Rekordniveau erreicht: Krankenkassen erhöhen ihre Beiträge – auch in OWL

Berlin/Bielefeld. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht unter massivem Druck. Das Defizit der 94 Krankenkassen hat im ersten Halbjahr 2024 die Grenze von zwei Milliarden Euro überschritten. Damit hat sich das Minus binnen eines Quartals fast verdreifacht. In der Folge haben bereits mehr als 20 Versicherer ihre Zusatzbeiträge erhöht, so auch in OWL die BKK Gildemeister Seidensticker und die BKK Dürkopp Adler. Die Entwicklung, dass Kassen ihre Zusatzbeiträge unterjährig mitunter mehrfach erhöhen müssen, hat es nach Angaben von Thomas Johannwille, Vorstand der Bertelsmann BKK und Sprecher der Betriebskrankenkassen in OWL, noch nie gegeben. Doch ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht, denn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, dass sich die Beitragszahler und ihre Arbeitgeber auch im kommenden Jahr auf Beitragssteigerungen einstellen müssen, weil politisch nicht gegengesteuert wird. 90 Prozent der Deutschen gesetzlich versichert Der allgemeine Beitragssatz für die GKV, über die 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland versichert sind, beträgt aktuell 14,6 Prozent und ist für alle Kassen gleich. Ergänzend erheben die Kassen einen Zusatzbeitrag, um ihren Finanzbedarf, der über die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds hinausgeht, zu decken. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag liegt in diesem Jahr bei 1,7 Prozent, sodass sich der Krankenkassenbeitrag insgesamt auf durchschnittlich 16,3 Prozent beläuft. &bdquo;Aufgrund der extremen Ausgabensteigerungen müssen jedoch immer mehr Kassen ihre Zusatzbeiträge erhöhen, weil die Reserven infolge politischer Eingriffe aufgebracht sind“, erklärt Johannwille, der damit rechnet, dass die Krankenkassen, die dieses Jahr ohne unterjährige Beitragserhöhungen überstehen, ihre Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel erhöhen müssen. &bdquo;Wenn es mit den politisch induzierten Preiserhöhungen so weiter geht, wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag im kommenden Jahr auf 2,7 Prozent steigen.“ In der Spitze liegen die Zusatzbeiträge bereits heute bei 3,28 Prozent, wie bei der Kaufmännischen Krankenkasse. BKK Dürkopp Adler erhöht Zusatzbeitrag auf 2,55 Prozent Auf die steigenden Ausgaben verweist auch die BKK Dürkopp Adler, die ihren Zusatzbeitrag ab September von 1,55 Prozent auf 2,55 Prozent erhöht. Im Vergleich zum Vorjahr sind nach Angaben des Versicherers zum Ende des zweiten Quartals 2024 die Kosten für Krankenhausbehandlungen um fast 28 Prozent, die Ausgaben für Arzneimittel um 18 Prozent und die Kosten für die Versorgung mit Heilmitteln um 16 Prozent gestiegen. Insgesamt liege die Steigerungsrate bei zwölf Prozent und damit deutlich über den Prognosen. &bdquo;Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht immer weiter auseinander, deshalb warnen wir seit Jahren vor einer Kostenexplosion. Doch anstelle eines Konzepts für eine stabile Finanzierung der GKV wird die exzessive Ausgabenpolitik des Gesundheitsministeriums unverändert fortgeführt“, moniert Johannwille. Lauterbach begründet die weiter steigenden Beiträge im kommenden Jahr in einem &bdquo;Stern“-Interview mit Reformen, die in der Vergangenheit ausgeblieben sind. Gesetzliche Krankenversicherte sollen für die Klinikreform zahlen Ein Beispiel ist die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft. Lauterbach warnt davor, dass viele Krankenhäuser die Reform nicht mehr erleben werden, wenn sie jetzt keine finanzielle Unterstützung erhalten. &bdquo;Jetzt ist die Phase, in der wir Geld in die Hand nehmen müssen, auch das der Beitragszahler.“ Nur so gelängen notwendige Reformen, die langfristig die Kostenentwicklung dämpften. Lesen Sie auch: NRW-Klinikreform: Kliniken, Kassen, Ärzte und Pfleger fordern Umsetzung in ganz Deutschland Mit dieser Argumentation entlarvt sich Lauterbach nach Angaben von Reinhard Brücker, ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Viactiv Krankenkasse, selbst, weil der Gesundheitsminister Aufgaben des Staates und der Krankenkassen vermengt. &bdquo;Die Krankenhausreform ist Teil der Daseinsvorsorge und muss mit Steuermitteln finanziert werden, weil sie Aufgabe des Staates ist. Stattdessen sollen Mittel der gesetzlich Krankenversicherten, nicht aber der Privatversicherten dafür zweckentfremdet werden“, moniert Brücker. Finanziert werden soll die Reform nach Angaben Lauterbachs mit 50 Milliarden Euro über den Krankenhaustransformationsfonds. Die Kosten sollen jeweils zur Hälfte die Krankenkassen und die Bundesländer tragen. Senkung der Mehrwertsteuer auf Arznei würde sechs Milliarden Euro einsparen Nach Auffassung Brückers ist es überfällig, dass der Bund versicherungsfremde Leistungen ausreichend finanziert, insbesondere die Beitragspauschalen für Bürgergeld-Empfänger. Die Ampel müsse endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen und die Pauschalen für die Bezieher auf ein kostendeckendes Niveau anheben. Insgesamt würden die Beitragszahler damit um zehn Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Lesen Sie auch: Kommentar: Beitragszahler nicht weiter belasten &bdquo;Nötig ist auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Es ist nicht zu erklären, warum auf Hundefutter sieben Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden, auf Medikamente aber 19 Prozent“, sagt Brücker, der zudem eine Anpassung des bisherigen Beitrages für gesellschaftliche Aufgaben fordert. Der Verband der Ersatzkassen rechnet bei einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente mit Entlastungen von sechs Milliarden Euro für die GKV. Stoppen lassen sich die Beitragssteigerungen nach Angaben des Bielefelders aktuell jedoch auch bei einer Umsetzung der Forderungen nur noch mit steuerlichen Zuschüssen und einem Stopp geplanter Gesetzesvorhaben, wie beispielsweise die neue Vergütungssystematik für Hausärzte oder das Gesunde-Herz-Gesetz. &bdquo;Alle Ausgaben müssen überprüft werden“, fordert Brücker, der kritisiert, dass Lauterbach den Ernst der Lage verkennt. &bdquo;Die unterjährigen Beitragserhöhungen von mehr als 20 Krankenkassen, darunter auch gut aufgestellten Kassen mit bislang stabilen Beitragssätzen, zeigen, dass die Misere deutlich größer ist als vermutet. Es brennt.“

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