Generation der Erstwähler steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Wohlstandsängste, steigender Stress und eine starke digitale Prägung bestimmen ihren Alltag“, so die Wissenschaftler. Insgesamt durften rund 2,3 Millionen Menschen am 23. Februar zum ersten Mal ihr Kreuzchen machen.

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Weber kann mit Debatten rund um die fehlende Arbeitsmoral junger Menschen wenig anfangen. „Die Erwerbsbeteiligung der unter 25-Jährigen ist die höchste seit Jahrzehnten. Die jungen Leute sind fleißig wie lange nicht mehr“, sagt er.

Zahl der jungen Erwerbstätigen steigt

Untermauert wird das durch eine aktuelle Auswertung seines Instituts. Laut den dort erhobenen Daten ist die Erwerbsbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen seit 2015 um mehr als 6 Prozentpunkte gestiegen und liegt jetzt bei 76 Prozent. So hoch war sie den Angaben zufolge zuletzt Mitte der 1990er. Bis 2015 war sie zurückgegangen.

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Das IAB führt die höhere Erwerbsbeteiligung der Jüngeren vor allem auf den wachsenden Anteil an Studentinnen und Studenten mit Nebenjobs zurück. Aber auch die Erwerbsquote der 20- bis 24-Jährigen ohne Studium ist demnach gestiegen.

Weber will andere Zuschreibungen ebenfalls nicht so stehen lassen. „Wir erfassen, wie viele Arbeitsstunden man sich wünscht.“ Dieser Wert sei nach einem Anstieg in den 2000er-Jahren zwar zurückgegangen. „Das ist aber kein Phänomen, das es nur bei jungen Leuten gibt. Sie zeigen dort keine andere Entwicklung als die anderen Altersgruppen“, erklären Weber und seine Kollegen. Auch stimme es, dass das Engagement im Job insgesamt gesunken sei – aber das betreffe ebenso alle Altersgruppen.

Der Generation Z geht es um ein anderes Arbeiten

Der Generation Z gehe es nicht unbedingt darum, weniger zu arbeiten, sondern darum, anders zu arbeiten, sagt Weber. „Die Generation Z ist ein Kind ihrer Zeit.“ Ob Corona-Schock oder Arbeitskräfteknappheit: Sie habe beim Einstieg ins Berufsleben bereits viele Veränderungen erlebt, Flexibilität sei ihr sehr wichtig.

Personalern oder älteren Chefs oder Chefinnen rät er deshalb, auf die Wünsche junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzugehen, ohne deshalb weniger zu verlangen. Mehr Flexibilität und Selbstbestimmung brächten mehr Zufriedenheit. „Vielen jungen Leuten sind Weiterentwicklung und Sinnhaftigkeit wichtig.“

Das geht für Anna H. aber nicht mit einer 40-Stunden-Woche. Sie hat ihre Arbeitszeit auf rund 30 Stunden reduziert. Statt individueller Lösungen wünscht sie sich jedoch ein Umdenken in der Gesellschaft, die eine 40-Stunden-Woche zum normalen Standard mache, erklärt sie in ihrem Video.

Bis zur Rente komplett ausgebrannt

„Was bringt es, wenn wir Menschen haben, die in sozialen Berufen arbeiten, wenn diese meistens den Job gar nicht bis zur Rente durchhalten, weil sie bis dahin komplett ausgebrannt sind?“, fragt sie. Und was es bringe, wenn sie ihren Job nur halbherzig machen könnten, weil ihnen ein adäquater Ausgleich – also genug Freizeit – fehle?

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Wie viel Freizeit genug ist, ist relativ. Milan von dem Bussche hat davon wenig, weniger als andere – und die nutzt er, um ebenfalls Videos zu produzieren. Gemeinsam mit weiteren Gründern ist er im „Young Founders Network“ aktiv und lädt regelmäßig Clips hoch, die den Weg durch das Dickicht des Bürokratie-Dschungels erleichtern sollen. Vor einem riesigen Stapel mit Ordnern erklärt er dann zum Beispiel, wie man ein Gewerbe anmeldet, beim Handelsregister durchblickt oder eine GmbH gründet.

Dass andere Menschen ein anderes Pensum anstreben, weiß auch der junge Gründer. „Das ist immer sehr individuell.“ Er ziehe, so der 21-Jährige, jedenfalls auch viel Lebenssinn aus der Arbeit. Freiheit und Verantwortung sind ihm dabei wichtig, um materiellen Wohlstand geht es ihm weniger. „Eine neue Fabrikhalle ist mir lieber als eine größere Wohnung.“

Arbeitskräfte sind heutzutage deutlich knapper

Die Ansprüche an Arbeit mögen unterschiedlich sein, doch die Generation Z kann sie lauter stellen als andere. Denn etwas ist dann doch anders: Arbeitskräfte sind heutzutage deutlich knapper, als das frühere Generationen erlebt haben, sagt Arbeitsmarktforscher Weber.

Dies ist zwar nicht mehr so ausgeprägt wie zu Rekordzeiten vor etwa zwei Jahren, weil sich die zähe wirtschaftliche Entwicklung am Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Und doch können Jobsuchende heute wählerischer sein als früher. Und damit auch selbstbewusster.